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Folter exportiert

US-Gefängnisse als Modell: Die Wurzeln der Misshandlungen im Irak, in Afghanistan und in Guantánamo liegen in den Vereinigten Staaten selbst

Von Linn Washington, Philadelphia*

Wieder gehen Folterbilder aus US-Militärgefängnissen um die Welt und sorgen für Entsetzen. Für Informierte und Engagierte sind die Fotos und Berichte über das Quälen und Erniedrigen von Inhaftierten im Irak, in Afghanistan und auf dem US-Stützpunkt in Kuba nichts Überraschendes. »Es gibt große Ähnlichkeiten zwischen US-Gefängnissen und Guantánamo Bay«, sagt Bonnie Kerness, Koordinatorin des Prison-Watch-Programms des American Friends Service Committee (AFSC). Die Gefangenenhilfsorganisation der Quäker beobachtet seit 1975 Mißhandlungen in US-Gefängnissen. »Die USA haben eine lange Geschichte der Menschenrechtsverletzungen in Gefängnissen – sowohl vor als auch nach der Unterzeichnung internationaler Verträge zum Verbot der Folter«, so Kerness weiter.

Menschenrechtsverletzungen in US-Gefängnissen, das sind Schläge, Isolation, Elektroschockgürtel und sexuelle Demütigungen sowie das sogenannte Hooding. Das Überstülpen undurchsichtiger Kapuzen hat durch die Fotos von irakischen Gefangenen traurige Berühmtheit und weltweite Bekanntheit erlangt. Genau diese Art der Mißhandlung ist aus den Strafvollzugsanstalten der USA über Guantánamo in den Irak bis nach Afghanistan exportiert worden.

Keine Einzeltäter

In den Gefängnissen in Amerika wird täglich gefoltert, erklärt Kerness, die durchschnittlich zehn Briefe am Tag von Männern, Frauen und jugendlichen Gefangenen bekommt. Seit 1976 arbeitet sie im Strafjustizprogramm des AFSC, da kommt eine Menge Post zusammen. »Jugendliche werden in Isolation gehalten. Sie werden mit Schlagstöcken und Pfefferspray malträtiert. Das tun sie Kindern in den Vereinigten Staaten an.« Folter und andere Menschenrechtsverletzungen in US-Gefängnissen sind »eine Gesinnung und ein Normalzustand, und dieser Geisteszustand hat zu Guantánamo und Abu Ghraib geführt«, sagt sie. »Die Strategie der Folter kann nicht isoliert gesehen werden. Das alles geschieht mit dem Wissen der Leute an der Macht, sowohl auf Ebene der Bundesstaaten als auch des Gesamtstaates, und keiner gibt es jemals zu«.

Am 10. Dezember, dem Internationalen Tag der Menschenrechte, hatten Friedensaktivisten aus den USA eine Protestaktion vor den Toren von Guantánamo Bay vorbereitet. Sie wollten sich Zutritt zum Militärgefangenenlager verschaffen, was die US-Administration der UNO und anderen Inspektoren bisher verweigert hatte. Die 25 Aktivisten hofften, wenigstens einige der etwa 500 Gefangenen sprechen zu können, die dort von der US-Regierung mit dem Verdacht auf terroristische Aktivitäten festgehalten werden. »Seit Monaten hören und lesen wir über Folter, die von Repräsentanten der amerikanischen Regierung im Namen des amerikanischen Volkes verübt wird. Es ist unsere Pflicht als gläubige Menschen, etwas dagegen zu unternehmen«, hieß es damals in einer Presseerklärung der AFSC-Aktivisten. »Wir fordern, daß die Gefangenen von Guantánamo mit dem gleichen Maß an Würde und Respekt behandelt werden, wie wir unsere eigenen Söhne, Brüder und Väter behandelt sehen wollten. Unabhängig vom Täter ist Folter ein Akt des Terrorismus.«

Die Administration von US-Präsident George W. Bush leugnet Foltervorfälle auf Guantánamo vehement. Erst in der vergangenen Woche wies sie einen diesbezüglichen Bericht der UNO energisch zurück. Während ihrer Europareise im Dezember hatte US-Außenministerin Condolezza Rice praktisch nichts anderes zu tun, als die Foltervorwürfe gegen ihr Land abzuwehren und die Öffentlichkeit zu beruhigen. Berichte über CIA-Foltergefängnisse in Osteuropa und CIA-Geheimflüge hatten für Unmut gesorgt.

»Amerika foltert«, weist Ron Daniels, Direktor des Zentrums für Verfassungsrechte, das Leugnen von Rice energisch zurück. »Folter, Mißhandlung, Vergewaltigung und Bedrohung sind ständige Routine in US-Gefängnissen.«

Charles Graner, einer der US-Soldaten auf den berüchtigten Bildern aus Abu Ghraib, war Gefängniswärter im Hochsicherheitstrakt von Pennsylvania. Bevor er in den Irak kam, war er Beschuldigter in etlichen Mißhandlungsklagen von Insassen von SCI Greene, der Gefängniseinrichtung, die den Todestrakt von Pennsylvania beherbergt. »Ist es bloßer Zufall, daß einige der brutalsten, bösartigsten Akteure in Abu Ghraib US-Reservisten waren, die in ihrem zivilen Leben Gefängniswärter waren? Wo sonst hätten sie es so gut lernen können«, schrieb der in der Todeszelle einsitzende Journalist Mumia Abu-Jamal in einer seiner Kolumnen im April 2005. Abu-Jamal lebt in demselben Hochsicherheitsgefängnis, in dem Graner arbeitete.

Brutale Gefängniswärter

US-amerikanisches Militär- und Geheimdienstpersonal wendet – so wird behauptet – verschiedene Formen von Wasserfolter an Häftlingen in Guantánamo, in Abu Ghraib und in den geheimen CIA-Gefängnissen in europäischen Ländern an. »Die Taktiken und Praktiken aus US-Gefängnissen werden exportiert«, sagt die Direktorin des Strafjustizprogramms der AFSC, Tonya McClary. Ein Bericht der Organisation enthält zahlreiche Zeugnisse von Insassen über Folter in den ganzen Vereinigten Staaten. Ein Häftling aus Utah beschreibt, wie er so lange mit Pfefferspray besprüht wurde, bis er »Verbrennungen und Blasen an Armen, Füßen, auf der Brust und im Gesicht« hatte. Ein anderer schreibt über einen »geistig kranken Gefangenen in einem Isolationstrakt in New Jersey, der zu Tode gefoltert wurde«. Wärter zwangen diesen Häftling dazu, »sexuelle Handlungen an sich selbst vorzunehmen, um Essen und Zigaretten zu bekommen«. Einzig wegen der Bilder aus Abu Ghraib ist Folter kein »schmutziges Geheimnis Amerikas mehr«, so Bonnie Kerness.

Die USA und Guantánamo

Weniger das Foltern von Gefangenen als der daraus für die USA resultierende Imageschaden bereitet den Verbündeten der westlichen Wertegemeinschaft mehr und mehr Sorgen. Der deutsche Botschafter in Washington, Wolfgang Ischinger, erklärte am Sonntag (Ortszeit) im US-Fernsehsender CNN zum Gefangenenlager Guantánamo: »Je eher es geschlossen wird, desto besser wird es sein für den Ruf der Vereinigten Staaten, nicht nur als militärische und politische, sondern auch als moralische Führungsmacht in der Welt.« Frankreichs Botschafter in Washington, Jean-David Levitte, bezeichnete Guantánamo als »Peinlichkeit«. Das Problem müsse auf die eine oder andere Weise gelöst werden. »Es ist notwendig, daß die Leute in Guantánamo einen fairen Prozeß bekommen«, sagte er dem US-Nachrichtensender.

Ähnlich hatten Zeitungen in Deutschland in der vergangenen Woche die unbefristete Käfighaltung von Menschen bei tropischen Temperaturen kommentiert. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung meinte, Guantánamo sei »aus politischen Gründen als Raum stark verdünnter Rechtsstaatlichkeit« geschaffen worden (siehe jW vom 18./19.2.). Die Nürnberger Nachrichten fürchteten: »Die jetzt veröffentlichten Bilder von mißhandelten irakischen Gefangenen sind zwar zwei Jahre alt: Aber ihre Wirkung in der arabischen Welt ist erneut so verheerend, als handle es sich um einen brandaktuellen Fall.« Die Neue Osnabrücker Zeitung schließlich wertete Guantánamo als »Entgleisung«, der »rechtsfreie Raum« bilde mit dem Irak »die dünnste Stelle in der Abwehrfront«. Schließlich bewege sich die US-Regierung »hier wie dort in großen Glaubwürdigkeitslücken, mästet so den Feind und entfremdet sich Verbündeten«.

* Aus: junge Welt, 22.02.2006


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