Wehrhafte Flüchtlinge
Camps und Demonstrationen nehmen zu
Von Christian Jakob *
Am diesjährigen Tag der Migranten können Basisinitiativen auf besonders großen Widerhall hoffen. Immer öfter nehmen Flüchtlinge und Migranten ihr Schicksal auch selbst in die Hand.
Wenn es wahr ist, was die Organisation »Andalucía acoge« (etwa: Andalusien heißt willkommen) am 27. Oktober meldete, hatte an den Tagen zuvor die Besatzung eines deutschen Flugzeuges der Frontex-Mission »Indalo« über Stunden beobachtet, wie 57 Papierlose in der Meerenge zwischen Spanien und Marokko in Seenot geraten waren. Eine Rettungsaktion veranlassten die EU-Grenzschützer nicht. Erst nachdem ein Angehöriger eines der Schiffbrüchigen per Telefon die spanische Guardia Civil alarmiert hatte, setzte die ein Rettungsboot und ein Aufklärungsflugzeug in Bewegung. 18 Meilen östlich der marokkanischen Stadt Al Hoceima konnten sie 17 Überlebende retten und 18 Leichen bergen. Die Übrigen blieben verschwunden.
Es sind Geschichten wie diese, um die es am heutigen Welttag der Migranten gehen soll. Am 18. Dezember 1990 hatte die UN-Vollversammlung die »Konvention zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer« beschlossen. Viel gebracht hat die bisher nicht: In Mittelamerika werden Migranten von Kriminellen und Zuhältern verfolgt, an der Grenze der USA von Polizei und Bürgerwehren gejagt. Auf der Sinai-Halbinsel werden sie von Beduinen verschleppt, missbraucht und erpresst. Vor den Toren Europas ertrinken sie, in den Wüsten Nordafrikas werden sie ausgesetzt, verdursten oder verhungern. Etliche Länder der Welt sperren Migranten in Internierungslager, sie werden ausgebeutet und abgeschoben. Die UN-Staaten selbst unternehmen gegen diese Zustände entweder wenig - oder sie schaffen sie erst selbst.
Wenig Anklang hat der politisch zahnlose Jahrestag der UN deshalb in der Vergangenheit bei Basisinitiativen gefunden. Doch seit einigen Jahren bemühen sich Migrantenorganisationen um eine kritische Aneignung des 18. Dezembers als globaler Migrationsaktionstag. In diesem Jahr können sie auf eine bemerkenswerte politische Dynamik aufbauen. Denn die vergangenen Monate haben Flüchtlings- und Migrantenkämpfe hervorgebracht, die zumindest in Deutschland an Intensität und Radikalität in den letzten Jahrzehnten beispiellos sind.
Seit Monaten protestieren Flüchtlinge auf zentralen Plätzen in Berlin. Sie traten wochenlang in Hungerstreik, marschierten quer durch das Land und besetzten vor etwas mehr als einer Woche ein leer stehendes Schulgebäude in Kreuzberg. »Deutschland ist keine Diktatur. Aber unser Leben hat Züge wie in einer Diktatur, wenn andere für mich bestimmen, was ich essen soll und wohin ich gehen darf«, sagt der junge Afghane Firoz Safi, der wochenlang in Eiseskälte auf dem Pariser Platz protestierte. »Wir glauben, dass wir den Kampf um unsere Rechte gewinnen können.« Doch je stärker die Proteste wurden, desto heftiger waren die Reaktionen der Bundesregierung: Vor allem mit Verweis auf die - mittlerweile wieder stark zurückgehende - Zahl von Asylanträgen von Menschen aus Serbien und Mazedonien ließ Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) nichts unversucht, das Asylrecht weiter auszuhöhlen.
Nicht nur in Deutschland taten Flüchtlinge ihren Unmut kund. Auch in Wien bauten sie im November ein Refugee-Camp auf, in Amsterdam wurden die Protestzelte am 9. Dezember geräumt. Auch in Ungarn - das für seine besonders rigide Internierungspraxis berüchtigt ist - zogen Flüchtlinge am 23. November vor das Parlamentsgebäude in Budapest. »Es sind die ähnlich unerträglichen Bedingungen und die gegenseitige Inspiration, die die Gleichzeitigkeit der Proteste begründen dürfte«, sagt Hagen Kopp, ein Aktivist der Organisation Boats4People. Die versucht seit einem Jahr, ein Netzwerk zwischen Europa und Nordafrika aufzubauen, um das Sterben im Mittelmeer zu stoppen.
Das ist auch Ziel der Organisatoren des Aktionstages. Sie prangern die Abschottungspolitik der Länder des Westens und Nordens mit ihren militärischen Grenzregimen an. »Die Grenzen sind heute ein Synonym für Tod, die Migrationspfade dieser Welt gezeichnet von Gräbern«, heißt es in ihrer Erklärung.
* Aus: neues deutschland, Dienstag, 18. Dezember 2012
"Das ist kein Leben"
Menschenrechtler Anthony Maw Stevenson über den Flüchtlingsprotest in Österreich **
ANTHONY MAW STEVENSON ist Politikwissenschaftler
und Jurist. Er
engagiert sich im Verein der afrikanischen
Minderheit in Österreich.
Stevenson, in Sudan geboren, lebt
seit 1983 in Österreich und unterstützt
politische Flüchtlinge, die in
Wien für einen sicheren Status und
bessere Lebensbedingungen protestieren.
Nach einem Marsch von der
zentralen Aufnahmestelle für Flüchtlinge
in Traiskirchen nach Wien haben
ein paar hundert Migranten und
Aktivisten am 24. November ein
Camp eingerichtet. Mit ihm sprach
KATJA HERZBERG.
Welche Gründe gibt es für
Flüchtlinge in Österreich zu protestieren?
Ein Problem ist staatlicher Rassismus.
Nach Ansicht der Polizei
sind alle Asylbewerber Drogendealer
und kriminell. In den letzten
Jahren starben mehrere Afrikaner
wegen Polizeigewalt, wie
etwa 1992 Marcus Homofomen
und 2003 Chebeni Ouage. Gleichzeitig
werden immer wieder Asylsuchende
ohne Grund geschlagen
und verhaftet. Und es sterben immer
wieder Menschen in Abschiebehaft
und bei Abschiebungen.
Zum Beispiel wenn sie zu viel
Schlafmittel bei den Flügen verabreicht
bekommen. Der Protest
richtet sich aber auch generell gegen
Abschiebungen. Die FPÖ hat
jüngst in den Medien erklärt, dass
in den letzten drei Monaten 70 000
Asylsuchende abgeschoben worden
sind.
Wie lauten Ihre konkreten Forderungen
an die Politik?
Wir fordern, dass jeder Flüchtling
eine ordentliche Unterkunft bekommt,
einen Deutschkurs besuchen
kann und anwaltliche Hilfe
für das Asylverfahren erhält. Wer
Asyl bekommt, dem muss auch erlaubt
werden, hier zu arbeiten.
Wenn diese Bedingungen erfüllt
werden, beenden wir unseren
Protest sofort. Die Unterbringung
in Containern in den Bergen und
nur unregelmäßige Deutschkursangebote
sind unzureichend. Außerdem
wollen nicht alle Flüchtlinge
in Österreich bleiben. Aber
sie können nicht weg, weil einige
von ihnen viele Jahre keinen Bescheid
über ihren Asylantrag bekommen.
Wir kennen Fälle von
Männern, die zehn oder 15 Jahre
auf die Entscheidung warten. In
der Zeit dürfen sie nicht arbeiten
oder nur ab und zu bei der Straßenreinigung
und sie bekommen
nur wenig Geld. Das ist kein Leben.
Viele von ihnen sind politische
Flüchtlinge.
Und die sind nun auch im Camp?
Ja, im Camp sind nur politische
Flüchtlinge. Insgesamt sind dort
zurzeit 320 Personen. Bei Demonstrationen
kommen weitere
aus anderen Bundesländern Österreichs
dazu.
Haben Sie das Gefühl, der Protest
hat schon etwas bewirkt?
Nach der Demonstration am Montag
zu den Büros der Vereinten
Nationen wurden drei Sprecher
empfangen. Sie haben unsere Forderungen
vorgetragen, aber das
Gespräch blieb ohne Ergebnis. Wir
hatten gehofft, dass das UN-Büro
mit den Botschaften anderer Länder
spricht, sodass dort Flüchtlinge
von hier aufgenommen werden.
Länder wie Finnland, Norwegen
und Kanada brauchen Arbeitskräfte.
Wie geht es jetzt weiter?
Nächste Woche machen wir wieder
eine Demonstration durch
Wien. Und wir wollen das Camp
weiter aufbauen und Politiker,
Künstler und prominente Leute
einladen, um zu diskutieren und
mehr Aufmerksamkeit zu schaffen.
Es muss eine Lösung gefunden
werden. Wir können Hilfe von
jedem gebrauchen, der uns dabei
unterstützen will, dass wir menschenwürdig
behandelt werden.
Wie ist das Leben im Camp?
Wir bekommen zwar Spenden von
der Bevölkerung, aber es mangelt
an Essen. In den kleinen Zelten ist
es kalt und windig. Zehn von uns
sind schon krank und werden nicht
ärztlich versorgt. Das Österreichische
Rote Kreuz sagt, es könne
sie nicht behandeln, weil wir
keine Versicherung haben. Auch
die hygienischen Bedingungen
sind schlecht. Das Bundesasylamt
hat uns bisher nicht geholfen.
Besteht die Gefahr, dass das
Flüchtlingscamp von der Polizei
geräumt wird?
Die zuständigen Magistrate der
Bezirke haben versichert, dass das
Camp noch mindestens fünf Wochen
bleiben darf.
Wird das Zeltlager von anderen
Seiten bedroht, etwa von Anwohnern
oder Rechtsradikalen?
In der letzten Woche kamen ein
paar Skinheads und Burschenschafter.
Aber die sind schnell
wieder weggelaufen (lacht), weil
wir viel mehr Leute waren.
* Aus: neues deutschland, Dienstag, 18. Dezember 2012
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