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Lampedusa: Arme gegen Verzweifelte

Einwohner der Insel fühlen sich im Stich gelassen / Rom kündigt "Säuberung" an

Von Anna Maldini, Rom *

Auf der italienischen Insel Lampedusa ist am Mittwoch der Streit zwischen Flüchtlingen und Einwohnern eskaliert: Als hunderte Tunesier mit dem Ruf »Freiheit, Freiheit« für ihren Transfer aufs Festland demonstrierten, bewarfen die Einwohner sie mit Steinen, wie italienische Medien berichteten. Mehr als ein dutzend Menschen wurde verletzt, als die Polizei mit Schlagstöcken gegen die Flüchtlinge vorging.

Wochenlang war es in der Presse still um Lampedusa. Tatsächlich aber hat sich die Lage weiter verschärft, und in den letzten Tagen kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Migranten, Polizei und Einwohnern der Insel. Und wieder einmal verspricht die Regierung, alles innerhalb von wenigen Stunden zu lösen.

Die großen Flüchtlingsströme aus Tunesien scheinen erst einmal gestoppt, aber tatsächlich kommen immer weiter kleinere Gruppen von Migranten über das Mittelmeer und landen dann auf Lampedusa. Hier werden sie in ein Auffanglager gesteckt, wo sie manchmal monatelang warten müssen, bevor sie erfahren, wie ihr Schicksal aussehen wird. Die jungen Tunesier wollen Asyl in Italien – und damit in Europa –, aber die meisten von ihnen erfüllen die strengen Voraussetzungen nicht und werden irgendwann wieder abgeschoben.

Anfang der Woche hat sich ihre Verzweiflung in Randale entladen: Einige Männer zündeten das Auffanglager an, in dem etwa 1000 Menschen lebten, und zogen dann über die Insel. Das hat wiederum die Wut und Verzweiflung der Lampedusaner entfacht, die in den letzten Monaten über 50 000 Menschen aufgenommen haben – und das bei einer Einwohnerzahl von rund 6000 Personen. Zu regelrechten Straßenschlachten mit einigen Verletzten kam es, als Migranten drohten, Gasflaschen vor einer Tankstelle explodieren zu lassen.

Die Inselbewohner fühlen sich mit ihren Problemen allein gelassen: »Ich habe in den kritischen Momenten immer wieder versucht, den Ministerpräsidenten oder den Innenminister zu erreichen – aber vergeblich«, erklärt Bürgermeister Dino de Rubeis. »Wir sind am Ende unserer Kräfte«, sagt er und erzählt, dass er inzwischen nie ohne Leibgarde aus dem Haus gehe und immer einen Baseballschläger bei sich trage. »Meine Mitbürger beschimpfen mich und sagen, ich sei zu weichherzig – aber ich kann die Flüchtlinge doch nicht persönlich von der Insel abtransportieren.« Dabei hatte Ministerpräsident Silvio Berlusconi im März sein Ehrenwort gegeben: »Innerhalb von 48 Stunden gehört die Insel nur noch den Lampedusanern und den Touristen.«

Jetzt hat die Regierung in Rom erneut versprochen, die Insel »zu säubern«: In wenigen Tagen werde kein Migrant mehr auf Lampedusa weilen, verspricht man im Innenministerium in Rom, und tatsächlich sind die ersten 500 Personen auch schon ausgeflogen worden. Aber die Einwohner der Insel glauben nicht mehr an diese Versprechen: Sie leben vom Tourismus, der aber in diesem Sommer eingebrochen ist, weil sich viele Reisende vor der angeblich unsicheren Lage fürchteten. Dafür machen die Lampedusaner auch die Presse verantwortlich, die ihrer Meinung nach diese Angst noch schürte. Deshalb entlud sich ihre Wut in diesen Tagen auch gegen die Journalisten auf der Insel.

Aber vor allem fühlen die Lampedusaner sich vom italienischen Staat absolut allein gelassen und wollen ihre Insel jetzt eigenhändig von den Migranten »befreien«. »Dies ist ein Krieg zwischen Armen und Verzweifelten«, kommentierte der Vertreter einer Flüchtlingsorganisation.

* Aus: Neues Deutschland, 23. September 2011


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