Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Klimawandel vertreibt Millionen

Studie erwartet bislang beispiellose Migrationsbewegungen

Von Walter Willems *

Bis Mitte dieses Jahrhunderts werden Hunderte Millionen Menschen durch Dürren, Überflutungen, Unwetterkatastrophen und den steigenden Meeresspiegel ihre Lebensgrundlage verlieren. Dies ist das Ergebnis einer Studie mit dem Titel »Obdach gesucht«, die ein Forscherteam vergangene Woche in Bonn vorstellte. Die ausgelösten Wanderungsbewegungen könnten alle bisherigen Dimensionen sprengen.

Die Studie

Die Studie "Obdach gesucht. Auswirkungen des Klimawandels auf Migration und Vertreibung" wurde verfasst von CARE International, dem Institut für Umwelt und menschliche Sicherheit der Universität der Vereinten Nationen (UNU-EHS) und dem International Earth Science Information Network (CIESIN) der Columbia Universität. Finanziell wurde sie von dem Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) und der Weltbank unterstützt. [Presseerklärung von CARE International siehe weiter unten im Kasten.]
Hier geht es zu einer Zusammenfassung der Studie (pdf-Datei).



»Das Klima ist die Hülle, in der wir alle unser tägliches Leben führen«, sagt Alexander de Sherbinin von der Columbia-Universität in New York. Zwar ließen sich die Folgen des Klimawandels kaum klar von denen politischer Wirren, von Wirtschaftskrisen und Bevölkerungswachstum trennen, betonen die Wissenschaftler der Columbia-Universität sowie der Universität der Vereinten Nationen und der Hilfsorganisation Care International in einer aktuellen Untersuchung. Doch bei der Ausprägung all dieser Probleme spiele die Erderwärmung eine entscheidende Rolle.

Vor allem der Zusammenbruch verschiedener Ökosysteme wird demnach viele Menschen aus ihrer Heimat vertreiben. So prognostizieren manche Klimamodelle etwa für Teile Mittelamerikas bis zum Jahr 2080 nur noch die Hälfte der derzeitigen Regenmenge. Und der steigende Meeresspiegel bedroht die Existenz von rund 40 Ländern wie etwa den Malediven. Dadurch werden nicht nur viele intensiv bewirtschaftete Regionen wie in den Deltas von Nil, Mekong oder Ganges in den Fluten versinken, das einsickernde Salzwasser dürfte weit größere Landstriche unfruchtbar machen.

»In diesem nur allzu wahrscheinlichen Szenario würden große Populationen dazu gezwungen, zum nackten Überleben abzuwandern«, heißt es in einer Erklärung von Care International. Bis Mitte dieses Jahrhunderts werden sich manchen Studien zufolge bis zu 700 Millionen Menschen auf die Suche nach einer neuen Heimat machen.

Angesichts dieser gewaltigen Bedrohung müsse die Staatengemeinschaft dringend eine Einigung erzielen, um den Ausstoß der Treibhausgase zu senken, heißt es in dem Bericht weiter. Aber selbst dann lassen sich viele Folgen nur noch begrenzen. Daher sollten die Staaten vor allem die verletzlichsten Teile ihrer Bevölkerungen vor den Auswirkungen schützen und sich etwa darauf vorbereiten, Menschen aus tief gelegenen Gebieten andernorts eine Lebensgrundlage zu bieten. Das dürfte aber auch angesichts des Bevölkerungswachstums schwierig werden: Bis zum Jahr 2050 wird die Zahl der Menschen von derzeit 6,8 auf voraussichtlich 9 Milliarden steigen.

* Aus: Neues Deutschland, 15. Juni 2009

Neue Studie: Klimawandel hat nachweisbare Auswirkungen auf Migration

200 Millionen Menschen könnten bis zum Jahr 2050 vor dem Klimawandel auf der Flucht sein

Bonn, 10. Juni 2009. Wenn jetzt keine konsequenten Maßnahmen zum Stopp der globalen Erwärmung ergriffen werden, so könnten die Auswirkungen auf Migration und Vertreibung alle negativen Erwartungen übertreffen. Der Klimawandel trägt bereits jetzt zu Vertreibung und Abwanderung bei. Alle Schätzungen gehen davon aus, dass in den nächsten Jahren Millionen Menschen auf der Flucht sein werden. Die Konsequenzen für die menschliche Sicherheit könnten verheerend sein. Dies sind die Hauptaussagen einer aktuellen Studie, die heute in Bonn im Rahmen der Klimaverhandlungen vorgestellt wurde. Die Studie „Obdach gesucht. Auswirkungen des Klimawandels auf Migration und Vertreibung“ wurde von CARE International, dem Institut für Umwelt und menschliche Sicherheit der Universität der Vereinten Nationen (UNU-EHS) und dem International Earth Science Information Network (CIESIN) der Columbia Universität verfasst.

Die genaue Zahl der Menschen, die auf der Flucht sein werden, ist ungewiss. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) schätzt, dass es bis zum Jahr 2050 etwa 200 Millionen Vertriebene aufgrund des Klimawandels geben wird. „Der Klimawandel hat heutzutage einen immer größeren Einfluss auf die Entscheidung der Menschen, ihre Heimat zu verlassen“, sagt Charles Ehrhart, Klimakoordinator von CARE und einer der Autoren der Studie. „Die möglichen Auswirkungen eines steigenden Meeresspiegels sind alarmierend. Im dicht besiedelten Flussgebiet des Mekongs in Vietnam würde ein Anstieg von zwei Metern die Häuser von 14,2 Millionen Menschen und die Hälfte des Ackerlandes überschwemmen“, so Ehrhart.

„Die meisten Menschen werden innerhalb des eigenen Landes Obdach suchen, während ein Teil in andere Länder ziehen wird“, ergänzt Dr. Wolfgang Jamann, Hauptgeschäftsführer von CARE Deutschland-Luxemburg. Jamann weiter: „So manche Vertreibung aus der Heimat könnte durch Anpassungsmaßnahmen verhindert werden.“ Doch Entwicklungsländern fehle es oft an Geld, um die Menschen bei der Anpassung an neue klimatische Bedingungen zu unterstützen. „Wir brauchen neue Denkanstöße und praktische Ideen, um die Gefahren zu verringern, die Klima-Migration auf menschliche Sicherheit und Gesundheit auslöst“, sagt auch Dr. Koko Warner vom Institut für Umwelt und menschliche Sicherheit an der Universität der Vereinten Nationen (UNU-EHS) und Hauptautorin der Studie.

Die Studie präsentiert neue empirische Daten, die im Rahmen einer erstmaligen, weltweiten Untersuchung ermittelt wurden. Dazu bieten die Autoren Politikempfehlungen und eine Analyse sowohl der Gefahr als auch der möglichen Lösungswege. Neue Landkarten zeigen die Bedeutung des Klimawandels und die Verteilung der Bevölkerung in bestimmten Regionen. „Wir müssen erkennen, dass Migration eine zwingende Reaktion auf die negativen Auswirkungen des Klimawandels ist“, sagt Dr. Warner. „Die politischen Entscheidungen, die wir heute treffen, bestimmen, ob Migration in Zukunft nur eine von mehreren möglichen Anpassungsmaßnahmen sein wird. Oder ob sie der tragische Beweis unseres kollektiven Scheiterns sein wird, weil wir nicht rechtzeitig bessere Alternativen geboten haben“, so Warner.

Sandra Bulling, stellvertretende Pressesprecherin von CARE International

Quelle: www.care.de




Zurück zur Seite "Migration, Flucht und Vertreibung"

Zur Umwelt-Seite

Zurück zur Homepage