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Aufmerksamkeit für ein Menschenrecht

Aktivisten von "Boats4People" beenden ihre Aktionstage im Mittelmeer gegen die "Festung Europa"

Von Matthias Heintze, Monastir *

Aktivisten des internationalen Bündnisses »Boats4People« waren eine Woche lang in Italien und Nordafrika unterwegs. Sie wollten auf das Schicksal von Flüchtlingen, die versuchen, über das Mittelmeer nach Europa einzureisen, aufmerksam machen.

Es war ausgerechnet das Mittelmeer, das die Planungen der Aktivisten durchkreuzte: Der Wasserspiegel war nicht hoch genug. Und so konnte der Motorsegler »Oloferne« am Freitagabend nicht zum großen Finale der Aktionstage von »Boats4People« (Boote für Menschen, B4P) in den Hafen des tunesischen Monastir einlaufen.

Fast zwei Wochen war das Schiff von Italien nach Nordafrika gefahren, als Teil einer transnationalen Protesttour gegen das Sterben Tausender Migranten an der Südflanke Europas. Mehrere Hundert Unterstützer warteten am Ufer vergebens auf das auf eine Sandbank gelaufene Schiff. Die Besatzung musste in kleinen Motorbooten an den Strand gebracht werden, bevor eine Gedenkfeier für die Toten der »Festung Europa« beginnen konnte.

Die Fahrt der Oloferne war von einer ganzen Reihe von Aktionen auf beiden Seiten des Mittelmeers begleitet worden. Rund 60 Aktivisten aus Europa, Tunesien, Mali, Libyen und Niger waren dafür zusammengekommen. »Wir wollen die Augen der Öffentlichkeit auf die Tragödien richten, die die europäische Abschottungspolitik produziert«, sagt der B4P-Koordinator Nicanor Haon.

Ihre Aktionstage waren überschattet worden von dem bislang größten Schiffsunglück in der Region in diesem Jahr. Am Dienstagabend war bekannt geworden, dass 54 Eritreer, die Ende Juni in Libyen in See gestochen waren, auf dem Meer gestorben sind. Sie konnten zwar binnen eines Tages die italienische Küste fast erreichen, wurden dann aber vom Wind wieder auf das offene Meer hinausgetrieben. Eine Delegation von B4P besuchte den einzigen Überlebenden im Krankenhaus von Zarzis in Tunesien.

Zuvor hatten sich die B4P-Aktivisten in Sizilien das Internierungslager Milo angesehen, wo Italien über 180 Tunesier teils monatelang in Abschiebehaft hält. Auf zwei Mittelmeerfähren demonstrierten sie gegen die militärische Abschirmung der EU-Seegrenze. In Tunesien besuchten sie das Camp Choucha an der libyschen Grenze. Dort sitzen seit dem Libyen-Krieg über 3000 Flüchtlinge aus Eritrea, Somalia oder Äthiopien fest - bei Temperaturen von über 40 Grad und rationiertem Trinkwasser. Viele von ihnen sind nicht als Flüchtlinge anerkannt und müssen mit Abschiebung rechnen. Immer wieder versuchen deswegen Menschen aus Choucha, per Boot nach Italien zu gelangen.

Die B4P-Aktivisten brachten eine Gruppe der Campbewohner nach Monastir. Dort waren am Wochenende Hunderte Gewerkschafter und Delegierte aus der ganzen Welt zusammengekommen, um das erste Weltsozialforum in der Arabischen Welt, das Anfang 2013 in Tunesien stattfinden wird, vorzubereiten. Migration soll ein Schwerpunktthema des Treffens werden.

Die Vorträge, die B4P am Freitag in den Räumen der Universität von Monastir hielt, zogen Hunderte Zuhörer an. Unter ihnen waren viele Mütter von Harraga, Flüchtlingen, die auf der Fahrt nach Europa verschwunden waren. »Eure Kinder könnten noch leben, aber sie sind tot, denn es wird ein Krieg gegen die Armen geführt, die aus dem Süden kommen«, sagte ein aufgebrachter algerischer Teilnehmer. »Wir müssen uns organisieren und diese Art von Neokolonialismus bekämpfen«, rief er.

Auch die Choucha-Flüchtlinge kamen zu Wort: »Wir sitzen in der Wüste fest, dort kann kein Mensch länger leben. Europa darf das nicht länger zulassen. Wir brauchen Hilfe«, sagte ein junger Somalier. »Europa will den freien Austausch von Waren und Kapital mit Afrika«, sagte ein Aktivist aus Mali. »Aber die Afrikaner sollen draußen bleiben. Um dies durchzusetzen, wird sogar ihr Tod in Kauf genommen. Das dürfen wir nicht hinnehmen«, sagte er.

* Aus: neues deutschland, Montag, 16. Juli 2012


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