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Die Guantánamo-Logik

Politiker heizen rassistische Stimmung gegen Murat Kurnaz an. Außenminister Steinmeier würde ihn wieder in Folterhaft schmoren lassen

Von Ulla Jelpke *

In der deutschen Bevölkerung gibt es immer mehr Reaktionen auf den Fall Kurnaz, aus denen der blanke Rassismus spricht. Die Leserbriefspalten mancher Zeitungen sind voll von zynischen Kommentaren. Dem jungen Mann, der unschuldig in Guantánamo gefoltert wurde, hatte der damalige Chef des Kanzleramts und heutige Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) die Wiedereinreise in die BRD verweigert. Umfragen zeigen, daß zwei Drittel der Deutschen diese Entscheidung für richtig halten. Die Art und Weise, wie sich Steinmeier und der frühere Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) verteidigen, ermutigt offenbar viele, ihren dumpfen Haßgefühlen gegenüber Kurnaz freien Lauf zu lassen.

Am 8. März 2007 müssen sich Schily und Steinmeier vor dem Untersuchungsausschuß des Bundestags rechtfertigen. Beide haben vorab schon öffentlich erklärt, sie hätten alles richtig gemacht. Steinmeier wird im Spiegel vom 29. Januar 2007 mit dem verräterischen Satz zitiert: »Ich würde mich heute wieder so entscheiden.« Schily ging in einem Interview mit der Zeit vom 8. Februar 2007 zum Gegenangriff über und versuchte, den Eindruck zu erwecken, Kurnaz sei quasi selber schuld – wohl daran, daß er unschuldig von den Amerikanern mit Elektroschocks, Schlägen, Schlafentzug, »Luftabschneidung« bis zur Ohnmacht und Kälteschocks gefoltert worden ist!

Nachdem Schily im Zeit-Interview erklärt hatte, er sehe keinerlei Anlaß für eine Entschuldigung, wurde er gefragt: »Nicht einmal ein Zeichen des Bedauerns?« Schilys Antwort: »Nein, das sähe ja so aus, als hätten wir eine Art Mitverantwortung für Guantánamo. Vielleicht sollte eher Herr Kurnaz seinerseits bedauern, daß er unter merkwürdigen Voraussetzungen nach Pakistan gereist ist.« Und am Ende des Interviews: »Zu einer Entschuldigung von deutscher Seite besteht daher nicht der geringste Anlaß.«

Eine solche Verdrehung der Tatsachen deutet darauf hin, daß Schily und Steinmeier allmählich die sachlichen Argumente ausgehen und sie bewußt Antipathien gegen Kurnaz schüren, um vom eigenen Versagen abzulenken. Dabei ist ihnen keine Argumentation zu mies und kein Vorurteil zu billig. So wiederholte Schily in der Zeit längst widerlegte Verdachtsmomente aus dem Jahr 2002, um Kurnaz ins Zwielicht zu rücken. Schily zynisch: »Wer … ein Fernglas kauft… und nach Pakistan reist, will dort ja wohl nicht mit dem Fernrohr Allah suchen.«

Wegen eines Kopfgeldes verschleppt

Tatsächlich war der in Bremen geborene und lebende türkische Staatsangehörige Murat Kurnaz im Jahre 2002 nach Pakistan gereist, um dort eine Koranschule zu besuchen. Da er wegen mangelnder Sprachkenntnisse in Peshawar nicht als Schüler akzeptiert worden war, wollte er nach Deutschland zurückreisen. Auf dem Weg zum Flughafen wurde Kurnaz im November 2001 bei einer Routinekontrolle festgenommen, weil er nicht wie ein Pakistani aussah. Die Amerikaner hatten nach dem 11.September 2001 ein Kopfgeld von bis zu 5000 Dollar für jeden Verdächtigen ausgesetzt. Diese hohe Summe wollten sich die pakistanischen Polizisten nicht entgehen lassen und übergaben Murat Kurnaz, gegen den keinerlei Haftbefehl vorlag, den Amerikanern. Über Kandahar wurde Kurnaz nach Guantánamo verschleppt, mißhandelt und gefoltert. Nach einem Dreivierteljahr teilte die CIA mit Billigung des Pentagons deutschen Agenten, die Kurnaz in Guantánamo befragt hatten, mit, daß sie ihn für unschuldig hielten und freilassen wollten. Voraussetzung war nur, daß die BRD ihn wieder aufnehme; sonst gab es keine Zusatzbedingung, insbesondere kein Verlangen, daß Kurnaz als V-Mann für die Geheimdienste arbeiten solle.

Auch die BND-Leute kamen zu dem Ergebnis, daß Kurnaz weder ein Extremist noch ein Terrorist sei. All dies berichteten sie der Bundesregierung. Im Kanzleramt wurde aber am 29. Oktober 2002 unter Leitung von Frank-Walter Steinmeier entschieden, daß Kurnaz auf keinen Fall wieder in die BRD kommen dürfe. Es wurde sogar eine Einreisesperre gegen ihn verhängt. Daraufhin schmorte der junge Mann nahezu weitere vier Jahre in der Hölle von Guantánamo.

Es wird Schily und Steinmeier schwerfallen, im Bundestagsausschuß für ihr Verhalten plausible Erklärungen zu liefern, zumal sich die SPD-Grünen-Bundesregierung verbal immer für die Menschenrechte eingesetzt hatte, im konkreten Fall Kurnaz aber das Gegenteil praktizierte. Deswegen wurden im Laufe der Zeit immer wieder neue Verteidigungsargumente geliefert. Zunächst hieß es, es habe überhaupt kein Angebot der Amerikaner gegeben, Kurnaz freizulassen. Dann wäre aber nicht verständlich, weshalb sich die Präsidentenrunde – mit den Chefs von BND, BfV und BKA – am 29.10.2002 überhaupt mit der Frage befaßt hatte, ob man einer Freilassung von Kurnaz zustimmen solle. Zudem hätte eine menschenrechtsorientierte Politik von sich aus bei den Amerikanern auf die Freilassung von Kurnaz drängen müssen.

Verstrickt in Widersprüche

Es ist mehr als peinlich für die SPD/Grünen-Bundesregierung, daß zur gleichen Zeit andere Politiker wie Frankreichs konservativer Präsident Jacques Chirac mit Erfolg Gefangene aus Guantánamo herausholten. Aber Chirac hatte eben insgesamt ein selbstbewußtes Auftreten gegenüber den USA gezeigt. Auch andere Staaten wie Schweden und Belgien haben Gefangene aus Guantánamo freibekommen.

Das Argument, es habe an einem Freilassungsangebot gefehlt, verfängt also nicht. Steinmeier selbst verstrickt sich in Widersprüche: Zum einen behauptet er, es habe kein solches Angebot gegeben, zum anderen führt er aus, es sei nicht von der richtigen Stelle – dem Pentagon – gekommen. Außerdem sei es mit unzumutbaren Bedingungen verknüpft gewesen. Diese Behauptungen sind inzwischen widerlegt. Daß es sehr wohl möglich war, Kurnaz ohne weitere Bedingungen freizubekommen, hat im übrigen Angela Merkel gezeigt, der dies im August vergangenen Jahres gelang.

Steinmeier kann sich höchstens noch auf zwei äußerst schäbige Argumente stützen. Das erste basiert darauf, daß Kurnaz, obwohl in Bremen geboren und ausschließlich dort lebend, keinen deutschen Paß besitzt. Kurnaz ist Türke und hat als Achtzehnjähriger nicht gleich daran gedacht, die deutsche Staatsangehörigkeit zu beantragen. Steinmeier beruft sich nun darauf, daß die Bundesregierung für Kurnaz nicht zuständig gewesen sei – ein typisches Bürokratenargument angesichts der dramatischen Lage, in der sich der junge Mann in Guantánamo befand.

Das zweite Argument, das besonders Schily benutzt, wiederholt die längst entkräfteten Verdachtsmomente gegen Kurnaz aufgrund seiner Pakistan-Reise. Die üble Methode des »Semper aliquid haeret« (es bleibt immer etwas hängen) wird gezielt gegen Kurnaz eingesetzt. Bewußt bedienen sich diejenigen, die Kurnaz' Freilassung verzögert haben, nun der latent rassistischen Einstellungen in der Bevölkerung. Schily und Steinmeier wissen genau: Kurnaz, der nach viereinhalb Jahren Isolationshaft in Guantánamo schwer traumatisiert ist, weckt auf den ersten Blick nicht unbedingt Sympathien, sondern erscheint vielen spröde und abweisend. Sein langer Bart wird als Bekenntnis zum Islamismus gedeutet. Somit treffen für den oberflächlichen Betrachter drei Momente zusammen: Kurnaz ist erstens ein Ausländer, der zweitens eigentümlich aussieht und drittens irgendwie »terrorismusverdächtig« erscheint.

Rassistische Kampagne

Die Vorurteile gegen Kurnaz führten die Bild-Zeitung, zu der Schröder und Steinmeier stets beste Beziehungen unterhalten haben, zu ihrer Schlagzeile vom 23. Januar: »Warum ist eigentlich die deutsche Regierung für diesen Türken zuständig?«, so ihre rhetorische Frage in Bild-üblichem Fettdruck. Damit wollte Bild die öffentliche Debatte in eine für Steinmeier günstige Richtung lenken. Als Kurnaz-Anwalt Bernhard Docke erklärte, Kurnaz werde eventuell die deutsche Staatsangehörigkeit beantragen, wurde von der SPD diese diffamierende Linie fortgeführt. In FAZ-online vom 8. Februar 2007 äußerte der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Dieter Wiefelspütz, sofort Bedenken gegen eine Einbürgerung. »Bei allem Respekt, daß Herrn Kurnaz durch die USA schweres Unrecht zugefügt wurde – eine Einbürgerung ist nur möglich, wenn keine Sicherheitsbedenken bestehen.« Kurnaz' Zuverlässigkeit sei für ihn nicht geklärt, betonte Wiefelspütz. Wohlgemerkt: Sämtliche US-amerikanischen und deutschen Ermittlungsbehörden haben die anfänglichen Ermittlungen gegen Kurnaz längst eingestellt. Im Jahr 2005 hatte Kurnaz' Anwalt Baher Azmy einen Freispruch erster Klasse vor einem US-Gericht erreicht. Es ist pure rassistische Willkür, wenn SPD-Politiker dennoch weiterhin versuchen, Kurnaz in die terroristische Ecke zu stellen.

Das Ergebnis der Kampagne kann in Leserbriefen besichtigt werden, beispielsweise im online-Diskussionsforum des Magazins Focus. Ton und Inhalt vieler Äußerungen sind erschreckend. Einige von ihnen seien – in Original-Rechtschreibung – zitiert: Ein »mark­aurel« bringt seine Meinung folgendermaßen auf den Punkt: »Kurnaz ist ein Türke und das soll er auch bleiben ohne Rassismus und sonstige Unterstellungen. Daß er keinen deutschen Paß bekommen soll, hat nichts mit Rassismus zu tun. Er ist einfach eine unerwünschte Person.« (focus-online vom 10.2.2007).

Ein gewisser »klaus« schreibt, die Heimat eines Türken sei die Türkei. »Ich bin mir sehr sicher, daß die deutsche Gesellschaft kein Interesse an einer Einbürgerung von Menschen wie Kurnaz hat. Die Politik sollte dies zur Kenntnis nehmen und endlich nach dem Willen des Volkes handeln: Zuwanderung begrenzen – besser stoppen – und die Vergabe der deutschen Staatsbürgerschaft zur Ausnahme machen.«

Unter dem Namen »Ekür« ist zu lesen: »Wenn die Katze im Fischladen Junge bekommt, sind das immer noch Katzen. Soviel zu dem Türken namens Kurnaz.« Ein »Noch Bundesbuerger« legt die alte Platte vom Sozialschmarotzertum auf und schreibt: »Es ist unglaublich welcher Aufwand seitens unserer Politiker und Medien um diesen Türken betrieben wird. Die Einbürgerungsdiskussion um diesen Kandidaten entbehrt jede Grundlage. Es ist offensichtlich, daß dieser Türke aufgrund seiner Altlasten und mit seinem Familienklan nur die Sozialkassen plündern wird. Diesem Wahnsinn gehört ungehend ein Ende gemacht.«

Diejenigen, die sich für die Einhaltung der Menschenrechte einsetzen, werden wie üblich als »Gutmenschen« verhöhnt, beispielsweise von einem »Walt999«: »Gefoltert, na ja. Die Freiheit entzogen stimmt wohl eher. Und nachgewiesen ist ihm nichts, stimmt. Da hätten die Pakistanische Sicherheitskräft wohl besser noch einige Tage gewartet bis Herr K. eine Waffe in der Hand hat, dies war nach Aussagen seines Freundes nähmlich das Ziel der Beiden. Aber hier gibt es genug Gutmenschen die Herrn K. lieb haben. Ich brauch ihn nicht als Deutschen. Warum er Deutscher werden will? Weil er sich ganz doll integrieren will und hinter der Freiheitlichen, demokratischen Grundordnung der BRD steht vermute ich. Und der Osterhase kommt dieses Jahr zu Weihnachten.«

Etwas anders in der Formulierung, aber mit gleicher Zielrichtung sagt »mannstuttgartan«: »Ich denke die Amerikaner haben den Herrn zu Recht inhaftiert. Mit den Amerikanern verbindet uns die gleiche Kultur. Mit den Türken eigentlich nichts. Das hat mit Ausländerfeindlichkeit nichts zu tun wie Sie und andere ständig betonen. Nur haben wir Deutschen auch das Recht zu bestimmen wer zu uns paßt und wer nicht. Und Herr Kurnaz paßt einfach nicht zu uns.«

Menschenrechtsexperten

Wie peinlich muß es doch für die Sozialdemokratie sein, wenn ihre Spitzenpolitiker in dieser Weise Beifall von der falschen Seite bekommen! Nur in einem Punkt hat Schily im Zeit-Interview völlig Recht: Die Grünen tun heute so, als wären sie damals gar nicht in der Regierung gewesen. Claudia Roth beispielsweise weist jede Mitverantwortung zurück, indem sie überall erklärt, sie habe von dem Angebot der Amerikaner, Kurnaz freizulassen, nichts gewußt. Das mag sogar richtig sein. Aber Claudia Roth war damals Menschenrechtsbeauftragte der SPD-Grünen-Bundesregierung. Wenn sie über einen derart sensiblen Vorgang nicht einmal informiert worden ist, sagt dies einiges über den Stellenwert aus, den ihre Bundesregierung Menschenrechtsfragen beimaß. Claudia Roths Nachfolger Tom Koenigs, ebenfalls von Bündnis 90/Grüne, hat dagegen nicht nur die Hände in den Schoß gelegt, sondern falsche Informationen verbreitet: Die US-Regierung habe nur mit der türkischen, nicht aber mit der deutschen Regierung über Kurnaz verhandeln wollen. Kurnaz' Anwalt Azmy hatte Koenigs mehrfach darauf verwiesen, daß diese Behauptung nicht stimme – Koenigs blieb indes bei seiner Fehldeutung und seiner passiven Haltung. Über die Grünen hat auch Kurnaz' deutscher Anwalt Bernhard Docke nichts Gutes zu sagen. Im Auswärtigen Amt, damals von Joseph Fischer geleitet, habe man sich zwar bemüht gezeigt, aber den Fall mehr »verwaltet«, als sich intensiv zu engagieren.

Allerdings verhält sich der jetzige Menschenrechtsbeauftragte der großen Koalition, Günter Nooke (CDU), noch kaltblütiger zu Guantánamo. In einem Interview mit der Netzzeitung vom 11.Januar 2007 hatte Nooke ausgeführt, die Menschenrechtsverletzungen in Guantánamo stünden »in krassem Gegensatz zu dem …, was andere Menschen erleben. »395 Gefangene in Guantánamo sind eben nur 395 Gefangene, die ungerechtfertigt ohne Prozeß festgehalten werden.« Es gebe »auf der anderen Seite tausende von Menschenrechtsverletzungen in Darfur, Sri Lanka, China, Rußland, Kuba, Nordkorea und Myanmar.« Daß ein Menschenrechtsbeauftragter auf derart zynische Weise Menschenrechtsverletzungen gegeneinander aufrechnet, disqualifiziert ihn für sein Amt. Die Gustav-Heinemann-Initiative hat mit Schreiben vom 23. Januar Nookes Entlassung gefordert. Die Initiative führt aus: »Eine solche Aufrechnung von Menschenrechten widerspricht dem Grundgesetz und ist nicht hinzunehmen. Die Gustav-Heinemann-Initiative erwartet, daß Sie die erforderlichen Konsequenzen ziehen und Herrn Nooke von seinem Amt entbinden.« Adressat des Empfängers ist allerdings Außenminister Steinmeier, und es ist nicht zu erwarten, daß der Beelzebub den Teufel austreibt.

Tricks und Finten

Niemand macht sich Illusionen darüber, wozu imperialistische Staaten fähig sind. Aber selbst für die Abgeordneten im Untersuchungsausschuß war erschreckend, was Murat Kurnaz über die Jahre seiner Gefangenschaft berichtet hat. Kurnaz ist kein Terrorist, er ist noch nicht einmal ein Terrorsympathisant, sondern ein junger, unschuldiger Mann, der »zur falschen Zeit am falschen Ort« war, wie sogar von deutschen Sicherheitsbeamten zutreffend formuliert worden ist. Sogar CDU-Politiker wie der Obmann der Union im Untersuchungsausschuß, Hermann Gröhe, haben scharfe Kritik an den Foltermethoden der US-Verhörspezialisten geübt.

Es ist und bleibt ein Skandal ersten Ranges, daß die damalige SPD-Grünen-Regierung nichts unternommen hat, um Kurnaz freizubekommen, sondern im Gegenteil mit allen möglichen Tricks und Finten versucht hat, seine Freilassung zu verhindern, obwohl seine Unschuld allgemein anerkannt war. Steinmeier hat sein Verhalten erst vor wenigen Tagen verteidigt: Kurnaz sei schließlich ein sogenannter Gefährder gewesen, und deswegen würde er, Steinmeier, wieder genauso handeln.

Das bedeutet im Klartext, der Außenminister würde es wieder in Kauf nehmen, daß jemand vier Jahre lang unschuldig im Folterlager einsitzt, wenn es sich um einen »Gefährder« handelt. Zu Recht heißt es in einem Leserbrief in der Süddeutschen Zeitung vom 12. Februar 2007: »Die Kaltblütigkeit dieses Außenministers verursacht Gänsehaut! … Diese Maßnahmen (gegen Kurnaz) mit der Angst der Menschen vor terroristischen Anschlägen zu rechtfertigen, ist eine Schamlosigkeit.«

Dabei ist der »Fall Kurnaz« nur die Spitze eines Eisbergs. Daß Menschen ohne Nachweis irgendeiner Schuld so behandelt werden wie bereits verurteilte Straftäter, gehört schon längst zum Alltag. Wer das Mißfallen der Behörden erregt, muß als Nichtdeutscher seine Abschiebung befürchten, ganz egal, wie lange er schon in Deutschland lebt oder ob er sogar hier geboren wurde.

Auf vagen Verdacht hin werden unschuldigen Menschen die Grundrechte abgesprochen. Es reicht eine ungedeckte Beschuldigung, eine schlichte Denunziation. Im Zweifel gegen die Grundrechte zu entscheiden – solch eine Haltung führt zwangsläufig in eine »Guantánamo-Logik«. Das war die bittere Anklage, die Kurnaz-Anwalt Basher Azmy am 1. Februar 2007 in den späten Abendstunden im Europasaal des Bundestags den Parlamentariern entgegenrief.

Daß sich die Bundesregierung nicht selbst an Kidnapping und Folter beteiligt, sondern »nur« Beamte nach Guantánamo und in andere Folterknäste schickt, macht dies nicht besser. Daß die Bundesregierung beide Augen zugedrückt hat, als die CIA illegal Gefangene kreuz und quer durch Europa in die Geheimknäste geflogen hat, zeigt: Diejenigen, die unsere Freiheit und unsere Grundrechte bedrohen, sind in erster Linie die staatlichen Behörden selbst.

* Ulla Jelpke ist innenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion DIE LINKE

Aus: junge Welt, 16. Februar 2007



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