Strafe für Genitalverstümmelung
Verschärftes Gesetz in Schweden erstmals angewandt
Von Bernd Parusel, Stockholm *
Letzte Woche verurteilte ein schwedisches Gericht einen Somalier, der seine Tochter im Ausland hatte verstümmeln lassen. Es ist das erste Mal, dass in dem nordischen Land von einem entsprechenden Gesetz Gebrauch gemacht wird.
Ein schwedisches Gesetz aus dem Jahr 1982 verbietet die genitale Verstümmelung von Mädchen und Frauen, seit 1999 kann der Eingriff auch dann strafrechtlich verfolgt werden, wenn er im Ausland passiert. Vergangene Woche zeigte das verschärfte Gesetz erstmals Wirkung. Ein Göteborger Gericht verurteilte einen aus Somalia stammenden Mann zu vier Jahren Gefängnis und Schadensersatz.
Nach Auffassung des Gerichts war der 41-Jährige nach der Scheidung von seiner Frau in Schweden vor fünf Jahren mit seiner Tochter nach Mogadischu gereist. Nach einem in vielen afrikanischen Kulturen üblichen Ritus wurde das damals 13 Jahre alte Mädchen dort beschnitten. Letztes Jahr floh die Tochter über Äthiopien zurück nach Schweden und zeigte dort den Vater an. Dieser bestritt vor Gericht die Tat und wird nach Angaben seiner Rechtsanwältin vermutlich auch das Urteil anfechten.
Die Weltgesundheitsorganisation WHO, die sich wie andere internationale Organisationen gegen Genitalverstümmelung einsetzt, schätzt, dass weltweit 100 bis 140 Millionen Frauen beschnitten sind. Die Praxis komme hauptsächlich in 28 afrikanischen Ländern vor. Auch in Industriestaaten sei sie jedoch anzutreffen, vor allem unter Migranten aus Afrika. Die WHO klassifiziert verschiedene Arten von Genitalverstümmelung (FGM): Typ eins beinhaltet teilweise oder vollständige Entfernung der Klitoris und ihrer Vorhaut. Nach Typ zwei werden auch die inneren Schamlippen oder Teile davon weggeschnitten. Bei der dritten Form der Verstümmelung, der »Infibulation«, werden Klitoris, innere sowie äußere Schamlippen amputiert und die Vaginalöffnung so zusammengenäht, dass nur eine kleine Öffnung bleibt. Typ vier sind andere Beschneidungsarten. Im aktuellen Fall in Schweden handelte es sich laut Staatsanwaltschaft um einen Eingriff der Kategorie zwei.
Es sei »inakzeptabel, dass Mädchen in Schweden genitaler Verstümmelung ausgesetzt werden«, meint die schwedische Familienministerin Berit Andnor. Die Praxis verstoße gegen die UN-Kinderrechtskonvention. In einer Broschüre der Regierung gibt die Sozialdemokratin jedoch zu bedenken, dass Eltern, die ihre Tochter beschneiden lassen, dies nicht aus Grausamkeit täten. Sie glaubten vielmehr, ihr so »ein besseres Leben ermöglichen« zu können. In den betreffenden Kulturkreisen hätten viele Eltern Angst, dass eine nicht beschnittene Tochter keinen Ehemann findet, behinderte Kinder zur Welt bringt oder sich nicht vollends zur Frau entwickelt.
Schwedische Frauen- und Kinderrechtsorganisationen begrüßten das Gerichtsurteil. Anna Frenning von »Rädda Barnen« (Rettet die Kinder) sagte, der Fall zeige, dass das Gesetz gegen Genitalverstümmelung funktioniere. Louise Abubakar von »RISK« (Verein Stoppt weibliche Genitalverstümmelung) erhofft sich von dem Urteil Signalwirkung, wie sie gegenüber der Zeitung »Dagens Nyheter« erklärte. Künftig könnten mehr Fälle angezeigt werden. Ein Problem sei indes, dass die betroffenen Mädchen sich oft nicht trauten, Anzeige zu erstatten, da dies Strafen für die engsten Familienangehörigen nach sich ziehen könnte.
* Aus: Neues Deutschland, 4. Juli 2006
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