Heute im Gefängnis, morgen im Flugzeug
Israel schiebt Hunderte afrikanische Flüchtlinge ab – Tausende weitere sollen noch folgen
Von Oliver Eberhardt *
Israels Innenministerium hat mehrere
Hundert Flüchtlinge nach Eritrea und
Südsudan abgeschoben, Tausende
weitere sollen folgen. Nach einem
jahrelangen Leben am Rande der Gesellschaft
reisen die Abgeschobenen
nun in eine unsichere Zukunft.
So sieht Abschied aus. Blitzlichter,
Hunderte davon, erhellen am
Montagabend das Rollfeld des Ben-
Gurion-Flughafens außerhalb von
Tel Aviv, während Männer und
Frauen, meist jung, manche sehr
jung, aus Bussen steigen. »Abschied,
geschrieben von den
Drehbuchautoren des Innenministeriums
«, sagt ein Kommentator
des zweiten israelischen Fernsehkanals,
der live überträgt. Für
einen Moment schwenkt die Kamera
über die Polizisten, die am
Rand wachen, zu zwei Männern
und Frauen. Mit der typischen
Gestik israelischer Regierungsbeamter
winken sie die aus den Bussen
Steigenden in Richtung der
Kameras. Er sei froh, zurückkehren
zu können, sagt ein junger
Mann, der sich John nennt, in fließendem
Hebräisch: »Wir sind hier
gut behandelt worden.« Eine Frau
erklärt: »Ich möchte mich bei denen
bedanken, die uns die Rückkehr
ermöglicht haben.« Laut Innenministerium
gehen sie freiwillig,
doch würden sie sich weigern,
drohte ihnen Gefängnis. Mit Verhaftungen
wurde bereits begonnen.
Kurz darauf hebt die Chartermaschine
mit 192 Menschen an
Bord in Richtung Eritrea ab.
In Israel leben nach Polizeischätzungen
bis zu 20 000 afrikanische
Flüchtlinge. Meist aus Eritrea
und den heutigen Ländern Sudans.
Sie sind im Laufe der Jahre
auf dem Landweg über die ägyptisch-
israelische Grenze eingereist,
auf der Flucht vor Krieg. Aber auch
vor tiefster wirtschaftlicher Not.
Nun hat Israels Innenministerium
damit begonnen, sie abzuschieben.
Und damit einen Sturm
der Entrüstung ausgelöst: Arbeiter,
Angestellte, Intellektuelle und
Politiker sind empört. »Ich selbst
bin vor vielen Jahren als Kind aus
Äthiopien eingewandert; ich
konnte das, weil ich Jude bin«, sagt
ein Kommentator des israelischen
Militärradios einem Nachrichtensender.
»Wären meine nichtjüdischen
Nachbarn mit mir gekommen,
könnten sie heute im Gefängnis
sitzen und morgen im
Flugzeug. Und das, obwohl wir aus
dem gleichen Grund gekommen
sind: Wir wollten weg aus dem
Krieg, und wir wollten weg vom
Hunger.« Der Unterschied: Jeder,
der wenigstens einen jüdischen
Großvater oder eine jüdische
Großmutter hat, darf Israeli werden.
Dieser Grundsatz wurde 1951
geschaffen, um jedem, der von
Antisemitismus betroffen sein
könnte, einen Hafen zu bieten. Davon
abgesehen besitzt Israel keine
Asylgesetzgebung. Obwohl die
Zahl der afrikanischen Einwanderer
ohne Papiere über die Jahre
stieg und die Thematik immer
wieder Anlass für öffentliche Debatten
gab, wurden keine Mechanismen
geschaffen, um wenigstens
Duldungen zu erteilen.
Dass es bis jetzt noch nicht zu
Massenabschiebungen gekommen
ist, liegt daran, dass der Oberste
Gerichtshof vor einigen Jahren
wegen der Sicherheitslage in Eritrea
und Sudan die Abschiebung in
diese Länder verboten hat – ein
Urteil, dass vor einigen Wochen
auf Antrag des Innenministeriums
aufgehoben wurde: Vor allem
Südsudan sei nach der Unabhängigkeit
des Landes sicher genug, so
das Argument der Behörde.
Dass das Ministerium Druck
macht, hat einen Grund: An seiner
Spitze sitzt Innenminister Eli Jischai
von der religiösen Schas-
Partei, deren Führung immer wieder
durch rassistische Ausfälle gegen
papierlose Einwanderer, Araber,
aber auch säkulare Juden von
sich reden macht. Ihre Wähler fordern
ein hartes Durchgreifen gegen
die Afrikaner, die vor allem in
den ärmeren Vierteln von Tel Aviv
das Straßenbild prägen. Immer
wieder kam es zu Angriffen auf
Menschen mit dunkler Hautfarbe.
Angriffe, die – wie Sprecher der
Polizei einräumen – durchaus auf
die Äußerungen des Innenministers
zurückzuführen sein könnten,
der die Abschiebung mit der »hohen
Kriminalität der Afrikaner«
begründet.
13 der Abgeschobenen sind
bereits am Dienstag Mittag wieder
in Israel: Bei der Ankunft hatte sich
herausgestellt, dass sie gar nicht
aus den betreffenden Ländern
stammen.
* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 20. Juni 2012
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