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Kampf gegen Todesstrafe und Ungleichheit

Über das Vermächtnis meines Mandanten Troy Davis

Von Thomas Ruffin *

Am 21. September 2011 war ich Zeuge, wie mein Mandant Troy Anthony Davis legal gelyncht wurde. Er starb kurz vor seinem 43. Geburtstag durch eine »tödliche Injektion«. Troy Davis war ein humorvoller Mann, ein gläubiger und politisch sensibler Schwarzer. Er wurde gegen seinen Willen zu einer Person des öffentlichen Interesses, weil ihm die Hinrichtung für ein Verbrechen drohte, das ein anderer begangen hat. Daß man ihn in Savannah, Georgia, für den sinnlosen Mord an einem weißen Polizisten zu Unrecht anklagte und vor Gericht stellte, war für ihn ein Martyrium, das er dennoch tapfer ertrug.

Nachdem er im August 1991 zum Tode verurteilt worden war, mußte Troy erkennen, daß es vor den Gerichten dieses Landes entgegen der behaupteten »Gleichheit« und »Fairneß« keine »Gerechtigkeit« für jene gibt, die zu Unrecht beschuldigt werden. Die hohe Zahl von Armen, Schwarzen und Latinos, die in den USA Gefängnis und Todesstrafe erleiden müssen, steht in krassem Mißverhältnis zu unserem tatsächlichen Anteil an der Gesamtbevölkerung.

In Georgia liegt der Anteil schwarzer Männer an der Bevölkerung bei nur 15 Prozent, sie stellen aber 48,4 Prozent der Insassen in den Todestrakten. In den Gefängnissen Georgias sind 61,5 Prozent der eingesperrten Männer und Frauen Schwarze, obwohl sie nur 30 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Wie die Geschichte zeigt, sollten uns diese Zahlen nicht überraschen. Von 1882 bis 1923 wurden in Georgia 458 Menschen vom weißen Mob gelyncht. Davon waren 95 Prozent oder 435 Menschen afrikanischer Herkunft. Von 1924 bis heute wurden in Georgia 471 Menschen »legal« gelyncht, von denen 74,9 Prozent oder 353 Schwarze waren.

Viele begriffen Troys Ermordung als direkten Angriff auf sich selbst. »Ich bin Troy Davis« muß deshalb für uns heißen, daß wir auf die Abschaffung der Todesstrafe in den USA innerhalb von drei bis fünf Jahren nach Troys Hinrichtung hinarbeiten. Gleichzeitig sollten wir eine Politik der Ungleichheit in der US-Gesellschaft beenden, durch die vor allem Menschen mit einer bestimmten Hautfarbe und Herkunft eingesperrt werden. Auch mit dieser Politik muß innerhalb von drei bis fünf Jahren Schluß sein.

Es ist eine Frage des Gewissens und solider Politik, daß diese beiden Forderungen miteinander verbunden werden. Die Geißel der Todesstrafe muß in den USA genauso beseitigt werden wie das um sich greifende Polizeistaatsapartheidsystem. Ethnische Minderheiten dürfen nicht mehr in die Gefängnisse geworfen, Unschuldige und Arme dürfen nicht mehr in Todestrakten legal gelyncht werden. Wir dürfen dem US-Polizeistaat angesichts seiner Geschichte der rassistischen Sklaverei und anderer Formen der Unterdrückung und seiner scheinbar unbegrenzten Macht, Arme, Schwarze und Menschen anderer ethnischer Herkunft zu schikanieren, nicht mehr trauen.

Mit anderen Worten, es muß Schluß sein damit, daß der Staat uns mit Gesetzen verfolgt, die er selber bricht. Wenn Verfassungsgrundsätze wie das Recht auf ein faires Verfahren und das Recht auf gleichen Schutz durch das Gesetz noch irgendeine Bedeutung haben sollen, dann dürfen ethnische Ungleichheit und Mißachtung der Unschuldsvermutung bei der Strafverfolgung nicht mehr die Norm sein. Wir sollten uns diesem Übel widersetzen, bis es nicht mehr existiert. Als Troy Davis in der Nacht des 21. September schon auf der Exekutionsbahre festgeschnallt war, hat er uns mit seinen letzten Worten dieses Mandat erteilt. Nun liegt es an uns, diese Aufgabe zu erfüllen.

* Aus: junge Welt, 9. Dezember 2011


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