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Das Deutsche Institut für Menschenrechte - Vision und Wirklichkeit

Wie soll es nach dem erzwungenen Rücktritt des ersten Direktors weitergehen?

Von Percy MacLean*

I. Die Aufgaben des Instituts

Mit der Gründung des Deutschen Instituts für Menschenrechte am 8. März 2001 hat Deutschland eine Forderung der Vereinten Nationen und des Europarats umgesetzt, die schon vor Jahren zur Einrichtung unabhängiger nationaler Menschenrechtsinstitute aufgerufen hatten (vgl. UN-Resolution 48/134 vom 20. Dezember 1993 nebst "Pariser Prinzipien" und Empfehlungen des Ministerkomitees des Europarates vom 30. September 1997, Nr. R [97] 14, Nr. R [97] 11). Ähnliche Institute bzw. Kommissionen gibt es bereits in zahlreichen Ländern der Welt, unmittelbares Vorbild für Deutschland war das Institut in Dänemark (www.humanrights.dk). Die Gründung des Deutschen Instituts für Menschenrechte erfolgte auf der Basis des von allen Fraktionen getragenen Bundestags-Beschlusses vom 7. Dezember 2000 (BT-Drucksache 14/4801), nachdem noch in der vorausgegangenen Legislaturperiode Anfang 1998 ein entsprechender Antrag gescheitert war. Das Institut, das als gemeinnütziger Verein gestaltet ist, soll als Einrichtung der Zivilgesellschaft einerseits zwar vom Staat grundfinanziert, gleichwohl aber - und dies ist für eine effektive Aufgabenerfüllung essentiell - politisch unabhängig sein (vgl. auch das Handbuch der Vereinten Nationen "National Human Rights Institutions", New York and Geneva, 1995). Dem 16-köpfigen Kuratorium gehören deshalb zwar auch Menschenrechtsexperten der finanzierenden Bundesministerien (für Justiz, Auswärtiges und Entwicklungshilfe) sowie ein Vertreter des Bundesrates an, jedoch ohne Stimmrecht, um die Unabhängigkeit des Instituts von der Politik zu stärken; zu den stimmberechtigten Mitgliedern hingegen gehören zwei Bundestagsabgeordnete aus dem Menschenrechtsausschuss (SPD und CDU/CSU) [obwohl auch diese natürlich als "Profi-Politiker" dem mehr oder weniger sanften Druck ihrer jeweiligen Fraktion ausgesetzt sein können], drei Vertreter des Forums Menschenrechte (von amnesty international sowie aus dem Diakonischen Werk und der Friedrich-Naumann-Stiftung), die Vorsitzende der Heinrich-Böll-Stiftung, vier Vertreter des UN-Bereichs (UNHCR, Frauenrechtsausschuss sowie Ausschüsse für bürgerliche und politische Rechte ["Menschenrechtsausschuss"] und für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte), eine Journalistin und last not least ein Vertreter der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration.

Ziel des Instituts ist es ganz allgemein, im Verbund mit den zuständigen Nichtregierungsorganisationen und staatlichen Stellen die Wirksamkeit der Menschenrechtsarbeit im In- und Ausland zu steigern. Laut Satzung sind folgende sechs Tätigkeitsfelder vorgegeben:

(a) Information und Dokumentation:
In Arbeit ist u.a. der Aufbau einer fachspezifischen Präsenzbibliothek mit einer Sammlung grundlegender Werke, Verträge, Rechtsprechungen, Resolutionen internationaler Menschenrechtsschutz-Organe und parlamentarischer Entschließungen zu Menschenrechten.

(b) Forschung:
Es sollen insbesondere Studien verfasst oder veranlasst werden, mit denen sich Strategien zur Vorbeugung, Vermeidung und Bewältigung menschenrechtsverletzender Situationen entwickeln lassen.

(c) Politikberatung:
Die anwendungsorientierte Ausrichtung des Instituts verpflichtet es, Vertreter von Politik und Gesellschaft in Menschenrechtsfragen zu beraten und Handlungsstrategien zu empfehlen, und zwar eigeninitiativ oder auf Anforderung.

(d) Menschenrechtsbezogene Bildungsarbeit im Inland:
Ziel ist die frühzeitige und emotionale Verankerung der Bedeutung der Menschenrechte in den Herzen und Köpfen, um zu einer unter menschenrechtlichen Gesichtspunkten aufgeklärt-kritischen Öffentlichkeit in Deutschland beizutragen. Dazu gehören
  • die Erstellung von Lehrprogrammen und Materialien für die Menschenrechts-erziehung in sensiblen Bereichen, z. B. in Behörden wie Polizei, Strafvollzugs-behörden und psychiatrischen Einrichtungen,
  • die Erarbeitung von Anregungen für schulische Curricula,
  • die Mitwirkung bei der Qualifizierung von Fachkräften der zivilen Konfliktbearbeitung zu menschenrechtsbezogenen Sachverhalten und Themen,
  • menschenrechtsbezogene Veranstaltungen, Seminare und Symposien.
(e) Internationale Zusammenarbeit:
Die internationale Arbeit des Instituts besteht im Wesentlichen im Austausch mit anderen vergleichbaren Einrichtungen im Ausland sowie in der inhaltlichen Begleitung der EU-, Europarats-, OSZE- und UNO-Menschenrechtsmechanismen.

(f) Förderung von Dialog und Zusammenarbeit in Deutschland:
Ohne bewährte zivilgesellschaftliche Strukturen zu verändern, soll das Institut als Katalysator wirken und die Menschenrechtsarbeit von Nichtregierungsorganisationen durch Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit stärken.

Bewusst wurde in den Zuständigkeitsbereich nicht aufgenommen die Tätigkeit als "Ombudsmann" für Individualbeschwerden mit Exekutivbefugnissen (über die z. B. Datenschutz- und Wehrbeauftragter verfügen). Insoweit hielt man - im Unterschied zu vielen anderen Staaten - das in Deutschland vorhandene Instrumentarium von Petitionsausschüssen, Härtefallkommissionen und Beratungsstellen zunächst für ausreichend. Sofern Einzelfälle an das Institut herangetragen werden, können sie also nur im Rahmen der personellen Möglichkeiten kompetent an andere Adressaten weitergeleitet werden. Gleichwohl sind sie zu dokumentieren, um herauszufinden, ob sich dahinter über die Politik klärungsbedürftige Grundsatzprobleme verbergen.

II. Projekte

Nach organisatorischem Vorlauf hat das Institut im Oktober 2001 unter Leitung der stellvertretenden Direktorin seine Aufbauarbeit begonnen, aber der erste Direktor konnte mit dem Verfasser dieser Zeilen erst zum August 2002 gewonnen werden. Von diesem Zeitpunkt an trat das Institut öffentlich in Erscheinung durch zahlreiche Presseartikel, Interviews, Vorträge und einen Empfang für Politik und Zivilgesellschaft. Zahlreiche Studien wurden als Werkverträge in Auftrag gegeben, z. B. zu folgenden Themen: Übersicht über die nationalen Menschenrechtsinstitutionen in Europa; Bestandsaufnahme der deutschen Menschenrechtsverpflichtungen, ihrer Beurteilung durch UN- und europäische Fachgremien und Umsetzung der Kommentare in Deutschland; Justiziabilität von wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechten; menschenrechtliche Erfordernisse bei der Bekämpfung des Terrorismus; Bestandsaufnahme der Menschenrechtsbildung in Deutschland; Kultur- und Rechtsdialog mit islamisch geprägten Ländern; Erstellung eines praxisorientierten Leitfadens für die Einlegung einer Menschenrechtsbeschwerde nach dem Zivilpakt; Rassismusbekämpfung; Recht auf Arbeit; Menschenrechts-Feldoperationen; Menschenrechtsorganisationen in Russland). Ferner fanden statt ein Expertentreffen zur Abschiebungshaft, ein Kolloquium zum 6. Menschenrechtsbericht der Bundesregierung, zwei Tagungen zum UN-Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (Individualbeschwerde), ein Seminar mit dem Raoul Wallenberg Institut über Vorbehalte gegen Menschenrechtsabkommen (Lund/Schweden) und eine internationale Konferenz in Berlin zur Einführung der Individualbeschwerde nach dem Sozialpakt. An Tagungen von europäischen Menschenrechtsinstitutionen in Island und Irland nahm die Direktion ebenfalls teil. Für Studenten der drei Universitäten in Berlin und Potsdam fand ab Ende Oktober 2002 ein wöchentliches Kolloquium zu menschenrechtlichen Themen statt. Ein beständiger Erfahrungsaustausch zu Fragen von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewaltbereitschaft soll aufgenommen werden mit dem Ziel, gesellschaftspolitische Reflektion zu stärken und Menschenrechtsverletzungen in Deutschland vorzubeugen. Schließlich stehen auch Themenschwerpunkte wie "Menschenrechte und Wirtschaft", "Menschenrechte und Medien", der "Schutz von Menschenrechtsverteidigern" sowie eine Bestandsaufnahme der psycho-sozialen Betreuung von Folter- und Gewaltüberlebenden in der Planung. Letzteres Thema gehört in den Gesamtzusammenhang "Menschenrechte von Schutz suchenden Ausländern" mit dem Ziel einer Analyse von Gesetzeslage und Behördenpraxis gegenüber Bürgerkriegsflüchtlingen und Asylbewerbern unter menschenrechtlichen Aspekten (Einschränkung der Freizügigkeit, Arbeitsverbote, Heimunterbringung, Gemeinschaftsverpflegung, Einkauf mit Chip-Karten, gesundheitliche Versorgung, Bedingungen und Dauer der Abschiebungshaft u.ä.). Für das Jahr 2003 wurde ein Schwerpunkt der Institutsarbeit auf die Menschenrechtsbildung in Schulen gelegt.

Aktuelle Informationen sind über die Website (im Aufbau) zu beziehen: www.institut-fuer-menschenrechte.de.

III. Der erzwungene Rücktritt des Direktors

Insgesamt zeichneten sich schon kurz nach Amtsantritt des Direktors erste Erfolge ab: Das Medienecho war ausschließlich positiv, die Politik in hohem Maße kooperationsbereit (lediglich das Bundesinnenministerium zeigte sich empört, weil Ausländer- und Flüchtlingsfragen thematisiert wurden) und die Zivilgesellschaft setzte - wie die Presse - in erster Linie deshalb große Hoffnungen in das Institut, weil es sich schwerpunktmäßig auch inlandsbezogener Menschenrechtsthemen annahm. Vorbild war insoweit wie in vielen anderen Bereichen das Dänische Institut für Menschenrechte, das z. B. einen jährlichen Bericht über die Menschenrechtslage in Dänemark veröffentlicht. Gerade an der Bearbeitung von Inlandsthemen jedoch entzündeten sich (zunächst nahezu unmerklich) Konflikte mit einigen Kuratoriumsmitgliedern, weil es nach deren Meinung politisch zu brisant bzw. nicht im engeren Sinne menschenrechtlich relevant sei, sich mit der Situation und den Rechten z. B. von Ausländern, Flüchtlingen, Pflegebedürftigen und Arbeitslosen in Deutschland zu befassen. Es sei doch völlig in Ordnung - so ein Kuratoriumsmitglied -, Sterbende aus medizinischen Gründen an Schläuche zu hängen; wer das als vielfach problematisch beklage und eine personalintensive und damit würdevollere Betreuung im Sinne der Hospizbewegung anmahne, handele schlicht emotional, argumentiere aber nicht "menschenrechtlich". Und wer das Menschenrecht auf Arbeit zu sehr in den Vordergrund rücke, wecke - so ein anderes Kuratoriumsmitglied - Erinnerungen an den untergegangenen Sozialismus, der ja nun historisch versagt habe. Auch sei es für das Institut eigentlich zu konkret, ein Forschungsprojekt zur Integration weiblicher Asylberechtigter aufzulegen; das könnten auch andere Einrichtungen leisten. Insgesamt konzentriere sich die Arbeit des Direktors - so ein drittes Kuratoriumsmitglied gegenüber der Presse - zu stark auf die Verwirklichung einzelner Rechte in Deutschland; das Kuratorium lege demgegenüber mehr Wert "auf die Beobachtung und Begleitung der internationalen Debatte über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte" und deren "Verankerung im Völkerrecht". Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass sämtliche von der Institutsleitung in Auftrag gegebenen Studien und in der Öffentlichkeit angesprochenen Themen vom Aufbau- und Entwicklungsplan abgedeckt waren, den das Kuratorium selbst beschlossen hatte.

Schließlich fühlte sich der konservative Block des Kuratoriums nicht nur sachlich, sondern auch personell nicht genügend im Institut vertreten, so dass z. B. Rechtfertigungen für konkrete Personalentscheidungen verlangt wurden, obwohl diese eindeutig in die alleinige Zuständigkeit der Direktion fallen.

Eine Minderheit der Kuratoriumsmitglieder (sechs von sechzehn), die aber wegen krankheitsbedingter Abwesenheit des Vorsitzenden zufällig gerade die Mehrheit der Stimmberechtigten darstellte, entzog daraufhin dem Direktor am 8. Januar 2003 das Vertrauen und zwang ihn zum Rücktritt, ohne ihm auch nur eine Chance zu geben, sich zu konkreten Vorwürfen zu äußern oder auf Anregungen einzugehen. Zuvor war "handstreichartig" ohne Diskussion und unter Überschreitung der satzungsmäßigen Kompetenz aus dem Studienprojekt zum Menschenrecht auf Arbeit der gesamte deutschlandbezogene Teil herausgenommen und ein besonders wesentliches Unterprojekt gänzlich gestrichen worden: Die auf zwei Monate angelegte Dokumentation des Projektes OPE (Objectif Plein Emploi) aus Luxemburg. OPE ist ein Netz von Initiativen zugunsten lokaler Entwicklung und Beschäftigung, das im Jahr 2000 für 654 Personen Beschäftigung bot (= 15% der Arbeitslosen in Luxemburg), und versteht sich als Agentur zur Umsetzung des Rechts auf Arbeit. Zu diesem Zweck entwickelt es in enger Kooperation mit Politik, Zivilgesellschaft und Wirtschaft öffentliche Dienstleistungen zur Förderung des Gemeinwohls (handwerkliche Nachbarschaftsdienste, Betreuung von Kleinkindern, Hilfe für ältere Mitbürger u.ä.), die vom Privatsektor nicht gedeckt sind und nach den vorliegenden Forschungsergebnissen aufgrund einer Kosten-Nutzen-Analyse keine höheren finanziellen Aufwendungen erfordern als die Finanzierung der Untätigkeit. Dieses Modell könnte unter speziell menschenrechtlichen Gesichtpunkten vernetzende Impulse einerseits für die bislang Arbeitslosen und andererseits für die Empfänger dringend benötigter sozialer Dienstleistungen in Deutschland bieten und war deshalb von der Institutsleitung als besonders wesentlich eingestuft worden, um eine Grundlage für die Beratung der deutschen Politik zu gewinnen.

Insgesamt erinnern die Vorgänge an die Bedrohung des Dänischen Menschenrechtsinstituts im vergangenen Jahr, das ebenfalls wegen seiner inlandsbezogenen Aktivitäten (insbesondere für politisch Verfolgte) in das Visier der Politik geraten war und nur durch die Solidarität der internationalen Menschenrechtsinstitutionen gerettet werden konnte.

IV. Reaktionen der Öffentlichkeit

Der erzwungene Rücktritt des für vier Jahre gewählten Direktors nach nur halbjähriger Amtszeit bedeutet einen schweren Rückschlag und Ansehensverlust für das Institut. Dies erhellt allein schon aus folgender Überlegung: Sofern sich der Vorgang beim Nachfolger wiederholen würde, wäre das Institut am Ende. Kein Euro aus Steuergeldern könnte mehr guten Gewissens in einen derart zerstrittenen Betrieb investiert werden. Das Institut ist also bereits dicht an den Rand seines Untergangs manövriert worden, einen weiteren "Freischuss" kann es nicht geben.

Hinzu kommt das einhellig negative Echo der Zivilgesellschaft auf den Rücktritt. Zahlreiche Verbände und Initiativen, Menschenrechtsbeauftragte und auch Politiker haben protestiert und ihr Unverständnis bekundet. Das Forum Menschenrechte als größter Zusammenschluss von menschenrechtlich orientierten Nichtregierungsorganisationen, das selbst über drei Sitze im Kuratorium des Instituts verfügt, nahm den erzwungenen Rücktritt "mit Sorge zur Kenntnis" und beklagte, dass in der Öffentlichkeit der Eindruck entstanden sei, das Institut sei nicht politisch unabhängig. Sodann nannte es als "Aufgaben besonderer Priorität" genau diejenigen, die auch die Schwerpunkte des zurückgetretenen Direktors gewesen waren:
  • Umsetzung der international eingegangenen und aus dem Grundgesetz abzuleitenden menschenrechtlichen Verpflichtungen in Deutschland;
  • Schutz von Flüchtlingen in der Bundesrepublik Deutschland u.a. durch die Umsetzung der menschenrechtlichen Normen im Bereich des internationalen Flüchtlingsschutzes;
  • Operationalisierung und rechtliche Einklagbarkeit, sowie die Umsetzung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Menschenrechte in Deutschland.
Insgesamt waren sachlich vertretbare Gründe für den Vertrauensentzug durch sechs Kuratoriumsmitglieder nach außen in keiner Weise erkennbar. Selbst in der Kuratoriumssitzung vom 8. Januar 2003 bestand Konsens, dass das Institut gute Arbeit geleistet hatte, und in der Presseerklärung vom 15. Januar dankte das Kuratorium dem Direktor "ausdrücklich für seine aufopferungsvolle, einsatzfreudige und fachlich hervorragende Arbeit". Deshalb fiel auch das Medienecho auf den erzwungenen Rücktritt entsprechend fatal aus. Insbesondere wurde wenig Verständnis für die Motive der sechs Kuratoriumsmitglieder gezeigt, wie sie in der Presseerklärung vom 15. Januar 2003 anklangen ("erhebliche Meinungsverschiedenheiten über die Ausgestaltung und die Prioritäten der Arbeit des Instituts sowie die Außendarstellung dieser Arbeit"). Denn da die Schwerpunktsetzung des Direktors (die sich innerhalb des vom Kuratorium beschlossenen Aufbau- und Entwicklungsplanes hielt) von seinen öffentlichen Äußerungen her bekannt war und offenbar vom Kuratorium nunmehr beanstandet wurde, lag der Schluss nahe, es werde versucht, die menschenrechtlichen Missstände in Deutschland in Zukunft weniger stark aufzugreifen: "Auf große Hoffnung folgt Ernüchterung" (Stuttgarter Nachrichten), "Wenn einer zu viel Staub aufwirbelt" (Stuttgarter Zeitung), "Gescheitert am großen Engagement" (Kölner Stadtanzeiger), "Über das Kehren vor der eigenen Tür" (Berliner Zeitung), "Percy MacLean beklagte verletzte Menschenrechte im Inland" (Frankfurter Rundschau). Am 1. März 2003 - sechs Wochen nach dem Rücktritt - hieß es in einem Artikel der Frankfurter Rundschau über das menschenrechtliche Bildungsdefizit in Deutschland, das in der wenig sachkundigen Debatte über die angebliche Berechtigung der Folter ("in besonderen Ausnahmefällen") erkennbar geworden sei:
"Doch dass quer durch die Institutionen Konsens über den Nachholbedarf [in Menschenrechtsbildung] herrscht, darf bezweifelt werden. Dafür steht der Name Percy MacLean: Der erste Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte wollte ebenfalls verletzte Menschenrechte in Deutschland zum Hauptthema machen. Nach sechs Monaten gab er kürzlich auf - offenbar wegen Streits im Kuratorium über genau diesen Punkt."

V. Verletzung der Unabhängigkeit

Wenn sich die nationalen Menschenrechtsinstitutionen in die "inneren Angelegenheiten" ihres eigenen Landes einmischen, was eine ihrer wesentlichsten Aufgaben ist, besteht immer die Gefahr, dass sie politisch anecken und Widerstände auslösen. Eine aktive Menschenrechtspolitik im Inland kann deshalb nur praktiziert werden, wenn die Position der verantwortlichen Mitarbeiter der Institutionen sicher ist, also nicht bei jeder unerwünschten Kritik in Frage gestellt werden kann. Denn wer sich aus Furcht vor dem Verlust seines Jobs überall beliebt machen muss, kann nichts mehr bewegen. Letztlich geht es um die Garantie der Unabhängigkeit, die - wie es auch das Forum Menschenrechte angesprochen hat - durch die vorzeitige Abberufung des Direktors im Kern verletzt worden ist: "Abhängig unabhängig" (Der Tagesspiegel, Berlin); "Sehnsucht nach Unabhängigkeit" (die tageszeitung, Berlin).

Die von der Generalversammlung der Vereinten Nationen 1993 beschlossenen "Pariser Prinzipien" (s.o. unter I.) regeln zur Vorbeugung gegen solche Eingriffe in die Unabhängigkeit im Abschnitt "Composition and guarantees of independence and pluralism" unter Ziffer 3. Folgendes:
"In order to ensure a stable mandate of the members of the national institution, without which there can be no real independence, their appointment shall be effected by an official act which shall establish the specific duration of the mandate."

In diesem Sinn ist die Regelung in § 31 Abs. 4 der Satzung des Deutschen Instituts für Menschenrechte, wonach die Bestellung des Direktors durch das Kuratorium für eine Amtszeit von vier Geschäftsjahren erfolgt, nicht zu beanstanden.
Problematisch ist jedoch, dass sich in der Satzung keinerlei Regelung über das Verfahren für eine Entlassung findet. Dazu führt das Handbuch der Vereinten Nationen "National Human Rights Institutions" (New York and Geneva, 1995) unter Abschnitt 80 Folgendes aus:
"To avoid compromising independence, the founding legislation should specify, in as much detail as possible, the circumstances under which a member may be dismissed. Naturally these circumstances should relate to ascertainable wrongdoings of a serious nature. Failure to participate in the work of the institution may also be considered for inclusion as a ground of dismissal. The body or individual capable of removing a member of office should be specified. ... It is preferable that powers to dismiss are vested in parliament or at an equivalently high level."

In Indien beispielsweise können Mitglieder der Menschenrechtskommission nur durch den Präsidenten selbst entlassen werden, und zwar erst dann, wenn der Oberste Gerichtshof Fehlverhalten oder Unfähigkeit bestätigt hat oder wenn sie eine anderweitige bezahlte Tätigkeit aufgenommen haben. In Ghana ist die Entlassung eines Kommissionsmitgliedes nur unter denselben Voraussetzungen möglich wie die eines Richters am Obersten Gericht; ähnlich verfügen die Mitglieder der niederländischen Gleichstellungskommission über eine mit richterlicher Unabhängigkeit ausgestattete Rechtsposition. In Südafrika kann ein Kommissionsmitglied vom Präsidenten nur dann entlassen werden, wenn ein Parlamentsausschuss, dem ein Mitglied aus jeder Partei angehört, mit Dreiviertelmehrheit dies beschlossen hat. In Dänemark schließlich gelten dieselben Regeln wie bei der Entlassung von Beamten (vgl. "National Human Rights Institutions, Articles and Working Papers", Danish Center for Human Rights, Chapter 3.5).

Offenbar in Unkenntnis dieser internationalen Vorgaben und Standards war der Kuratoriumsvorstand des Deutschen Instituts für Menschenrechte zunächst der Auffassung, er könne im jeweiligen Arbeitsvertrag mit den - für vier Jahre gewählten! - Mitgliedern des Direktoriums eine Klausel unterbringen, wonach eine jederzeitige Kündigung zum Quartalsende möglich sei. Auf meinen Widerstand hin erklärte man sich jedoch sodann bereit, eine Kündigungsmöglichkeit nur aus "wichtigem Grund" vorzusehen, was den Pariser Prinzipien entsprochen hätte. Nach Beratung mit dem Rechtsanwalt des Instituts wurde dann aber als Extremlösung die Möglichkeit eines jederzeitigen Vertrauensentzuges beansprucht (ähnlich wie bei politischen Beamten) und damit die von den Vereinten Nationen so dringend geforderte Unabhängigkeit der Institutsleistung ad absurdum geführt. Denn ein Direktor, der jederzeit etwa allein aufgrund von Äußerungen zu menschenrechtlichen Themen bzw. deren nur begrenzt beeinflussbaren Darstellung in der Presse abberufen werden kann, ist von vornherein nicht in der Lage, das Amt mit dem gebotenen Nachdruck auszufüllen. Vielmehr müsste er sich unter solchen Bedingungen hauptsächlich damit beschäftigen, es ständig allen Kuratoriumsmitgliedern (mit unterschiedlichstem politischen Hintergrund) recht zu machen - Ergebnis: statt konkreter Anstöße an die Politik nur süßer Brei. Eine Fortsetzung der Zusammenarbeit war nicht mehr zumutbar.

VI. Schlussfolgerungen

Aus diesen Vorkommnissen lassen sich folgende Forderungen ableiten, deren Umsetzung als Voraussetzung für die internationale Anerkennung des Deutschen Instituts für Menschenrechte als nationale Menschenrechtsinstitution im Sinne der Pariser Prinzipien gelten dürfte:
  1. Entweder in der Satzung oder aber zumindest im Arbeitsvertrag ist nach § 27 Abs. 2 Satz 2 BGB die Kündigungsmöglichkeit für den Direktor auf einen "wichtigen Grund" zu beschränken (z. B. bei grober Pflichtverletzung oder Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung).
  2. Wegen des besonderen Ausnahmecharakters der Entlassung eines Direktors sollte eine so schwerwiegende Entscheidung nicht mit einfacher, sondern nur mit qualifizierter Mehrheit (z. B. Dreiviertel der stimmberechtigten Kuratoriumsmitglieder) getroffen werden können. Umgekehrt müsste dies auch schon für die Wahl des Direktors gelten, um ein höchstmögliches Maß an Konsens und damit eine breite Vertrauensbasis im Kuratorium zu erreichen.
  3. Für den Fall eines Konflikts mit dem Direktor sollte zur Vermeidung einer missbräuchlichen Kündigung unter dem Vorwand fehlerhafter Amtsführung in der Satzung bzw. im Arbeitsvertrag ein internationales Schlichtungsverfahren vorgesehen werden, etwa unter dem Vorsitz eines Beamten des UN-Hochkommissars für Menschenrechte (UNHCHR) in Genf oder des europäischen Menschenrechtskommissars in Strasbourg.
  4. Um dem Institut den dringend erforderlichen substantiellen Neuanfang zu ermöglichen, sollten die beiden stellvertretenden Kuratoriumsvorsitzenden, die für den Eingriff in die Unabhängigkeit der Institutsleitung und damit für die gegenwärtige Strukturkrise maßgeblich verantwortlich sind, ihre Ämter zur Verfügung stellen.
Vorrangiges Ziel muss es ferner sein, nach den vorgeschlagenen strukturellen Änderungen eine Persönlichkeit als Direktor zu gewinnen, die den unbedingten Einsatz für die Menschenrechte und die dazu erforderliche geistige Unabhängigkeit aufgrund ihres beruflichen Werdeganges geradezu verkörpert. Dann hat das Institut noch eine Chance, die gegenwärtige Krise zu überwinden und die von ihm erwartete Rolle in der Gesellschaft aktiv wahrzunehmen - im Interesse der Menschen, für die es gegründet worden ist und finanziert wird.

* Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht Berlin, bis Februar 2003 erster Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte

Mit freundlicher Genehmigung des Autors aus: verdikt 1.03, Mitteilungen der Fachgruppen Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in ver.di


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