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"Die EU hat diese Todesgrenze mitfinanziert"

Folter, Prügel, Tod: Das erwartet Flüchtlinge, die Spanien nach Marokko abschiebt. Ein Gespräch mit José Palazón Osma *



Im vergangenen Monaten haben einige hundert Flüchtlinge versucht, von Marokko aus den Zaun zur spanischen Enklave Melilla zu durchbrechen. Was ist dort geschehen?

Es waren etwa 300 Flüchtlinge, die entdeckt hatten, daß ein Abschnitt dieser Grenzanlage weder von der spanischen Guardia Civil noch vom marokkanischen Heer bewacht war. Rund 200 gelang es, die Grenze nach Melilla zu überschreiten, bevor die Sicherheitskräfte es bemerkten. Anwohner erzählten, daß sie Flüchtlinge sahen, die sich blutüberströmt zur Stadt schleppten – sie hatten sich sich die Haut am Stacheldraht des Grenzzauns in Fetzen gerissen. Viele wurden festgenommen und sofort zurück auf die marokkanische Seite gebracht, wo sie den Prügeleien der Soldaten ausgesetzt waren. Das marokkanische Militär ist bekannt für seine Brutalität – es gibt Soldaten, die Flüchtlingen die Beine brechen, um sie am Weglaufen zu hindern.

Das, was ich geschildert habe, ist in Melilla leider schon fast alltäglich geworden. Das ganze Jahr über gibt es Vorfälle wie diese – der Unterschied ist, daß über diesen hier in den Medien berichtet wurde.

Wenige Tage später ist es aber mehreren Flüchtlingen gelungen über die vor der marokkanischen Küste liegende Insel Isla de Tierra nach Spanien zu kommen ...

Diese kleine Insel ist spanisches Territorium. Diese Flüchtlinge wurden von der Guardia Civil festgenommen und gleich wieder zurück nach Marokko gebracht, was eindeutig gegen das Gesetz ist. Die Vorschriften sehen vor, daß nach ihrer Festnahme erst einmal geprüft wird, ob die Voraussetzungen für ein Asyl vorliegen – erst dann kann entschieden werden, ob sie wieder in ihr Herkunftsland zurück müssen.

Allerdings ist es durchaus üblich, daß sich die Guardia Civil gesetzeswidrig verhält. Sie schiebt Flüchtlinge mit Vorliebe in die Stadt Oujda ab. Die marokkanischen Streitkräfte versuchen dann, die meisten von ihnen in das nahe Algerien zu treiben – die Grenze ist allerdings weitgehend abgeriegelt, weil beide Länder keine diplomatischen Beziehungen unterhalten. Das algerische Militär wiederum jagt die Flüchtlinge zurück nach Marokko. Viele von ihnen verbringen mehrere Tage im Niemandsland, bis es ihnen gelingt, auf die eine oder andere Weise doch noch in eines dieser beiden Länder zu kommen. Der Campus der Universität von Oujda ist mittlerweile eine Art Feldlazarett für die vielen Flüchtlinge geworden, die entweder von marokkanischen oder von algerischen Soldaten verletzt wurden.

Sie versuchen, die Öffentlichkeit mit Hilfe Ihres Internetportals [www.melillafronterasur.blogspot.de] über diese Grausamkeiten zu informieren. Werden diese Berichte von den Medien aufgegriffen?

Die Lokalredaktionen von Melilla berichten über nichts, was mit dem Grenzzaun und den Versuchen von Flüchtlingen zusammenhängt, ihn zu überwinden. In der Diktatur des Königs von Marokko unterliegen sämtliche Medien der staatlichen Zensur – und die verbietet jede Berichterstattung über das Verhalten des Militärs an der Grenze. In Spanien gibt es hin und wieder Berichte über das Schicksal von Flüchtlingen – seit einiger Zeit fallen aber auch die der Berichterstattung über die Auswirkungen der Finanzkrise zum Opfer.

Welche Verantwortung hat die EU für die Zustände an der spanisch-marokkanischen Grenze?

Die EU hat diese Todesgrenze mitfinanziert. Ich bin sicher, daß jemand, der in irgendeinem anderen Land einen derartigen Zaun zur Jagd von Tieren errichten würde, sofort in Konflikt mit den Gesetzen käme. In Melilla hingegen steht ein solcher Zaun zur Abwehr von Menschen – und die Verantwortlichen wissen genau, welche Opfer es gibt.

Die spanischen Behörden überlassen die Drecksarbeit Marokko, das keine Probleme damit hat, Flüchtlinge, die sich dem Zaun auch nur nähern, niederzuknüppeln oder auf sie zu schießen. Die EU stellt sich gerne als Garant von Menschenrechten dar – in Wirklichkeit arbeitet sie eng mit einer blutigen Diktatur zusammen.

* José Palazón Osma ist Vorsitzender der spanischen Vereinigung für die Rechte der Kinder (PRODEIN), die 2007 von der deutschen Flüchtlingshilfeorganisation Pro Asyl mit dem Menschenrechtspreis ausgezeichnet wurde.

Interview: Carmela Negrete

Übersetzung: Peter Wolter

Aus: junge Welt, Freitag, 14. September 2012


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