Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Kein Krieg dient den Menschenrechten"

Grünen-Europaabgeordnete Barbara Lochbihler über ihre Arbeit als Ausschussvorsitzende *


Barbara Lochbihler (52) sitzt seit 2009 für die Grünen im Europäischen Parlament. Ihr Lebenslauf weist neben der Ausbildung zur Finanzbeamtin, dem Studium der Sozialen Arbeit sowie der Politischen Wissenschaften Stationen wie die Leitung eines Alten- und Service-Zentrums, parlamentarische Referententätigkeit, die Funktion der Generalsekretärin der Women's International League for Peace and Freedom in Genf und, von 1999 bis 2009, der deutschen Sektion von Amnesty International auf. Seit Oktober dieses Jahres ist sie Vorsitzende des Ausschusses für Menschenrechte im EU-Parlament. Mit ihr sprach für das "neue deutschland" (nd) Uwe Sattler.


ND: Frau Lochbihler, wie wird man Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im Europäischen Parlament?

Lochbihler: Indem man sich auf die Position bewirbt. Der Vorsitz war frei geworden, nachdem die Amtsinhaberin, ebenfalls ein Grüne, ins finnische Parlament gewechselt ist. Es hat mehrere Bewerberinnen und Bewerber gegeben, ich war darunter. Letztlich handeln die im Parlament vertretenen Parteien aus, wer welchen Ausschussvorsitz bekommt. Aber sicher passte der Menschenrechtsausschuss auch ganz gut zu meiner Person. Ich sitze seit zwei Jahren in diesem Gremium und bin fraktionsübergreifend akzeptiert als jemand, der sich in der Menschenrechtsproblematik gut auskennt.


Sicher auch, weil Sie eine Vorgeschichte als Amnesty-Generalsekretärin in Deutschland haben. Insofern war es doch fast sicher, dass Sie den Ausschussvorsitz bekommen.

Die Parteikoordinatoren im Ausschuss haben mich zumindest einstimmig als Vorsitzende gewählt. Sicher war das aber nicht. Wir haben ein in der Mehrheit konservatives Parlament, und innerhalb des Menschenrechtsausschusses sieht es nicht anders aus.


Sie haben als AI-Vertreterin nicht selten die »offizielle« Politik kritisiert. Wie kommt man dann zu einem Wechsel »auf die andere Seite«?

Zusammen mit meiner Zeit bei AI war ich 17 Jahre in Führungspositionen von Nichtregierungsorganisationen. Dann dachte ich mir, also vor der Rente probiere ich noch mal etwas anderes. Ich kann jetzt nicht beispielsweise Ingenieurin werden. Aber mit Menschenrechten habe ich mich intensiv beschäftigt. Und zugleich ist mir bewusst geworden, dass die Europaebene eine ist, die man unterschätzt als menschenrechtspolitischer Akteur. Die EU hat weitreichende Instrumente und Kompetenzen zur Verfügung, die zur Sicherung von Menschenrechten eingesetzt werden können: bilaterale Verhandlungen, Europa ist weltweit die größte Einzelorganisation in der Entwicklungshilfe, Handelsverträge. Und nach dem Lissabon-Vertrag gibt es eben auch eine eigene europäische Außenpolitik, in der Menschenrechtsfragen eine wichtige Rolle spielen sollen. Und so habe ich gedacht, dass ich mit dieser Thematik auf europäischer Ebene ganz gut aufgehoben wäre.


Aber jetzt sind Sie Fraktionszwängen unterworfen, und nicht zuletzt reden auch die nationalen Parteien ein Wörtchen im Brüsseler Parlament mit.

Da habe ich keine Probleme, weil für die Grünen Menschenrechte ein wichtiges Thema sind und ich mich mit meiner Meinung nicht verbiegen muss. Im Parlament ist es schon schwieriger. Unser Ausschuss hat noch relativ gute Positionen. Aber im Plenum kann das schon anders aussehen. Wir haben beispielsweise die sogenannten Euro-Skeptiker, die mit verschiedenen Tricks versuchen, nicht für die Abschaffung der Todesstrafe stimmen zu müssen. Oder die rechtsradikalen Abgeordneten, deren Positionen der Gleichheit und Gleichwertigkeit der Menschen widersprechen und deren abfällige Plenarreden über Menschen muslimischen Glaubens oder über Roma mir sehr zuwider sind.


Heißt das, der Menschenrechtsausschuss stößt im Plenum an seine Grenzen?

Nein, so kann man das nicht sagen. Menschenrechte sind nicht beliebig und können einfach abgeändert oder bei Bedarf ausgesetzt werden. Sie sind auf jeden Fall eine Kernaufgabe der EU und übrigens auch Teil ihrer Erfolgsgeschichte.


Ich hatte bislang den Eindruck, dass sich das EU-Parlament und die EU bei Menschenrechten nicht mit Ruhm bekleckert haben.

Zum Beispiel?

Zum Beispiel in der Frage der geheimen CIA-Folterflüge im »Antiterrorkampf«. Die Untersuchung ist groß angelaufen, dann aber schnell im Sande verlaufen.

Das ist auch für mich ein ärgerliches Beispiel. Es gibt im Europäischen Parlament sehr aussagekräftige, sehr detaillierte Berichte zu diesen illegalen Aktivitäten, die auch fraktionsübergreifend verabschiedet wurden. Wir haben eine Reihe von Empfehlungen, was die EU, was die einzelnen Mitgliedstaaten tun sollen, um aus diesen Fehlern und Menschenrechtsverletzungen zu lernen. Wir haben das Thema in dieser Legislatur bereits zwei Mal im Ausschuss gehabt. Und beide Male musste ich feststellen, dass die Forderungen nicht umgesetzt werden und dass Abgeordnete aus den betroffenen Ländern, wie Polen und Litauen, teilweise auch Bulgarien, entweder schweigen oder nicht anwesend sind. Meine Forderung ist klar: Es müssen Lehren aus den Vorkommnissen gezogen werden; die Geheimdienste in den unterschiedlichen Ländern dürfen nicht so weitermachen wie bisher.


Wird auf Ihre Forderungen gehört?

Wir haben noch einmal eine Aufforderung zu einer Debatte an den Innenausschuss gestellt, denn der ist primär zuständig für die Einhaltung der Menschenrechte auf EU-Territorium. Wir müssen auch deshalb in dieser Frage endlich handeln und konkrete Schlussfolgerungen ziehen, weil dieses große Defizit uns Europäer in den Gesprächen mit Drittstaaten außerhalb der EU schwächt. Wie soll ich andernorts auf die Einhaltung der Menschenrechte drängen, wenn ich selber mein Haus nicht in Ordnung habe oder nicht einmal so viel Selbstbewusstsein, die Fehler zu benennen und an deren Beseitigung zu arbeiten? Diese Meinung teilen viele Abgeordnete. Es gibt aber auch einen großen Teil, der denkt und handelt reflexartig, so wie man es aus den nationalen Parlamenten kennt: Könnte eine solche Debatte oder gar eine Resolution ein schlechtes Licht auf mein Land oder sogar meine eigene Partei werfen? Und dann wird eben geblockt. Wie gerade bei einer Resolution zu einem Guantanamo-Häftling, der aufgrund offenbar auch in polnischen Geheimgefängnissen erfolterter Aussagen nun in den USA zum Tode verurteilt werden könnte. Ich habe in dem Resolutionsentwurf ausdrücklich die europäische Mitverantwortung für diesen Skandal benannt. Und was ist geschehen? Die kritischen Passagen zu Europa wurden laut Mehrheitsbeschluss gestrichen.


Ist es nicht frustrierend, wenn Resolutionen so zurechtgestutzt werden?

Ich war nicht frustriert, ich war wahnsinnig wütend. Aber wir sind eben im Parlament nicht eine Einheit, wir sind eine politische Gemengelage, in der sich fast alle auf Menschenrechte berufen. Aber in der konkreten Ausformung gibt es dann doch immer politische Präferenzen, die meist mit Nationalität oder Parteizugehörigkeit zu tun haben.


Sie haben kürzlich in Brüssel beklagt, dass die Möglichkeiten des Ausschusses für Menschenrechte sehr eingeschränkt sind.

Der Ausschuss ist nur ein Unterausschuss. Schon im übergeordneten Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten können alle unsere Entscheidungen wieder gekippt werden. Es wäre vorteilhaft, wenn wir ein Vollausschuss wären. Zum einen, weil die Menschenrechtspolitik eines der zentralen Felder europäischer Politik ist und sein muss. Zum anderen sind wir nur für die Außenbeziehungen, für Drittländer zuständig. Die Einhaltung beispielsweise der Grundrechtecharta obliegt dem Innenausschuss. Ich halte aber eine Konsistenz zwischen Innen und Außen für wichtig.


Wie setzen Sie die Themen im Menschenrechtsausschuss?

In Brüssel haben alle Nichtregierungsorganisationen, die sich mit Menschenrechtsfragen beschäftigen, ihre Büros. Mit diesen »Menschenrechtslobbyisten« arbeiten wir eng zusammen. Wir sind auch gut in die Mitglieds- und Drittstaaten vernetzt. Über diesen Weg bekommen wir oft Hinweise auf menschenrechtsrelevante Vorgänge, die wir als sogenannte Dringende Fälle in das Plenum einbringen. Daneben wenden sich Menschen aus verschiedenen Teilen der Welt an uns, wir verfolgen die Medien. Ich habe jetzt als Ausschussvorsitzende beispielsweise entschieden, dass wir uns bei jeder Sitzung mindestens eine halbe Stunde über ein Land der arabischen Welt intensiver informieren.

Im Ausschuss erstellen wir dann eine Liste mit Ländern, Themen und Fällen, die dringlich zu behandeln sind. Dabei ist es nicht immer leicht, eine gute Balance zu finden zwischen Menschenrechtsthemen und Ländern, die immer in den Medien sind, und solchen, die nie dort vorkommen. Äußern muss man sich zu beiden. Daneben möchte ich im Parlament auch die Querschnittsthemen stärker angehen. Wenn es zum Beispiel, wie jetzt geschehen, Handelsabkommen mit Peru und Kolumbien gibt, achten wir schon darauf, wie es in den Verträgen um die Menschenrechtsklauseln bestellt ist.


Menschenrechte müssen durchgesetzt werden. Auch mit militärischen Mitteln?

Für mich ist klar, dass ein Krieg oder eine Militärintervention keinerlei Optionen sind, um Menschenrechte durchzusetzen. Daher habe ich mich auch im Fall Libyen in der Fraktion anders verhalten als die Mehrheit. Nehmen wir Iran: Nutzt es den Menschenrechten, mit einer Militärintervention zu drohen aus dem Ausland? Nein! Wem nützt das? Dem Diktator an der Macht. Wenn der Feind von außen kommt, dann gewinnen immer die Nationalisten. Egal, wie sie ihr Volk drangsalieren. Ich halte vom militärischen Eingreifen, das angeblich nur im Dienste der Menschenrechte stehen soll, überhaupt nichts. Wo hat es denn etwas genützt, wo hat es tatsächlich zu einer verbesserten Menschenrechtssituation geführt? Und: Welche Intervention, welcher Krieg kann mit Menschenrechten wirklich begründet werden?

* Aus: neues deutschland, 25. November 2011


Zurück zur Menschenrechs-Seite

Zur Seite "Neue Kriege"

Zurück zur Homepage