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Miese Renten für Migranten

Hans-Böckler-Stiftung: Vier von zehn Einwanderern arm im Alter. Quote dreimal so hoch wie unter Deutschen

Von Christian Linde *

Die Einkommens- und Vermögenssituation der Älteren von heute ist überdurchschnittlich gut«, heißt es im vierten Armuts- und Reichtumsbericht, den die Bundesregierung im Frühjahr veröffentlichte. Daß Bedürftigkeit im Alter demzufolge »kein Problem« darstelle, begründete die schwarz-gelbe Koalition damit, daß Ende 2011 »lediglich« 436210 Personen über 64 Jahre Grundsicherung bezogen haben. Dies entspreche einem Anteil von nur 2,6 Prozent in dieser Altersgruppe. Daß die Quote der Bezieher von Mindestsicherungsleistungen in der Gesamtbevölkerung mittlerweile bei rund neun Prozent liegt, womit künftige Altersarmut programmiert ist, ignoriert die Bundesregierung. Ebenso, daß Brüche in der Erwerbsbiographie heute eher die Regel sind und daß Pflegezeiten ohne rentenrechtliche Absicherung oder verzögerte Rückkehr von Frauen in das Erwerbsleben aufgrund fehlender Kinderbetreuungsplätze das künftige Rentenniveau drücken.

Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung hat nun ermittelt, daß vor allem Menschen mit Migrationshintergrund von Altersarmut bedroht sind. Das zentrale Ergebnis seiner Anfang der Woche veröffentlichten Studie zum Thema: »Vier von zehn Ausländern im Rentenalter sind in Deutschland von Armut bedroht. Damit ist die Altersarmut unter älteren Ausländern, die oft als sogenannte Gastarbeiter kamen, mehr als dreimal so hoch wie unter Deutschen über 65 Jahren.« 41,5 Prozent der über 65jährigen Migranten waren demnach 2011 armutsgefährdet. 12,7 Prozent bezogen Grundsicherung, unter nichtmigrantischen Senioren waren es knapp drei Prozent.

Die Armutsrisikogruppe der Migranten ist laut WSI zwischen 2005 und 2011 von 171000 auf 268000 Personen angewachsen. 2011 erhielten die Bestandsrentner mit Migrationshintergrund im Mittel 811 Euro monatlich. Zum Vergleich: Neurentner bekamen durchschnittlich 623 Euro. Die Grundsicherung im Alter liegt derzeit bei 698 Euro. Noch weitaus niedriger fielen die Alterseinkünfte bei Frauen ausländischer Herkunft aus.

Eric Seils, Verfasser der Studie, betonte indes, die Entwicklung werde nicht bei den Migranten halt machen. Denn die Armutsgefährdungsquote unter Senioren sei insgesamt deutlich stärker gestiegen als bei Jüngeren, so der Sozialwissenschaftler. Regional verteile sich das Problem unterschiedlich. Während in Hamburg und Berlin 2011 rund zehn Prozent aller Senioren von Armut bedroht waren, lag der Wert im Saarland, in Bayern und Rheinland-Pfalz sogar bei rund 16 Prozent. Daß ausgerechnet im Freistaat die Ruheständler so stark betroffen sind, ergibt sich aus der Geschichte des Landes. »Als die heutigen Rentner im Erwerbsleben standen, zählte Bayern noch zu den ärmeren, stark ländlich geprägten Bundesländern«, so Seils.

Auch bei den ostdeutschen Männern zeichne sich eine »Wende zur Armut« ab. Seit dem Jahr 2000 seien die Renten in den neuen Bundesländern stark rückläufig. Wer zu DDR-Zeiten berufstätig war, weise in der Regel eine lückenlose Erwerbsbiographie vor. Demgegenüber waren die jüngeren Ruheständler häufig von der Massenarbeitslosigkeit infolge der deutschen Vereinigung betroffen.

Insgesamt bezogen 2011 laut Mikrozensus 13,3 Prozent aller Senioren ein monatliches Einkommen unter 848 Euro. Das entspricht 60 Prozent des »bedarfsgewichteten mittleren Einkommens«. Alleinstehende, die über weniger verfügen, gelten nach gängiger Definition als »armutsgefährdet« – in der Gesamtbevölkerung betraf das 15,1 Prozent der Menschen.

* Aus: junge Welt, Samstag, 13. Juli 2013


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