Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Griechischer Limes

Von Karl Kopp, PRO ASYL *

An der griechisch-türkischen Landgrenze, der Evros-Region, findet seit Sommer 2010 die größte Katastrophe der innereuropäischen Flüchtlingspolitik statt. Die Lager, in denen alle Neueinreisenden inhaftiert werden, selbst Familien mit Kindern und unbegleitete Minderjährige, sind brechend voll, die Lebensbedingungen unerträglich. Die griechische Regierung tat nichts, um diesen Notstand, das menschliche Leid zu beenden. Sie setzt stattdessen auf verstärkte Abwehr. Im Oktober 2010 forderte sie Einheiten der europäischen Grenzschutzagentur Frontex an und bereitet seit Januar 2011 den Bau eines neuen Limes vor: Stahl, Stacheldraht, Hightech und ein gigantischer Wassergraben sollen Flüchtlinge und Migranten an der Einreise hindern.

Das griechische Militär hat mittlerweile im Grenzgebiet zur Türkei mit dem Ausheben eines 30 Meter breiten und sieben Meter tiefen Grabens begonnen. Die ersten 14,5 Kilometer bei der Ortschaft Orestiada sind bereits fertiggestellt. Die neue Grenzbefestigung – ein wassergefüllter Panzergraben – soll 120 Kilometer lang werden. Darüber hinaus will die Regierung Papandreou eine Hightech-Grenzanlage auf knapp 10 Kilometern errichten. Dieser »zivile« Teil soll weitgehend von der EU finanziert werden. In dem Grenzabschnitt zwischen Kastanies und Nea Vyssa, wo der Fluss Evros innerhalb der türkischen Territoriums verläuft und nicht die Grenze bildet, sollen Doppelstahlzäune, Stacheldraht und Wärmebildkameras als zusätzliche physische Barrieren gegen Flüchtlinge errichtet werden. Die EU-Kommission eiert bei der Frage herum, wie viele Millionen aus Brüssel in die geplante martialische Anlage fließen.

PRO ASYL kritisiert, dass Griechenland nicht fähig und willens ist, ein menschenwürdiges Aufnahme- und Asylentscheidungssystem aufzubauen, gleichzeitig aber – mit europäischer Unterstützung – in die Abschottung investiert. Das Antifolterkomitee des Europarates hat erst in diesem Jahr festgestellt, dass die Zahl der unter menschenunwürdigen Bedingungen in Haftzentren im Evros-Gebiet festgehaltenen Menschen trotz gegenteiliger Versicherung der griechischen Regierung zugenommen hat, während sich die Lebensverhältnisse dort noch verschärft hätten. Die Europäische Grundrechteagentur stellte kürzlich fest, dass Griechenland 2009 9,8 Millionen Euro Nothilfe aus dem Europäischen Flüchtlingsfonds gewährt wurde. Damit sollten die Verhältnisse im Bereich der Gesundheitsversorgung, der Nahrung und der sozialen Betreuung verbessert und neue Unterbringungszentren gebaut werden. Beim Besuch der Grundrechteagentur Anfang des Jahres habe man jedoch keinen Beleg dafür finden können, dass die Fördermittel zur Verbesserung der Situation verwendet worden seien.

An der unmenschlichen Lage ist jedoch nicht allein Griechenland schuld. Fron-texverbände – auch aus Deutschland – agieren seit November 2010 im Evros-Gebiet. Sie patrouillieren an der Grenze und liefern Kinder, Frauen, Familien und besonders Schutzbedürftige in Haftlagern ab, in denen erniedrigende und unmenschliche Bedingungen herrschen. Frontexbeamte beteiligen sich an den Menschenrechtsverletzungen.

Griechenlands neue Wallanlage steht für die Vertiefung der Gräben in Richtung Nachbarland Türkei und ist eine Architektur gegen die Menschenrechte. Sie wird nicht die Flucht nach Europa verhindern, aber zusätzliche Tote und neues Leid verursachen.

Aus der anlaufenden militärischen Grenzaufrüstung müssen zwei Konsequenzen gezogen werden: Abzug aller Frontexbeamten und keine EU-Finanzhilfen für den griechischen Limes.

* Der Autor ist Europareferent der Nichtregierungsorganisation PRO ASYL Deutschland.

Aus: Neues Deutschland, 26. August 2011 (Rubrik: "Brüsseler Spitzen")



Zurück zur Seite "Migration, Flucht und Vertreibung"

Zur EU-Europa-Seite

Zur Griechenland-Seite

Zurück zur Homepage