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"Nur wenige schaffen es, nach Melilla zu kommen"

Die Lage von Flüchtlingen, die über die spanische Enklave nach Europa wollen, wird immer dramatischer. Gespräch mit Miriam Edding *


Miriam Edding ist Mitarbeiterin der »Stiftung do«. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit sind die Menschenrechte von Migranten an den EU-Außengrenzen. Vor kurzem hat sie Flüchtlingsselbsthilfeorganisationen in Marokkos Hauptstadt Rabat und in Oujda besucht.


Immer wieder versuchen Flüchtlinge von Marokko aus ins spanische Melilla zu gelangen, um in Europa Asyl zu bekommen. Was findet dort aktuell statt?

Melilla ist eine Enklave auf marokkanischem Gebiet, die Stadt gehört aber zu Spanien. Bekommen afrikanische Flüchtlinge dort einen Fuß auf den Boden, können sie nach europäischem Recht Asyl beantragen. Flüchtlinge nutzen diesen Weg seit Jahren, die Situation hat sich aber extrem zugespitzt.

Ihre Versuche werden zunehmend verzweifelter. Gruppen von Migranten leben selbstorganisiert in Plastikzelten in Wäldern in der Umgebung von Nador und Tanger. Sie warten auf ihre Chance, nach Melilla oder in die andere spanische Enklave Ceuta zu kommen. Oder sie warten auf eine Überfahrt per Boot nach Europa.

Wie ist die Grenze zu Melilla gesichert?

Vor 2005 war es immer wieder möglich, von diesen Enklaven, die kleine Städte sind, auf das spanische Festland zu gelangen. Aber damit man erst einmal in die Enklave gelangt, muß heutzutage ein sieben Meter hoher Zaun überwunden werden. Dahinter ist ein Streifen Niemandsland, in dem scharfe Hunde laufen. Dann kommt ein weiterer Zaun, an dem spanische Grenzschützer Flüchtlinge abfangen, er wird mit Flutlicht erhellt und per Videokameras überwacht. Dennoch gibt es immer wieder organisierte Versuche, den Zaun zu überwinden; die marokkanischen Medien bezeichnen das als »Angriffe«.

Und wie versuchen die Flüchtlinge, diese Grenze zu überwinden?

Sie organisieren sich in Gruppen, legen Leitern an die Zäune an; dabei nehmen sie ein hohes Verletzungsrisiko in Kauf. Meist nehmen sie spanische Grenzer direkt auf der anderen Seite in Melilla in Empfang und übergeben sie wieder ihren marokkanischen Kollegen. Dabei schlägt die Polizei oft brutal zu. Nur wenige schaffen es, durchzukommen; so wie es vor wenigen Tagen 60 Flüchtlingen gelungen ist. Nach europäischem Asylrecht müßten sie nach ihrer Ankunft auf europäischem Boden gefragt werden: »Möchten Sie einen Asylantrag stellen?« Aber das passiert nicht.

Woher kommen die Flüchtlinge?

Aus Kamerun, Mali, Nigeria, dem Kongo, der Elfenbeinküste etc. Ihnen ist bekannt, daß immer wieder Menschen auf ihrer Flucht ums Leben kommen. Trotzdem zeigt sich, daß Migration mit militärischen Mitteln nicht zu stoppen ist. Es gibt genug Gründe, dieses Risiko nicht zu scheuen: Die Menschen fliehen vor Krieg, Verfolgung, wirtschaftlicher Not und Arbeitslosigkeit.

Bei Polizeirazzien in marokkanischen Orten soll es seit Ende Juli zwei Tote und zahlreiche Schwerverletzte gegeben haben ...

Die Polizeigewalt hat seit diesen Vorfällen extrem zugenommen: Der 39jährige Toussaint-Alex ­Mianzoukouta aus dem Kongo ist vor einer Woche aus dem Polizeibus gestoßen worden – und starb wenige Tage später im Krankenhaus. Er hatte sogar gültige Papiere dabei, aber das interessierte die Polizei nicht. Die 16jährige Tina von der Elfenbeinküste wurde vor wenigen Tagen bei einer Polizeikontrolle in Tanger an den Rand der Stadt verschleppt und mehrere Stunden vergewaltigt. Die Polizisten stahlen ihr das Handy und alles Geld.

Die Menschenrechtsorganisation Chabaka aus Tanger fordert die strafrechtliche Verfolgung der Verantwortlichen und ein Ende der Razzien, willkürlichen Festnahmen, Schläge und Diebstähle. Und auch der Deportationen über die algerische Grenze: Die Polizei lädt nämlich Flüchtlinge auf Lastwagen, fährt sie über die Grenze nach Algerien und setzt sie mitten in der Wüste aus.

Wir fordern mit einer Faxkampagne, die Polizeirazzien zu beenden. Die Kampagne läuft auch in den Niederlanden und in Frankreich.

Interview: Gitta Düperthal

* Aus: junge Welt, Samstag, 10. August 2013

Weitere Informationen:

Musterbrief unter: kurzlink.de/Musterbrief

Brief/e-mail an:
Botschaft des Königreichs Marokko, Niederwallstraße 39, 10117 Berlin; Fax: +49 (0) 30 20 61 24 20; E-Mail: kontakt@botschaft-marokko.de

www.stiftung-do.org




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