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Die Hoffnung stirbt am Mittelmeer

Die Flucht nach Europa endet für viele Afrikaner in Ceuta und Melilla - mit immer höheren Risiken

Von Ruth Reichstein, Ceuta *

Manche Flüchtlinge durchqueren halb Afrika zu Fuß, um die nordafrikanischen spanischen Exklaven Ceuta und Melilla zu erreichen. Dort stirbt für viele Afrikaner der Traum von einer Flucht nach Europa in einem überfüllten Auffanglager.

Abraham fühlt sich betrogen. 30 Tage lang hat er gefastet vor den Parlamentswahlen in Spanien im März. »Wir haben gebetet für Zapatero. Wir haben alles getan, damit er gewinnt. Jetzt wollen wir unsere Belohnung. Und er hat uns vergessen«, sagt Abraham. Er sei aus Sierra Leone in die spanische Exklave Ceuta im Norden Marokkos gekommen. Seine Mundwinkel verzerren sich. Der 24-Jährige ist verbittert und enttäuscht vom alten und neuen spanischen Regierungschef José Luis Rodriguez Zapatero. »In meinem Heimatland hat man mir erzählt, Zapatero liebe die Einwanderer. Es stimmt, sie behandeln uns gut hier im Flüchtlingslager, aber Papiere habe ich trotzdem keine bekommen. Was ist denn das für eine Liebe?«

Der Mann schlägt sich wütend mit den flachen Händen auf die Oberschenkel. Er ist einer von rund 2000 Flüchtlingen, die jedes Jahr in Ceuta ankommen. Etwa genauso viele sind es in Melilla, der zweiten spanischen Exklave, die ebenfalls an der marokkanischen Nordküste liegt. Gerade haben rund 70 Flüchtlinge den Grenzposten von Melilla gestürmt. Sie wollten sich so Zugang zu der Exklave verschaffen, die meisten von ihnen wurden aber aufgegriffen und in Abschiebelager gebracht.

Schon 2005 hatten mehrere Hundert Flüchtlinge versucht, Ceuta und Melilla zu stürmen. Über ein Dutzend Migranten kam dabei ums Leben. Zwar ist die Zahl der Flüchtlinge seither gesunken, denn Spanien hat die Zäune rund um die beiden Städte von drei auf sechs Meter erhöhen lassen, aber die Todesgefahr hält kaum einen der afrikanischen Flüchtlinge ab, den gefährlichen Weg nach Europa auf sich zu nehmen. Abraham war fast eineinhalb Jahre unterwegs -- von Sierra Leone nach Mali, von Mali nach Algerien, dann nach Marokko. Die meiste Zeit ist er zu Fuß gegangen, das letzte Stück vom marokkanischen Boden bis in die spanische Exklave ist er geschwommen: »Ich habe das extra gelernt. Ich hatte große Angst vor dem Meer, aber ich habe mir eine Schwimmweste gekauft. Es war die einzige Möglichkeit, nach Europa zu kommen. Jetzt will ich endlich von hier weg, rüber!«

Täglich beobachtet Abraham die Fähren, die »rüber« nach Europa fahren. Eines Tages will auch er auf solch einer Fähre fahren. Aber noch wartet er auf die Antwort der spanischen Regierung und hofft, dass sie seinen Asylantrag als politischer Flüchtling akzeptieren wird. »Sie sind wie besessen von ihrem Traum. Nichts kann sie davon abhalten«, sagt Valeriano Hoyas, Leiter des Flüchtlingslagers, das vom spanischen Sozialministerium in Ceuta betrieben wird. Die Flüchtlinge, die meistens von der Polizei ohne Papiere in den Straßen der Exklave aufgegriffen werden, bekommen ein Bett, etwas zu essen und medizinische Versorgung. Nur das, wonach sie sich am stärksten sehnen, nämlich ordentliche Papiere, bleibt der Mehrheit verwehrt. Und sie müssen in der ständigen Angst leben, doch abgeschoben zu werden.

Weil es für sie immer schwieriger wird, nach Ceuta und Melilla zu gelangen, suchen viele nach neuen Wegen. Immer zahlreicher werden die Boote, die versuchen, von Mauretanien oder Senegal aus auf die spanischen Kanaren zu gelangen. Die Überfahrt wird immer länger und immer gefährlicher. Im vergangenen Jahr starben nach Schätzungen von Nichtregierungsorganisationen in Ceuta mindestens 3500 Flüchtlinge auf ihrem Weg von Afrika nach Spanien.

Paula Domingo von der christlichen Hilfsorganisation Elín, die sich seit Jahrzehnten in Ceuta engagiert, hat wenig Verständnis für die europäische Einwanderungspolitik. Die neue EU-Richtlinie, die kürzlich vom Europäischen Parlament verabschiedet worden ist und europaweit strenge Regeln für die Abschiebung von Illegalen einführt, hält sie für eine Katastrophe. »Die europäischen Regierungen sollten endlich anfangen, etwas in Afrika zu ändern, damit die Leute erst gar nicht auf die Idee kommen, nach Europa auszuwandern. Das würde etwas bringen«, sagt sie. Denn eines sei sicher: »Europa kann die Grenzen noch so dicht machen, die Zäune noch so hoch bauen, die Flüchtlinge werden immer Wege finden, die Barrieren zu umgehen. Es wird nur immer gefährlicher werden.«

* Aus: Neues Deutschland, 1. Juli 2008


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