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Bankdaten per Überweisungen direkt zur CIA

Außenminister beauftragen EU-Kommission, über die "ganz normale" Weiterleitung von sensiblen Informationen zu verhandeln

Von René Heilig *

Der Weg ist (weiter) frei - für den »Datenaustausch« zwischen der EU und den Vereinigten Staaten von Amerika. Klartext: Alles bleibt beim Alten, Washingtons Geheimdienste schnüffeln die »Alte Welt« aus. Mit deren Einverständnis.

Wer immer die Attentate vom 11. September 2001 geplant und ausgeführt hat - letztlich hat er den US-Geheimdiensten einen großen Gefallen erwiesen. Die nämlich sind seither mehr denn je vom Weißen Haus aufgefordert, ähnliche Schreckenstaten zu verhindern. Dazu sammeln sie Wissen über alles und jedermann. Sie operieren widerrechtlich in europäischen Staaten, zapfen deren Polizeidateien ebenso an wie das Wissen nationaler Geheimdienste. Sie informieren sich über jeden Fluggast, der über den Atlantik kommt und sammeln Bankdaten aller Art. Und die Länder der Europäischen Union? Die erweisen sich einzeln und in Gemeinschaft als willige Gefolgschaft.

Gestern haben die Außenminister der Mitgliedsstaaten der EU-Kommission grünes Licht für Verhandlungen über die Weitergabe europäischer Bankverbindungsdaten an die USA gegeben. Daran ist zunächst einmal nichts neu. Seit Herbst 2001 gibt der Finanzdienstleister SWIFT Bankdaten an ihm nicht einmal bekannte US-Geheimdienste Daten seiner Kunden weiter.

Über das Überweisungsnetzwerk SWIFT werden täglich fast 15 Millionen Finanztransfers weltweit abgewickelt. Die USA konnten an die Daten bislang recht problemlos herankommen. Einer der beiden SWIFT-Server mit den europäischen Daten stand im US-Staat Virginia. Ab Herbst wird der Server in die Schweiz verlegt und somit dem direkten Zugriff der US-Dienste entzogen. Das war auch Zweck des Umzuges. Die EU-Regierungen halten deren Auswertung aber - nach eingehender Konsultation mit US-Regierungsbehörden - für ein nützliches Instrument im Kampf gegen den Terrorismus. Doch das Recht verlangt, dass die USA nun nur per Abkommen mit der EU ermächtigt werden können, die Daten auszuwerten.

Dass sie es überhaupt tun, wurde erst vor drei Jahren ruchbar. Datenschützer witterten nicht zu Unrecht einen Skandal. Die EU ließ die Datenweitergabe daher vom obersten französischen Untersuchungsrichter Jean-Luis Bruguière überprüfen. Der fand nichts, was bedenklich daran sein sollte. Nun jedoch mussten die EU-Regierungen - über ihre Außenminister - die EU-Kommission zu »Verhandlungen« ermächtigen, auf dass alles so weiter läuft wie bisher.

Eigentlich sollte die Weitergabe der SWIFT-Bankdaten von den europäischen Außenministern durchgewinkt werden. Doch mitten im politischen Sommerloch wurde das Vorhaben als wichtiges Thema geortet. In Deutschland sorgt das Vorhaben bei Politikern aller Parteien - von der LINKEN über die Grünen bis zur CSU - für Unmut. Der Streit schwoll an und der Grünen-Europapolitiker Daniel Cohn-Bendit bezeichnete Kommissionspräsident José Manuel Barroso sogar als »Handlanger der USA«. Der Zugriff von US-Geheimdiensten auf Bankdaten sei ein »eklatanter Eingriff in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger«. »Die Bundesregierung hätte sich laut Bundesverfassungsgericht dem Zugriff der USA auf europäische Bankdaten widersetzen müssen«, betont Alexander Ulrich, Europa-Experte der Linksfraktion im Bundestag. CSU-Chef Horst Seehofer hat die Zusage der EU-Kommission zur Weitergabe deutscher und europäischer Bankdaten an die US-Geheimdienste gleichfalls als »Skandal« kritisiert. Ohne Beteiligung des Europaparlaments und des Bundestages, sei so eine Entscheidung unmöglich.

Luxemburgs Ressortchef Jean Asselborn warnte: »Ich glaube, wenn man in die Freiheiten der Menschen eingreift, muss man sehr vorsichtig sein.« Auch der österreichische Außenminister Michael Spindelegger versicherte, der Datenschutz solle gewahrt werden. Europa-Staatsminister Günter Gloser (SPD), der den Außenminister und Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier (gleichfalls SPD) derzeit vertritt, versuchte Wogen zu glätten. Es gehe derzeit »nicht um eine Entscheidung in der Substanz«, sondern es gehe um ein Mandat für die Europäische Kommission, ein neues Abkommen verhandeln.

Zur Debatte kann derzeit nur ein provisorisches Abkommen für ein Jahr stehen, denn: Tritt der Lissabon-Vertrag in Kraft, muss auch das EU-Parlament mitreden. Viele EU-Abgeordnete plädieren deswegen schon jetzt für einen Aufschub der Verhandlungen.
  • Es geht um Daten, die der Finanzdienstleister Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication (SWIFT) mit Sitz in Belgien verwaltet. Der wickelt täglich weltweit 15 Millionen Transaktionen zwischen über 8000 Banken ab.
  • Jeder EU-Bürger kann ins Visier von US-Diensten geraten, der eine Überweisung über SWIFT abwickelt. Übermittelt werden Namen von Absender und Empfänger einer Überweisung, die Kontodaten, den Verwendungszweck und die Summe.
  • Die Daten sollen nach dem Verhandlungsmandat mit den USA fünf Jahre zur Terrorfahndung gespeichert werden. Die Geheimdienste der EU erhoffen von US-Behörden Hinweise für die eigene Fahndung.
  • Auf Druck des Europaparlaments ist zunächst nur ein Übergangsabkommen geplant. Sobald der EU-Reformvertrag von Lissabon in Kraft ist und das Parlament ein Mitspracherecht in Justiz-Angelegenheiten bekommt, soll ein dauerhaftes Abkommen geschlossen werden. Das dürfte frühestens Anfang 2010 der Fall sein.

* Aus: Neues Deutschland, 28. Juli 2009


Kontoauszug online

Von Ulla Jelpke **

Trotz der Warnungen von Datenschützern wollen die EU-Außenminister auch zukünftig US-Terrorfahndern den Zugriff auf die Bankdaten europäischer Bürger ermöglichen. Ohne jede Diskussion beschlossen die Ressortchefs bzw. ihre Vertreter am Montag in Brüssel, der EU-Kommission und der schwedischen Ratspräsidentschaft ein Verhandlungsmandat für ein entsprechendes Abkommen mit den USA zu erteilen. Der Vertrag soll nach der Sommerpause stehen. Laut Verhandlungsmandat sollen die Daten für maximal fünf Jahre zur Terrorfahndung gespeichert werden.

Erst 2006 wurde publik, daß das US-Finanzministerium bereits seit den Anschlägen vom 11. September 2001 ohne eine besondere Genehmigung der EU alle Überweisungen aus Europa kontrollierte. Dazu greifen die US-Behörden auf die Daten des Überweisungsnetzwerks »Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication« (SWIFT) zurück, über das täglich fast 15 Millionen Finanztransfers zwischen rund 8300 Geldinstituten in 208 Ländern abgewickelt werden. Da SWIFT ab Herbst die europäischen Bankverbindungsdaten durch eine Verlagerung seines Hauptrechenzentrums vom US-amerikanischen Virginia in die Schweiz dem Zugriff der US-Behörden entziehen wollte, verlangen die USA nun ein Abkommen zur weiteren Nutzung der Informationen.

Verbraucherschützer kritisieren, daß die betroffenen Bürger nichts vom Zugriff auf ihre Daten erfahren. Die US-Regierung würde nicht nur Einblick in Auslandsüberweisungen, sondern auch in Transaktionen innerhalb Deutschlands nehmen können, warnte der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar, am Montag im Deutschlandfunk. Schaar forderte die Einbeziehung des Bundestages und des Europaparlaments. Der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europaparlament, Daniel Cohn-Bendit, warnte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso vor einem Spiel mit dem Feuer, sollten die EU-Parlamentarier nicht einbezogen werden, so die Berliner Zeitung vom Montag. Nach dem geltenden Nizza-Vertrag ist für ein entsprechendes Abkommen mit den USA die Zustimmung des EU-Parlaments nicht erforderlich. Erst wenn der Lissabon-Vertrag in Kraft tritt, hätte das Europaparlament ein Vetorecht.

Die Bundestagsvizepräsidentin der Fraktion Die Linke, Petra Pau, sieht in den Plänen der EU-Kommission einen Verstoß »gegen den Datenschutz und das Grundgesetz«. Laut Rechtsprechung des Karlsruher Bundesverfassungsgerichts müsse sich die Bundesregierung in Brüssel widersetzen, solange der Bundestag kein grünes Licht gibt.

Wohl angesichts dieser Rechtslage warnt selbst der stellvertretende CDU/CS-Fraktionschef im Bundestag, Wolfgang Bosbach, vor einer bedingungslosen Zustimmung zu den US-Forderungen. »Es muß sichergestellt sein, daß der Datenschutz berücksichtigt ist und die Daten unbescholtener Bürger umgehend gelöscht werden«, erklärte Bosbach gegenüber fr-online.de. Außerdem sollte die EU Rechenschaft fordern, welche Erkenntnisse durch die bisherige Überwachung schon gewonnen worden seien. »Der allgemeine Satz 'Wir brauchen das für die Terrorfahndung' reicht mir nicht aus.«

Hinter dem Entgegenkommen der EU-Kommission an die USA steckt nicht nur Unterwürfigkeit, sondern vor allem die Hoffnung, im Gegenzug selbst an Informationen für eigene Fahndungen zu kommen. So verweist die Kommission auf einen vertraulichen Bericht des obersten französischen Ermittlungsrichters Jean-Louis Bruguière, der die Erkenntnisse aus den Abfragen des US-Finanzministeriums als wertvoll auch für die Terrorbekämpfung in Europa einstuft.

** Aus: junge Welt, 28. Juli 2009


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