"Ein sehr, sehr mildes Urteil" - "Falsches Signal" - "Richterlicher Stinkefinger"
12 Stellungnahmen und Kommentare zum Urteil im Daschner-Fall
Im Folgenden dokumentieren wir eine kleine Auswahl aus einer Flut von Kommentaren und Stellungnahmen, die zum Ausgang des Daschner-Prozesses veröffentlicht wurden. Die Bandbreite der Meinungen ist größer als einem lieb sein kann: Sie reicht immerhin bis zur grundgesetzwidrigen unverhohlenen Propagierung der Anwendung von "verzweifelten Mitteln" (vulgo: Foltermethoden) in der Tageszeitung "Die Welt".
Doch zunächst ließ am 21. Dezember 2004, dem Tag, an dem in den Printmedien die meisten Kommentare zum Fall Daschner (das Urteil wurde am 20. Dez. gesprochen), eine Meldung aus dem Wiener "Standard" aufhorchen:
"Ein Freispruch und eine zur Bewährung ausgesetzte Haftstrafe von sechs Monaten sind das Ergebnis eines Militärjustizverfahrens gegen zwei im irakischen Gefängnis Abu Ghraib eingesetzte US-Soldaten. Die beiden Angehörigen der Marine-Spezialeinheit SEAL wurden beschuldigt, irakische Gefangene misshandelt zu haben.
In dem mit Freispruch beendeten Verfahren war ein Unteroffizier angeklagt, einen mit Handschellen gefesselten Häftling geschlagen zu haben, der danach starb. In dem anderen Fall ging es um die Misshandlung bei einem Verhör. Die Namen der Beschuldigten wurden nicht mitgeteilt. Den Ausgang des nichtöffentlichen Verfahrens vor Hauptmann James O'Connell in Coronado bei San Diego gaben die Anwälte der Soldaten am Montag bekannt."
So weit ist es in Deutschland noch nicht gekommen. Das Daschner-Urteil kann aber nach der überwiegenden Meinung der nun folgenden Kommentare (der "Welt"-Kommentar ausgenommen) einer Entwicklung dorthin Vorschub leisten - zuerst wird mit einem Tabu gebrochen, dann werden Ausnahmen vom Rechtsprinzip begründet, schließlich schleicht sich unter der Hand eine neue Praxis ein - eben die Anwendung "verzweifelter Mittel" in "verzweifelten Situationen"; sie sind auf Kriegsschauplätzen jederzeit herstellbar.
Im Folgenden lesen Sie folgende Stellungnahmen/Kommentare (teilweise in Auszügen):
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Rolf Gössner (Internationale Liga für Menschenrechte)
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Gemeinsame Presseerklärung von Humanistischer Union und anderen Organisationen
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amnesty international Deutschland: Pressemitteilung
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FTA-FriedensTreiberAgentur (Wolfgang Kuhlmann)
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Kommentar: Kein Lob dem Preis (FAZ)
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Kommentar: Die große Angst (FAZ)
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Analyse: Ein sehr, sehr mildes Urteil (Berliner Zeitung)
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KOMMENTAR: Die Büchse der Pandora (Frankfurter Rundschau)
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Foltern, aber ehrenhaft (Neues Deutschland)
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Kommentar: Was das Urteil lehrt (Die Welt)
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Ein zu mildes Urteil (Süddeutsche Zeitung)
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Im Licht der Öffentlichkeit (taz)
Zwar ist heute im Fall Daschner immerhin eine Verurteilung der
Folterandrohung erfolgt - doch setzt dieses ausgesprochen milde Urteil ein
falsches Signal. Es passt nach Auffassung der Internationalen Liga für
Menschenrechte in eine Zeit, in der im Zuge eines verschärften
"Antiterror"-Kampfes ein kräftiges Abrücken vom absoluten Folterverbot der
internationalen Menschenrechtskonventionen zu verzeichnen ist.
Liga-Präsidnet Dr. Rolf Gössner: "Dieses Urteil wird die fatale Debatte um
die Zulässigkeit von Foltermaßnahmen nicht verstummen lassen. Die grausamen
Folterszenen des Jahres 2004 strahlen weit hinein nach Europa, in die
Bundesrepublik, auf ihre Polizei und ihre Bundeswehr aus. Das zeigt nicht
nur die öffentliche Debatte um den Fall Daschner, das zeigen auch die
erschreckenden Folterübungen bei der Bundeswehr, die sich auf internationale
Einsätze in aller Welt vorbereitet." Dieser fatalen Entwicklung einer
Erosion des Folterverbots, so Gössner, müsse auch mit Hilfe einer wachsamen
Justiz energisch Einhalt geboten werden.
Internationale Liga für Menschenrechte
Dr. ROLF GÖSSNER
Humanistische Union
Bürgerrechte & Polizei/CILIP
Komitee für Grundrechte und Demokratie
Internationale Liga für Menschenrechte
Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen
Berlin, 20.12.2004
Mildes Urteil im Fall Daschner ist falsches Signal
Bürgerrechtsorganisationen befürchten schleichende Erosion des generellen
Folterverbots und fordern entschiedenes Gegensteuern
Mit dem heute verkündeten Urteil gegen den ehemaligen Vizepräsidenten der Frankfurter Polizei, Wolfgang Daschner, und den mitangeklagten Kriminalhauptkommissar Ortwin Ennigkeit sind weder das Gericht noch die Staatsanwaltschaft der Bedeutung des ausnahmslos geltenden Folterverbotes und dem Schutz der Menschenwürde gerecht geworden.
Zwar hat das Gericht die beiden Polizeibeamten für schuldig befunden und die Gewaltandrohungen als rechtswidrig bezeichnet.
Die Angeklagten sind jedoch derart milde verurteilt worden, als habe es sich bei der angedrohten Folter um eine Bagatelle gehandelt. Folgt man der Logik des Gerichts, ist die Androhung von Folter in Deutschland - wenn sie aus einer "ehrenwerten Gesinnung" erfolgt - faktisch legitim.
Der Fall Daschner hat über den konkreten Vorwurf hinaus Bedeutung erlangt, weil mit seiner Hilfe das generelle Folterverbot aufgeweicht werden sollte. Offenkundig hat das Gericht die Chance und die Notwendigkeit versäumt, in dieser Frage eine eindeutige Antwort zu geben. Die unterzeichnenden Bürgerrechtsorganisationen werden deshalb die schriftliche Urteilsbegründung mit besonderer Sorgfalt lesen.
Für uns steht fest, dass jeder Verharmlosung von Folter, sei es im Namen der Gefahrenabwehr, des übergesetzlichen Notstandes oder des "Anti-Terror-Kampfes" eine Absage erteilt werden muss.
FOLTER / URTEIL IM "DASCHNER-PROZESS"
Es bleibt dabei: Der Staat darf nicht foltern oder misshandeln!
Berlin, 20. Dezember 2004 - Als Bestätigung des absoluten
Folterverbots in Deutschland hat das FORUM MENSCHENRECHTE das Urteil
im Strafverfahren gegen den ehemaligen Polizeivizepräsidenten von
Frankfurt a.M., Wolfgang Daschner, begrüßt. "Das Gericht hat
erfreulicherweise festgestellt, dass Daschners Handeln rechtswidrig
und strafbar war. Das haben wir von Anfang an festgestellt", sagte
Barbara Lochbihler, Generalsekretärin von amnesty international, für
das FORUM MENSCHENRECHTE. "Das Urteil signalisiert der Polizei und
allen anderen gesellschaftlichen Kräften, dass der Staat in
Deutschland unter keinen Umständen foltern oder misshandeln darf",
fuhr Lochbihler fort. "Das Gericht hat klargemacht, dass Hinweise auf
?Gefahrenabwehr?, ?Notstand? oder ?Nothilfe? nicht zulässig sind.
Folter ist absolut verboten und muss verboten bleiben."
Enttäuscht zeigte sich das FORUM MENSCHENRECHTE, dass das Gericht die
Tat von Daschner und dem mitangeklagten Hauptkommissar Ortwin
Ennigkeit nicht als Folter werten wollte. "Alle Versuche, das
absolute Folterverbot auch nur aufzuweichen, müssen eindeutig
zurückgewiesen werden. Das Gericht hat die Chance verpasst, hierzu
ein unmissverständliches Wort beizutragen", sagte Lochbihler.
Allerdings sind nach dem Völkerrecht Folter und grausame,
erniedrigende oder unmenschliche Behandlung gleichermaßen absolut und
"notstandsfest" verboten. Das Gericht verwies ausdrücklich auf den
Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention und stellte fest,
dass Daschner dagegen verstoßen habe.
"Folter ist ein schwerwiegender Angriff auf die Menschenwürde. Sie
muss geächtet bleiben. Ein Rechtsstaat, der Folter zuließe, würde
jede Legitimation und Glaubwürdigkeit verlieren - auch die, in
anderen Ländern Menschenrechtsverletzungen zu kritisieren. Das Urteil
tritt daher auch jenen entgegen, die etwa unter Verweis auf den
islamistischen Terrorismus meinen, die Grundlagen des Rechtsstaates
müssten angeblich neuen Erfordernissen der ?Sicherheit? Schritt für
Schritt weichen."
"Der Prozess ist auch im Ausland aufmerksam beobachtet worden", sagte
Lochbihler. "Er gilt als Präzedenzfall für die Frage, wie
Rechtsstaaten heute mit Folter umgehen. Nicht zufällig wird der
Prozess von ausländischen Medien sowie von UN-Gremien verfolgt."
Das FORUM MENSCHENRECHTE ist ein Netzwerk von mehr als 40 deutschen
Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die sich für einen
verbesserten, umfassenden Menschenrechtschutz einsetzen - weltweit,
in bestimmten Weltregionen, Ländern und in der Bundesrepublik
Deutschland.
Das Urteil gegen Daschner (und seinen Mitangeklagten, hier wie sonst
begrifflich zu Unrecht unterschlagen) löst bundesweite Kommentarfluten
aus. Auch das Ausland wird sich bei näherem Hinsehen gewiß beunruhigt
zeigen.
Urteil und Anklageerhebung, beide in weiten Teilen eher an einen
Freispruch erinnernd (doch der wäre beim besten Willen nicht mehr
begründbar gewesen), sind letztlich eine Anleitung zum Foltern. Man
muß sich nur hinreichend Streß ausgesetzt sehen....
Nicht, daß Strafe eine heilsame oder auch nur abschreckende Wirkung
hätte (dann wäre die BRD ein Land der reinen Engel und hätte nach dem
Zweiten Weltkrieg auch keine Angriffskriege gegen andere Länder
geführt).
Aber wenn Folterherr und -knecht nur den richterlichen Stinkefinger in
Form einer " Verwarnung mit Strafvorbehalt" gezeigt bekommen, ist es
für künftige Folterer eine Einladung, sich das Urteil genau
anzuschauen. Dann wissen sie, wie künftig Folterbegründungen
auszusehen haben.
Sie können auch mit Nachsicht rechnen, wenn ihre Tat Aufsehen erregt
und sie dadurch sehr belastet oder gar versetzt werden.
Sie müssen nicht einmal Reue zeigen und somit Schutz vor
Wiederholungstaten anbieten.
Nicht verwunderlich wäre es, wenn das böse Wort der Krähenmentalität
die Runde macht (den echten Krähen geschieht dabei übrigens wieder
einmal Unrecht). Vielleicht ist das Recht auch ein Opfer von "Volkes
Stimme" geworden: es war ein Schöffengericht, welches entschieden hat.
Der außergewöhnlich milden Anklage folgte ein alles Vor-Urteile gegen
den Prozeß bestätigendes solches Urteil.
FriedensTreiberAgentur
20. Dezember 2004. Das rechtsstaatliche Gefüge der Bundesrepublik ist 10 800 Euro wert. Vielleicht sogar 14 400, wenn man die Geldstrafe für den zweiten im sogenannten "Frankfurter Folterprozeß" verurteilten Polizeibeamten dazurechnet. Oder anders betrachtet: Das rechtsstaatliche Gefüge der Bundesrepublik ist überhaupt nichts wert, denn die beiden Geldstrafen für den Frankfurter Vizepolizeipräsidenten Daschner, der dem Kindesentführer Magnus Gäfgen von einem Vernehmungsbeamten schwere Schmerzen androhen ließ, falls er das Versteck seines Opfers nicht preisgebe, und für seinen Kollegen, der das Verhör durchführte, sind nicht einmal verhängt, sondern lediglich angedroht worden: für den Fall, daß sich die beiden Polizisten im Laufe eines Jahres (eine ungewöhnlich kurze Frist) etwas zuschulden kommen lassen. Beide gelten somit im formalrechtlichen Sinne nicht als vorbestraft und müssen auch keine dienstlichen Konsequenzen mehr fürchten. Damit folgte die Strafkammer des Landgerichts Frankfurt im Grunde dem Antrag der Staatsanwaltschaft, unterschritt allerdings die von dieser geforderte Geldstrafe deutlich: Preis des Unrechts oder Lobpreis dem Unrecht? Die Vorsitzende Richterin hat in ihrer Urteilsbegründung jeder Form von Folter eine klare Absage erteilt. Warum ihrer Kammer dann aber die festgestellte schwere Nötigung nur diese ungewöhnliche Verwarnung unter Strafvorbehalt wert war, ist mit der bloßen Berufung auf "massive mildernde Umstände" nicht verständlich. Auch wenn das Gericht damit jener gestern ermittelten Mehrheit von 68 Prozent der Deutschen, die einen Freispruch für die beiden Angeklagten bevorzugt hätten, entgegenkommt, darf doch nicht aus dem Blick geraten, daß hier von einem ranghohen Repräsentanten der Staatsmacht das grundgesetzlich garantierte Recht selbst der übelsten Verbrecher auf Wahrung ihrer Würde und auf körperliche Unversehrtheit mißachtet worden ist. (...) Nun aber ist die Diskussion um die grundlegende Frage, ob man zur Verhütung von Kapitalverbrechen foltern darf, auf einem Tiefpunkt angelangt: Der Hamburger Strafrechtler Reinhard Merkel fordert analog zum finalen Rettungsschuß eine Rettungsfolter in Nothilfelagen, weil sich der Staat sonst "strukturell in die Rolle eines Mordgehilfen" begebe. Wieviel Verwirrung verträgt diese Debatte denn noch?
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.12.2004, Seite 31
20. Dezember 2004 V.Z. Im Fall Daschner scheinen alle Verfahrensbeteiligten den Umständen entsprechend zufriedengestellt zu sein. Die Staatsanwaltschaft hatte für den angeklagten vormaligen Vizepräsidenten der Frankfurter Polizei ein Urteil angestrebt, das im Grunde einer Verwarnung gleichgekommen wäre. Der Verteidigung war es mit dem geforderten Freispruch nicht Ernst, denn es ist nun einmal so, daß für Daschners Verhalten auch im Polizeirecht die gesetzliche Grundlage fehlte. Nun wird die Sache mit einer vergleichsweise milden Strafe beigelegt, die Daschners Tat als ungesetzlich qualifiziert, ohne ihn zugleich moralisch und beruflich weiter zu schädigen.
Doch kann all die Zufriedenheit ein Gefühl der Unzufriedenheit nicht auslöschen. Denn obgleich Daschner nicht gesetzmäßig gehandelt hat, wie man es von einem Hoheitsträger und schon gar von einem führenden Polizisten verlangen muß, so fällt es doch schwer, sein Verhalten als unmoralisch zu verurteilen. Er hat versucht, ein Leben zu retten. In dieser Lage war nicht Daschner, sondern Gaefgen der Mächtige. Das Kind lebte, wie dann herauskam, nicht mehr. Gaefgen hatte den Jungen schon ermordet. Er hatte ihm erst den Mund mit Klebeband verschlossen, dann die Nase, weil er "einfach Ruhe" wollte. Und den Mercedes. Im Prozeß gegen Daschner hat Gaefgen dann von seiner Angst erzählt, als man ihm Schmerzen androhte. Er habe um sein Leben gefürchtet. Er habe gesagt, wo das Kind zu finden sei, aber weiter große Angst gehabt. Wer hat sie ihm denn wohl gemacht? (...)
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.12.2004, Seite 1
Bettina Vestring
Wer würde sich anders verhalten? Wer wollte das entführte Kind nicht retten? Wer würde nicht jedes Mittel einsetzen, um den Entführer zur Preisgabe seines Verstecks zu zwingen? Die Antwort der Deutschen ist eindeutig: 68 Prozent sind der Überzeugung, dass der Frankfurter Vize-Polizeichef Wolfgang Daschner freigesprochen werden sollte. In anderen Worten: Dass Daschner richtig gehandelt hat, als er anordnete, den mutmaßlichen Entführer Magnus Gäfgen mit der Androhung von Gewalt zur Aussage zu zwingen.
Die ZDF-Umfrage zeigt, was zwei Drittel der Deutschen spontan denken und fühlen. Sie identifizieren sich mit dem verzweifelten Zorn, der den Polizei-Vizepräsidenten angesichts seines starrsinnigen, provokativen Gefangenen erfüllt haben muss. Sie fühlen sich ein in Daschners Wettlauf mit der Zeit, seinem Gefangenen rechtzeitig die womöglich lebensrettende Aussage abzuringen. Dass der kleine Jakob von Metzler schon lange tot war, ehe Daschner seine Anordnung gab, mindert ihre Sympathie nicht.
Wer so fühlt, lässt sich auch für den nächsten Schritt gewinnen: Den Vorschlag, das absolute Folterverbot im deutschen Recht einzuschränken. Nur für absolute Ausnahmefälle, heißt es dann gleich, eben für Fälle wie den von Daschner und Gäfgen. Für Fälle, wo man zu einer Abwägung kommen müsse zwischen dem großen Rechtsgut eines Menschenlebens und kleinen, temporären Einschränkungen des Wohlbefindens eines Kriminellen. Selbst ein Rechtsprofessor fand sich am Montag, der für diesen Fall das passende Unwort erfand: "Rettungsfolter".
Achtung!, möchte man rufen, Achtung! Wer diesen Weg einschlägt, der rutscht ab, unweigerlich und unumkehrbar. Wo will er auch Halt machen? Wer die Androhung von Gewalt für richtig hält, wird auch Gründe finden, ihre Anwendung zu befürworten. (...)
Es ist eine große Erleichterung, dass das Frankfurter Landgericht wenigstens in seiner Urteilsbegründung keine Rutschbahn geschaffen hat. Richterin Stock hat unmissverständlich klar gemacht, dass Daschners Gewaltandrohung durch kein Gesetz gedeckt und auf keine Weise gerechtfertigt war. In ihrer Urteilsbegründung verneigt sich Stock vor dem Grundgesetz, das in seinem ersten Artikel die Menschenwürde für unantastbar erklärt.
Aufgehoben in ihrer Wirkung wird diese Klarheit allerdings durch die Milde der Strafe ...
Daschner selbst, das ist sehr wahrscheinlich, wird in seinem Leben niemandem mehr mit der Folter drohen. Das hat das Urteil erreicht, dafür hat Richterin Stock gesorgt. Aber bei den vielen Sympathisanten seines Vorgehens, den 68 Prozent der Deutschen, die seine Drohung richtig fanden, kommt eine andere Nachricht an. Die, dass Folter nicht unter allen Umständen bestraft wird.
Berliner Zeitung, 21. Dezember 2004
VON KARIN CEBALLOS BETANCUR
"Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden." Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention hat in Deutschland weiterhin Bestand, auch nach dem Urteil im Daschner-Prozess. Und doch ist etwas anders, als es vorher war.
(...)
Was hättest Du getan, wenn es Dein Kind gewesen wäre? Diese Frage wurde in den vergangenen Monaten immer wieder gestellt. Niemand, der nicht das gleiche grausame Schicksal durchlitten hat, vermag sich auszumalen, was die Eltern entführter, missbrauchter, ermordeter Kinder durchstehen müssen. Dem Mitgefühl steht das nicht entgegen. Auch diejenigen, die - mit oder ohne Kinder - ausschließen wollen, dass Eltern, Freunde oder Bekannte, dass überhaupt irgendein Mensch Opfer staatlicher Willkür wird und daher gegen Gewalt im Verhör eintreten, fühlen mit den Opfern von Verbrechen. Aber wer Unrecht mit Unrecht aufrechnen will, landet schnell bei feudalen Zuständen, die der Rechtsstaat überwunden haben sollte.
Spätestens mit dem 11. September 2001 ist deutlich geworden, dass es vor den Übergriffen Einzelner keinen umfassenden Schutz geben kann. Terror, Vergewaltigung, Mord und Totschlag sind Teil dieser Gesellschaft, auch bei verschärften Verhörmethoden, deren Wirksamkeit im Übrigen äußerst zweifelhaft ist. Vor dem Individuum kann sich das Individuum nur bedingt schützen. Es sollte im Interesse aller liegen, dass Übergriffe zumindest da verhindert werden, wo der Staat dem Individuum entgegentritt. Nicht zuletzt aus Gründen, die in der deutschen Geschichte liegen, sind die Gesetze gegen staatliche Willkür strikt gefasst und von elementarer Bedeutung.
Wolfgang Daschner hätte sich auf geltendes Recht berufen können, wenn er auf die Gewaltandrohung verzichtet hätte. Er hätte mitteilen müssen, das es ihm trotz Ausschöpfen aller zulässigen Mittel nicht möglich gewesen ist, das Leben Jakob von Metzlers zu retten. Ob alle Mittel ausgeschöpft wurden, bleibt ungewiss. Fest steht, dass er mit Gewalt drohen ließ. Jakob von Metzler ist tot.
Beamte, die in Zukunft das Leben entführter Kinder retten wollen, werden es schwerer haben, sich in ihrem Handeln auf die Rechtsordnung zu berufen. Was wird passieren, wenn verzweifelte Eltern auf dem Polizeipräsidium auftauchen und dem Behördenleiter für die Anwendung unerlaubter Verhörmethoden Geld anbieten? Nicht weil sie ihn bestechen wollten, sondern im Sinne einer vorauseilenden Entschädigung für die Geldstrafe, die den Beamten möglicherweise erwartet? Wird der Beamte, der das Angebot ablehnt, sich nicht dem Vorwurf aussetzen, das Leben eines unschuldigen Kindes sei ihm das Geld nicht wert?
Dass ein schwerwiegendes menschliches Dilemma überhaupt ausgepreist wird, ist Wolfgang Daschner zuzurechnen, der die Entscheidung getroffen und damit die Büchse der Pandora geöffnet hat. Aber auch Gericht und Staatsanwaltschaft haben entgegen aller Beteuerungen nicht die notwendigen Konsequenzen gezogen.
Mancher mag das Urteil für angemessen halten. Die Grenzen des Rechtsstaats sichert es nicht.
Frankfurter Rundschau, 21. Dezember 2004
Von Claus Dümde
In Deutschland darf gefoltert werden«, urteilt die Justiz der Bankenmetropole Frankfurt am Main. Ohne Ansehen des Grundgesetzes. Mit einer Einschränkung: Foltern bleibt – vorerst? – nur dann unbestraft, wenn es aus »ehrenhaften Motiven« geschieht. Und mit Rücksicht auf eine womöglich dennoch empörte (Welt-)Öffentlichkeit erging der Freispruch für Vizepolizeichef Daschner und seinen willfährigen Untergebenen in Form einer Verwarnung mit Strafvorbehalt.
Das von Richterin Stock verkündete Urteil der 27. Strafkammer des Landgerichts ist ein Skandal. Wie schon der Antrag von Staatsanwalt Möllers, gegen den Strafanzeige wegen Rechtsbeugung erstattet wurde. Denn eine Verwarnung ist die denkbar mildeste Reaktion der Justiz auf eine Rechtsverletzung. Dieses Urteil ist der Straftat einer schweren Nötigung im Amt völlig unangemessen. Es spricht dem auch Deutschland bindenden völkerrechtlichen Verbot von Folter und anderer unmenschlicher Behandlung Hohn. Und damit Artikel1 Grundgesetz, der die Menschenwürde für unantastbar erklärt.
Folter, auch die Drohung damit, muss verboten bleiben. Selbst wenn es um das Leben eines Kindes geht. Sonst gibt es keine Grenzen mehr. Denn schon begrüßte die Polizeigewerkschaft das Urteil – weil es angeblich Rechtssicherheit schafft. Zu Lasten des Rechts.
Neues Deutschland, 21. Dezember 2004
Der Kommentar von Konrad Adam
(...) Das Unbehagen stellt sich ein, sobald man das Verfahren, das Daschner durch eine Aktennotiz selbst in Gang gebracht hatte, nicht mit den Augen des paragraphenkundigen Fachjuristen, sondern mit denen des Bürgers betrachtet, sich also probeweise in die Rolle der gepeinigten Eltern zu versetzen sucht, die tagelang um das Leben ihres Kindes bangen mußten, um am Ende zu erfahren, daß alles umsonst war, weil der Mörder kurzen Prozeß gemacht und sein Opfer gleich nach der Entführung umgebracht hatte. Wer das tut und sich und anderen die Frage vorlegt, was aus diesem Urteil zu lernen ist, der könnte blaß werden.
Von nun an dürfen Eltern nicht mehr sicher sein, daß die Staatsgewalt das Äußerste unternimmt, um ein Kind, das Opfer eines widerwärtigen Verbrechens geworden ist, zu retten. Die Polizei weiß, daß es sich auszahlen könnte, auch noch im Falle eines übergesetzlichen Notstandes Dienst nach Vorschrift zu machen und möglichst wenig zu riskieren. Und wer mit dem Gedanken spielen sollte, als Entführer sein Glück zu versuchen, darf sich jetzt dazu ermuntert fühlen, bei der Vernehmung nichts zu übereilen und mit der Wahrheit, wenn überhaupt, nur stückweise herauszurücken. Auch dann, wenn davon Leben und Gesundheit eines anderen abhängen könnte.
Ein Sieg des Rechtsstaates, werden die einen sagen; Niederlage der Gerechtigkeit, die anderen. Daß es zwischen dem einen und der anderen Spannungen gibt, ist keine neue Erkenntnis. Daß sie zum Nachteil eines Beamten gelöst werden, der sich in einer verzweifelten Lage zu einem verzweifelten Mittel entschloß, aber schon.
Die Welt, 21. Dezember 2004
Niemand wird sagen ,er könne nicht verstehen, dass Wolfgang Daschner mit einer Gewaltdrohung das Leben eines Kindes retten wollte. Und doch ist es nicht in Ordnung, wenn Folter - und es handelt sich hier um eine Art von Folter - nur mit einer Verwarnung geahndet wird.
Von Markus C. Schulte v. Drach
Niemand wird behaupten, er habe kein Verständnis für die Entscheidung des Vize-Polizeipräsidenten Wolfgang Daschner, einem Entführer Gewalt androhen zu lassen, wenn es um das Leben eines Kindes geht.
(...)
Nun leben wir aber – zum Glück - in einem Rechtstaat, und es ist nicht dem einzelnen überlassen, Urteile zu fällen, die die Unversehrtheit eines anderen Menschen beeinträchtigen können. Es steht uns nicht an, zu entscheiden, was jenseits des Gesetzes erlaubt ist, und was nicht. Und das ist gut so. Zu sehr würden sonst persönliche Betroffenheiten und Gefühle das Verhalten – etwa gegenüber mutmaßlichen oder überführten Gewalttätern - beeinflussen.
Das Urteil, das jetzt gegen Wolfgang Daschner ausgesprochen wurde, beugt das Recht nicht – schließlich wurde er verurteilt bzw. verwarnt. Doch die Milde des Urteils, insbesondere dass es zur Bewährung ausgesetzt wurde, ist nicht in Ordnung. Das Gericht missbraucht die Bewährung als Hintertür, um den Gewissenskonflikt zu lösen, in dem es steckt, und um das Volk, das große Sympathie für Daschner hegt, nicht zu verärgern.
Das Problem ist das Signal, das von diesem Urteil ausgeht. Daschner hat Gewalt androhen lassen, was gleichbedeutend ist mit Folter! Und eine Bewährungsstrafe für Folter – das ist zu wenig in einem Rechtsstaat. Insbesondere da eine Verwarnung mit Strafvorbehalt kaum als richtige Strafe wahrgenommen wird.
(...) Folter muss als Mittel grundsätzlich abgelehnt werden: In Deutschland wird nicht gefoltert und nicht mit Folter gedroht. In dieses Fundament hat das Daschner-Urteil ein Loch gerissen.
Süddeutsche Zeitung, 21. Dezember 2004
Im Licht der Öffentlichkeit
Wolfgang Daschner, der ehemalige Frankfurter Polizeivizepräsident, hat eine denkbar milde Strafe erhalten. Für seine unverhohlene Drohung gegenüber dem Entführer und Mörder Magnus Gäfgen, Gewalt anzuwenden, wurde er lediglich verwarnt. Das Gericht hielt dem Angeklagten zugute, dass er unter Stress gestanden und gute Absichten gehegt habe.
VON CHRISTIAN RATH
Bedenklich ist das Urteil, weil es im Ausland falsch verstanden werden könnte. Wie kann man die Türkei noch glaubwürdig kritisieren, wenn es dort milde Urteile für rechtsstaatswidrige Polizeimethoden gibt? Und muss die Milde, die man in einem tragischen Entführungsfall aufbringt, nicht erst recht gegenüber den USA gelten, die in einen schwierigen Antiterrorkampf verstrickt sind?
Innenpolitisch wird das Urteil sicher keinen Dammbruch auslösen. Jeder Polizist weiß nun, dass Konstruktionen wie der "übergesetzliche Notstand" in solchen Fällen nicht akzeptiert werden, dass es also zumindest ein Straf- und Disziplinarverfahren und viel öffentlichen Wirbel geben wird. Auch Daschner ist durch die Versetzung in die Verwaltung, die er als Schmach empfunden hat, bereits genug bestraft.
Wichtig an dem mehrwöchigen Prozess war vor allem eine Erkenntnis: Die Folterdrohung Daschners war gar nicht "das letzte Mittel", um herauszufinden, wo Gäfgen den entführten Jakob versteckt hielt. Zwar ist es legitim, dass sich Daschner als Mann präsentiert, der unbeirrt seinem Gewissen folgte. Doch Politik und Medien sollten sich hüten, diese idealisierte Sichtweise zu übernehmen. Der Polizeipsychologe und fast alle im Fall eingesetzten Ermittler sahen noch andere Mittel, den Entführer zum Reden zu bringen. So wartete Elena von Metzler, die von Gäfgen bewunderte Schwester des Entführten, stundenlang auf eine Gegenüberstellung, um Gäfgen zu schildern, welche Leiden er in ihrer Familie verursacht. Daschner verzichtete darauf und setzte sein Gewaltkonzept gegen den Widerstand der zuständigen Sonderkommission durch. Er ist kein tragischer Held, sondern war als Polizist in einer schwierigen Situation schlichtweg überfordert.
Nun hat das gestrige Urteil einen klaren Trennstrich gezogen. Folter ist und bleibt Unrecht, und darauf kommt es an. Polizisten sollen nicht wissen, wie man foltert. Sie sollen sich nicht daran gewöhnen, und es sollen keinerlei Ausflüchte gelten, falls es doch ans Licht kommt.
taz vom 21.12.2004
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