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Willkür gegen Migranten

UN-Arbeitsgruppe kritisiert deutsche Abschiebehaft und pychiatrische Zwangseinweisungen

Von Peter Nowak *

Eine Delegation des UN-Menschenrechtsrates besuchte Gefängnisse, Polizeidienststellen und psychiatrische Einrichtungen in Deutschland, um Fälle von willkürlicher Inhaftierung aufzudecken.

Georgien, China, Iran, das sind nur einige der Länder, die einem sofort einfallen, wenn es um die willkürliche Inhaftierung von Menschen geht. Aber Deutschland doch nicht. Schließlich würde dort nach weit verbreiteter Meinung eine unabhängige Justiz solche Willkürmaßnahmen verhindern.

Dass es sehr wohl auch in Deutschland ein Problem mit willkürlichen Inhaftierungen gibt, wurde jüngst durch die Debatte um die Sicherungsverwahrung einer größeren Öffentlichkeit bekannt. Sie war eines der Themen auf einer Pressekonferenz, die Delegationsmitglieder der »UN-Arbeitsgruppe zu willkürlicher Haft« am gestrigen Mittwoch im Auswärtigen Amt gaben. Es handelt sich dabei um eine von 33 Sondergruppen des UN-Menschenrechtsrates.

Wie die Delegationsmitglieder Hadji Malick Sow aus Senegal und Shaheen Sardar Ali aus Pakistan berichteten, haben sie in der Zeit vom 26. September bis zum 5. Oktober dieses Jahres Gefängnisse, Polizeidienststellen und psychiatrische Einrichtungen besucht. Ebenfalls auf der Agenda der zehntägigen Deutschlandvisite standen Treffen mit staatlichen Stellen und mit Nichtregierungsorganisationen. Die Kooperation mit den staatlichen Stellen in Deutschland sei gut gewesen, betonten die beiden UN-Delegierten. Gewünschte Informationen hätten sie erhalten.

Ausführlich ging Malick Sow auf die Entstehung und die Tätigkeit der Arbeitsgruppe ein. Sie ist 1991 entstanden und untersucht weltweit Fälle, in denen Menschen ohne rechtliche Grundlage die Freiheit entzogen wurde. Hierzu zählt behördlich angeordnete Haft, die nicht gerichtlich überprüft werden kann. Zudem schaut sich die Arbeitsgruppe an, ob Inhaftierungen auf diskriminierender Grundlage erfolgten und ob in Strafverfahren der Grundsatz der Fairness so schwerwiegend verletzt wurde, dass die Inhaftierung als willkürlich einzustufen ist.

Besonderes Augenmerk richtet die Arbeitsgruppe zunehmend auf die langfristige Inhaftierung von Flüchtlingen und Migranten. Das ist auch in Deutschland ein zentrales Problem, betonten die Mitglieder der Untersuchungskommission. Damit gingen sie auch kritisch auf die Praxis der Abschiebehaft in Deutschland ein. Hier werden Flüchtlinge inhaftiert, ohne dass sie eine Straftat begangen haben. Der Kommission seien bei Gesprächen mit Flüchtlingsorganisationen zahlreiche Fälle bekannt geworden, in denen sich Migranten über einen langen Zeitraum in Abschiebehaft befinden.

Ein weiterer Kritikpunkt ist für die Kommission die Zwangseinweisung von Menschen in psychiatrische Anstalten. Dagegen wenden sich nicht nur Betroffenenorganisationen, sondern zunehmend auch Menschenrechtsgruppen, die darin eine Willkürmaßnahme sehen. Mit dieser Kritik sind sie bei der Kommission auf offene Ohren gestoßen. Die Delegationsmitglieder wollen in ihren Empfehlungen an die Bundesregierung Änderungen der bisherigen Praxis anregen. Die Ergebnisse ihrer Untersuchung der Situation in Deutschland wird in den Bericht einfließen, den der UN-Rat für Menschenrechte im nächsten Jahr präsentieren wird.

* Aus: neues deutschland, 6. Oktober 2011


Mängel in Abschiebeknast **

(epd). Die von den Justizministern der Länder eingesetzte Anti-Folter-Kommission hat Berlin gravierende Mängel bei der Unterbringung von Abschiebehäftlingen vorgeworfen. Die Einrichtung im Berliner Stadtteil Köpenick gleiche einem Gefängnis, berichtete die »Berliner Zeitung« unter Berufung auf einen vertraulichen Bericht der Kommission. Der Vorsitzende der Kommission, der ehemalige Chef des Bundesnachrichtendienstes Hansjörg Geiger, kritisiert darin unter anderem die geringen Beschäftigungsmöglichkeiten für die Insassen, die karge Möblierung der Gemeinschaftszimmer sowie die zu geringe Anzahl von Duschen. Zudem werde den Abschiebehäftlingen täglich lediglich zwei Stunden Aufenthalt im Freien gewährt, heißt es in dem Bericht der Länderkommission zur Verhütung von Folter.

Geiger wirft Innensenator Ehrhart Körting (SPD) jetzt vor, die Kritik nicht ernst zu nehmen. Körtings Sprecherin Nicola Rothermel sagte dem epd, der Vorgang sei noch nicht abgeschlossen. Ein Antwortschreiben des Senators sei in Arbeit.

Weiter gibt es laut Kommission im Berliner Abschiebegewahrsam Mängel bei der ärztlichen und psychologischen Betreuung. Als unverhältnismäßig hoch wird dagegen die Anzahl des Wachpersonals kritisiert. Die Abschiebehaft habe 214 Plätze. Bei der Inspektion am 8. April seien die Häuser nur mit 39 Personen belegt gewesen; dennoch seien dort 192 Mitarbeiter beschäftigt.

Die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter hat die Aufgabe, regelmäßig »Orte der Freiheitsentziehung« aufzusuchen, auf Missstände aufmerksam zu machen und Verbesserungsvorschläge zu unterbreiten.

** Aus: neues deutschland, 6. Oktober 2011


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