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Entrechtung und globale Ausbeutung

ILO-Report: Zwangsarbeiter werden weltweit um rund 21 Milliarden US-Dollar betrogen

Von Haidy Damm *

Sie arbeiten in der Landwirtschaft, in Textilfabriken, auf dem Bau und im Haushalt. Auch im 21. Jahrhundert ist das Thema Zwangsarbeit weiter aktuell. Kaum ein Arbeitsbereich ist davon ausgenommen. Die Internationale Arbeitsorganisation ILO beschreibt dies in ihrem Bericht »Die Kosten des Zwangs«. Doch es gibt auch wenige positive Entwicklungen, denn das Thema ist längst kein Tabu mehr.

Jüngst machte ein Fall mitten in Berlin Schlagzeilen. Eine heute 45-jährige Köchin aus Äthiopien musste jahrelang unter sklavenähnlichen Verhältnissen über 100 Stunden pro Woche in einem Restaurant schuften, die Wohnung ihres Arbeitsgebers putzen, sie wurde bedroht, ihr Pass lag in den Händen ihres Chefs. Im März 2007 wurde der Restaurantbesitzer zu sechs Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Von dem Geld, das ihr zusteht, hat die unter dem Namen Lakech Demise aufretende Frau bis heute nur einen Bruchteil erhalten.

Das Problem der Isolation

Ein Fall von vielen. Nach dem Bericht der ILO gibt es weltweit rund 12,3 Millionen Zwangsarbeiter. Tendenz steigend, in erster Linie betroffen sind Wanderarbeiter. Auch Hausangestellte, meist Frauen, sind einem besonderen Risiko ausgesetzt, denn sie sind durch die Privatheit ihrer Arbeitsstätte isoliert und haben kaum Möglichkeiten, sich zu befreien. Isolation ist auch das Risiko von Seeleuten, die nach Angaben der ILO oft zur Arbeit ohne Lohn gezwungen werden. So erhielt ein Mann von den Philippinen monatelang keine Heuer, weil der Reeder behauptete, er habe das Schiff verkauft. Andere dürfen ihr Schiff nicht verlassen, weil sie durch eine Anwerbegebühr verschuldet sind. Sie stehen mit angeblichen Kosten für Visa, Transport und Unterkunft in der Kreide. Dabei sind sie es, die um ihren Lohn betrogen werden. In fast allen Fällen ist der Lohn niedriger als zuvor ausgehandelt. Auf 21 Milliarden Dollar schätzt die ILO den Verlust, den die Opfer von Zwangsarbeit weltweit durch entgangenes Gehalt erleiden.

Der Report über Zwangsarbeit, der alle vier Jahre erscheint, zeige aber auch Erfolge, so Undine Gröner, ILO-Expertin für Zwangsarbeit und Menschenhandel. So sei Zwangsarbeit in den meisten Ländern unter Strafe gestellt. Doch in nur wenigen Ländern haben Regierungen und gesellschaftliche Organisationen sich dem Problem gestellt. So veröffentlicht die brasilianische Regierung alle sechs Monate eine »schmutzige Liste« mit Unternehmen, die nachweislich Zwangsarbeit einsetzen. Sie werden gezwungen, die Löhne nachzuzahlen, strafrechtlich verfolgt werden die Arbeitgeber jedoch auch hier meist nicht.

Die ILO fordert zur besseren Umsetzung einen globalen Aktionsplan. »Dazu gehören die Strafverfolgung der Täter ebenso wie Schutz und Entschädigung für die Opfer«, so Gröner. Doch die Strafverfolgung der Ausbeuter bleibt ein Problem. Nach einem Bericht der Vereinten Nationen wird nur ein Prozent der Opfer von Zwangsarbeit überhaupt identifiziert. Die UNO kritisieren die mangelnde Strafverfolgung in den einzelnen Ländern, nicht einmal 40 Prozent der Staaten haben auch nur einen einzigen Fall gemeldet. Klara Skrivankova, Koordinatorin bei der Nichtregierungsorganisation Anti-Slavery International, sagte: »Ohne dass wir die Opfer identifizieren können, können auch die Täter nicht verurteilt werden. Gesetze oder Konventionen allein reichen nicht, um die Menschen zu schützen.«

Krise darf keine Entschuldigung sein

Auch deshalb haben Gewerkschaften weltweit Anlaufstellen für Opfer von Zwangsarbeit geschaffen. Bereits 2007 hat der Internationale Gewerkschaftsbund einen Aktionsplan verabschiedet, der sich der Zwangsarbeit widmet. Diese Globale Gewerkschaftsallianz zur Bekämpfung von Zwangsarbeit und Menschenhandel arbeitet gemeinsam mit NGOs an Programmen, die sich mit den Rechten von Hausangestellten, Wanderarbeitern und mit Kinderarbeit befassen.

Doch es ist ein weiter Weg, auch das zeigt der Bericht. So warnen ILO-Experten und UNO gemeinsam davor, dass die weltweite Wirtschaftskrise nicht zur Entschudigung der Arbeitgeber führen dürfte, bisher erreichte Standards zurückzufahren. »Der erwartete Unterbietungskampf um Zulieferverträge kann zu einem Anstieg von Zwangsarbeit führen«, so UNO-Expertin Skrivankova.

* Aus: Neues Deutschland, 15. Mai 2009

Die Kosten des Zwangs

ILO stellt neuen globalen Bericht über Zwangsarbeit und Menschenhandel vor **

12. Mai 2009 - Knapp 21 Milliarden US-Dollar pro Jahr – auf diese Summe schätzt die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) den Verlust, den die Opfer von Zwangsarbeit und Menschenhandel auf der Welt durch entgangene Löhne und gezahlte Anwerbegebühren erleiden. Die Zahl der von Zwangsarbeit betroffenen Menschen beläuft sich nach einer früheren Schätzung der ILO auf 12,3 Millionen; 2,4 Millionen davon sind demnach durch Menschenhandel in diese Situation gekommen.

"Zwangsarbeit verursacht nicht nur enormes menschliches Leid, sondern die Arbeiter werden dadurch auch noch bestohlen", sagte der Generaldirektor der ILO, Juan Somavia. "Zwangsarbeit kann jedoch beseitigt werden, wenn sich die internationale Gemeinschaft – Regierungen, Arbeitgeber und Arbeitnehmer sowie zivilgesellschaftliche Organisationen – dafür nachhaltig engagiert."

Der neue ILO-Bericht "Die Kosten des Zwangs"* verweist auf die wachsende Zahl von unethischen, betrügerischen und kriminellen Methoden bei der Anwerbung von Arbeitskräften, durch die Menschen in zwangsarbeitsartige Bedingungen geraten. Die Autoren warnen, dass mit dem Verlust von Beschäftigungsmöglichkeiten im Zuge der Finanzkrise das Risiko von Menschenhandel und Zwangsarbeit sogar noch wächst.

Undine Gröger, ILO-Expertin für die Bekämpfung der Zwangsarbeit, erklärte bei der Vorstellung des Berichts in Berlin: "Das Beispiel der mobilen Inspektionseinheiten in Brasilien zeigt, dass Zwangsarbeit erfolgreich bekämpft werden kann. Seit 1995 wurden dort durch Kontrollen vor allem auf Farmen schon 30.000 Zwangsarbeiter befreit – allein 2007 waren es 6.000 Menschen."

Die größten Ausmaße nimmt das Problem in Asien an, wo Schuldknechtschaft und der Menschenhandel nicht zuletzt auch für sexuelle Ausbeutung nach wie vor verbreitet sind, gefolgt von Lateinamerika und der Karibik.

Der Report über Zwangsarbeit, der alle vier Jahre erscheint, zeigt eine Reihe von Erfolgen bei der Bekämpfung von Menschenhandel und Zwangsarbeit auf. So ist das Thema nicht länger ein Tabu, und die meisten Staaten haben inzwischen Gesetze verabschiedet, die den Einsatz von Zwangsarbeitern unter Strafe stellen. Doch zugleich haben sich neue Herausforderungen ergeben, zum Beispiel wenn legale Migranten sich plötzlich im Zielland in Zwangsarbeitsbedingungen wieder finden.

Die ILO schlägt in ihrem Bericht einen neuen Aktionsplan vor, der Unternehmen und Gewerkschaften mit einbeziehen soll und der auf dem bereits 2005 verabschiedeten Plan basiert. Er sieht verstärkte empirische Erfassung und die Entwicklung von Leitlinien und anderen Informationsmaterialien vor und setzt regionale Schwerpunkte. "Die verschiedenen Arten und Ursachen der Zwangsarbeit machen differenzierte Ansätze zu ihrer Bekämpfung nötig", so Gröger. "Ein integriertes Programm muss also die Strafverfolgung der Täter ebenso beinhalten wie Präventions-, Schutz- und Entschädigungsmaßnahmen für die Opfer."

** Quelle: Deutsche Website der Internationale Arbeitsorganisation (ILO); www.ilo.org/public/german/region/eurpro/bonn/




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