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Obama unter Druck

Amnesty fordert Einhaltung der Wahlversprechen

Von Olaf Standke *

Sicher, die neue USA-Regierung schlage bei den Menschenrechten einen ganz anderen Weg ein als Präsident Bush, lobt Irene Khan, internationale Generalsekretärin von Amnesty International. Dass Barack Obama nach nur 48 Stunden im Amt entschieden habe, das Gefangenenlager Guantanamo innerhalb eines Jahres zu schließen, Folter abzulehnen und der geheimen CIA-Haft ein Ende zu setzen, sei ebenso anerkennenswert wie der Beschluss, einen Sitz im UN-Menschenrechtsrat anzustreben. Trotzdem fällt die Amnesty-Bilanz für den neuen Mann im Weißen Haus zwiespältig aus. Denn zu wenig habe er bisher umgesetzt, manches wieder relativiert.

So gab der Präsident zwar vier Memoranden der Vorgängerregierung, die die CIA ermächtigten, Gefangene in geheimer Haft mit Folter und anderen Misshandlungen zu verhören, zur Veröffentlichung frei. Gleichzeitig aber erklärte er, dass niemand für Handlungen verurteilt werde, die seinerzeit den Richtlinien des Justizministeriums entsprochen hätten. Amnesty fordert Obama dagegen auf, eine unabhängige Untersuchungskommission einzurichten und die Folterverantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Zudem sollten ihre Opfer Wiedergutmachung erfahren.

Oder Guantanamo. Präsident Obama hat zwar eine Verfügung zur Lagerschließung unterzeichnet, sich aber nicht darauf festgelegt, die Gefangenen entweder vor zivilen Gerichten anzuklagen oder sie zu entlassen. Bis heute kam nur einer von ihnen frei, keiner wurde angeklagt. Und das, obwohl bereits Bundesrichter die sofortige Entlassung einzelner Häftlinge angeordnet haben, wie Amnesty hervorhebt.

Sie hierzu die jüngste programmatische Rede von Obama:

"Statt unsere Sicherheit zu erhöhen, hat das Gefängnis in Guantánamo die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten geschwächt"
Im Wortlaut: Rede von US-Präsident Barack Obama zur Nationalen Sicherheit: "Ich werde keine Personen freilassen, die eine Gefahr für amerikanische Bürger darstellen"



In diesem Zusammenhang kritisiert die Organisation auch, dass die humanitäre Aufnahme von Guantanamo-Insassen in Europa weiter auf sich warten lasse. Es müsse verhindert werden, dass durch ein politisches Tauziehen Unschuldige weiter unter unwürdigen Bedingungen eingesperrt bleiben. Die Bundesregierung solle wie Paris Gefangene aufnehmen, die nicht in ihre Heimatländer zurück können, und so ihren Teil dazu beitragen, dass Guantanamo endlich geschlossen wird.

Während des Präsidentschaftswahlkampfes hatte Obama auch das System der Militärkommissionen als einen enormen Fehlschlag kritisiert und dann durch das Aussetzen der Verfahren die Erwartung geweckt, dass diese Sondergerichte der Vergangenheit angehören. Doch inzwischen machte er einen Rückzieher und will grundsätzlich an - wenn auch reformierten - Militärtribunalen festhalten. Amnesty fordert vom Präsidenten nachdrücklich die Einhaltung seiner Wahlversprechen.

Zum angekündigten Wandel müsse auch gehören, dass die Missstände im US-amerikanischen Militärgefängnis im afghanischen Bagram endlich beendet werden. Dort würden immer noch hunderte Menschen ohne jegliche Aussicht auf eine Lösung festgehalten. Die USA müssten sich nun ihrer Verantwortung im Hinblick auf ihr angeschlagenes Renommee und ihre Doppelmoral in Menschenrechtsfragen stellen, so Irene Khan.

* Aus: Neues Deutschland, 28. Mai 2009


Amnesty Report 2009

Das Vorwort von Irene Khan **

Im September 2008 nahm ich in New York an dem hochrangigen Treffen der Vereinten Nationen (UN) zu den Millennium-Entwicklungszielen teil - den international vereinbarten Vorgaben zur Reduzierung der Armut bis 2015. Alle Delegierten forderten mehr finanzielle Unterstützung zur Bekämpfung des Hungers, zur Senkung der Kindersterblichkeit und der Todesfälle während der Schwangerschaft, zur Versorgung der Bevölkerung mit sauberem Wasser und sanitären Einrichtungen und zur Schaffung von mehr Bildungsmöglichkeiten für Mädchen. Das Leben und die Würde von Milliarden Menschen standen auf dem Spiel, doch es fehlte der nötige Wille, den Worten auch Taten und Geld folgen zu lassen. Als ich das UN-Gebäude verließ, ging es in den Schlagzeilen um eine ganz andere Geschichte aus einem anderen Teil Manhattans: um den Zusammenbruch einer der größten Investmentbanken der Wall Street. Ein klares Zeichen dafür, worauf die Welt ihre Aufmerksamkeit richtete und worauf sie ihre finanziellen Mittel konzentrierte. Plötzlich waren die Regierungen reicher und mächtiger Staaten in der Lage, ein Vielfaches der Gelder bereitzustellen, die sie zur Bekämpfung der Armut nicht aufbrachten. Jetzt flossen Unsummen in angeschlagene Banken und in Konjunkturpakete für Volkswirtschaften, die jahrelang ungehindert Vollgas gegeben hatten und nun gegen die Wand zu fahren drohten.

Ende 2008 war klar, dass unsere zweigeteilte Welt des Mangels und der Maßlosigkeit, unsere Welt der Verelendung vieler zur Befriedigung der unersättlichen Gier einiger weniger gerade kollabierte.

Wie beim Klimawandel, so auch bei der globalen Rezession: die Reichen verursachen den Großteil des Schadens, aber die Armen leiden am stärksten unter den Folgen. Zwar spüren alle den eisigen Wind der Rezession, doch die Entbehrungen der reichen Länder sind nichts im Vergleich zu den Katastrophen, die sich in den ärmeren Länder anbahnen. Gerade die Menschen, die sich verzweifelt darum bemühen, der Armut zu entfliehen, von den Wanderarbeitern in China bis zu den Minenarbeitern in Katanga in der Demokratischen Republik Kongo, werden mit voller Wucht getroffen. Nach einer Prognose der Weltbank werden in diesem Jahr weitere 53 Mio. Menschen in Armut gestürzt werden, zusätzlich zu den 150 Mio. Betroffenen der Nahrungsmittelkrise von 2008. Die Erfolge des vergangenen Jahrzehnts werden so zunichtegemacht. Die Internationale Arbeitsorganisation geht davon aus, dass zwischen 18 und 51 Mio. Menschen ihre Arbeitsstelle verlieren könnten. Die explodierenden Lebensmittelpreise verstärken Hunger und Krankheit, und die Kündigung vieler Hypothekendarlehen sowie Zwangsräumungen führen zu noch mehr Obdachlosigkeit und Elend.

Zwar lassen sich die Auswirkungen der Verschwendungssucht der vergangenen Jahre noch nicht in ihrem ganzen Ausmaß vorhersagen, doch ist bereits jetzt klar, dass die Kosten und Folgen der Wirtschaftskrise auch einen langen Schatten auf die Menschenrechte werfen werden. Klar ist ebenso, dass die Regierungen nicht nur den Fehler gemacht haben, die Regulierung von Wirtschaft und Finanzmärkten allein den Kräften des Marktes zu überlassen, sondern dass sie auch an der Aufgabe, die Menschenrechte, den Lebensunterhalt und das Leben der Menschen zu schützen, kläglich gescheitert sind.

Milliarden Menschen leiden unter unsicheren, ungerechten und unwürdigen Lebensverhältnissen - dies ist ohne Zweifel eine Menschenrechtskrise. Eine Krise, die sich in einem Mangel an Nahrungsmitteln, an Arbeit, an sauberem Wasser, Land und Wohnraum manifestiert - und in der wachsenden Ungleichheit und Unsicherheit, in zunehmender Gewalt und Repression, in Fremdenfeindlichkeit und Rassismus. Eine globale Krise, die globale Lösungen erfordert, auf der Grundlage von internationaler Zusammenarbeit, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit. Leider richten die Regierungen mächtiger Staaten in dieser Situation den Blick ausschließlich nach innen, auf die finanziellen und wirtschaftlichen Probleme im eigenen Land, und ignorieren, dass die Krise umfassend ist. Und wenn sie internationale Maßnahmen ergreifen, dann grenzen sie diese auf die Wirtschaft und das Finanzwesen ein und wiederholen so die Fehler der Vergangenheit.

Die Welt braucht eine andere Art von Führung, eine neue Art von Politik und auch eine neue Art von Wirtschaft - ein System, das allen nützt und nicht nur wenigen Auserwählten. Wir brauchen politische Leitfiguren, die ihre Länder voranbringen, weg von der Konzentration allein auf die nationalen Interessen, hin zu multilateraler Zusammenarbeit, damit globale und nachhaltige Lösungen gefunden werden, die den Menschenrechten Rechnung tragen. Bündnisse zwischen Regierungen und Unternehmen, die auf der Erwartung gründen, sich auf Kosten der ärmsten Bevölkerungsgruppen bereichern zu können, müssen aufgelöst werden.

Zweckbündnisse, die verhindern, dass für MenVorwort aus schenrechtsverletzungen verantwortliche Regierungen zur Rechenschaft gezogen werden, müssen verschwinden.

Ungleichheit hat viele Gesichter

Immer wieder verweisen Fachleute darauf, dass das Wirtschaftswachstum Millionen Menschen den Weg aus der Armut ermöglicht hat, doch die Wahrheit sieht anders aus: eine noch viel größere Zahl von Menschen ist im Elend zurückgeblieben, die Erfolge sind - wie uns die jüngste Wirtschaftskrise zeigt - keineswegs stabil, und die Kosten in Form von Menschenrechtsverletzungen sind zu hoch. Als in den vergangenen Jahren der Orkan der entfesselten Globalisierung die Welt in einen Wachstumstaumel versetzte, gerieten die Menschenrechte oft ins Hintertreffen. Die Folgen dieser Entwicklung liegen auf der Hand: wachsende Ungleichheit, Entbehrungen, Marginalisierung und Unsicherheit, rücksichtslose Unterdrückung von Andersdenkenden ohne Furcht vor Konsequenzen. Und die Verantwortlichen für Menschenrechtsverstöße, Regierungen genauso wie Großunternehmen und internationale Finanzinstitutionen, zeigten nur selten Reue und wurden kaum jemals zur Verantwortung gezogen. Es sind wachsende Anzeichen für politische Unruhe und Gewalt zu erkennen. Sie verschärfen weiter die globale Unsicherheit aufgrund der tödlichen Konflikte, für die die internationale Gemeinschaft noch keine Lösung finden konnte oder wollte. Mit anderen Worten: Wir sitzen auf einem Pulverfass von Ungleichheit, Ungerechtigkeit und Unsicherheit, das jeden Augenblick explodieren kann.

Obwohl viele Teile Afrikas ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum verzeichnen, leben auf diesem Kontinent noch immer Millionen von Menschen unterhalb der Armutsgrenze und müssen darum kämpfen, ihre Grundbedürfnisse zu decken. Lateinamerika ist vermutlich die Region mit der größten Ungleichheit weltweit. Ungeachtet des beeindruckenden Wachstums der Volkswirtschaften sind hier Angehörige indigener Völker und anderer benachteiligter Gruppen, auf dem Land wie in den Städten, nicht in der Lage, ihr Recht auf sauberes Wasser, medizinische Versorgung, Schulbildung und angemessenen Wohnraum durchzusetzen.

Indien ist auf dem bestem Weg zum dynamischsten Wirtschaftsgiganten Asiens, hat aber das Problem des Elends in den städtischen Slums und in den benachteiligten ländlichen Regionen noch nicht gelöst, während in China der Lebensstandard der Landarbeiter und Wanderarbeiter immer weiter hinter dem der reichen Schichten in den Städten zurückfällt.

Der Großteil der Weltbevölkerung wohnt heute in den Städten, und mehr als 1 Mrd. dieser Menschen lebt in Slums. Anders gesagt: jeder dritte Stadtbewohner lebt unter unzureichenden Wohnverhältnissen ohne ausreichenden Zugang zu öffentlichen Versorgungseinrichtungen und ist ständig von Zwangsräumung, Unsicherheit und Gewalt bedroht. In Kenias Hauptstadt Nairobi leben 60% der Menschen in Slums; 1 Mio. von ihnen in Kibera, dem größten Slum Afrikas. Um ein weiteres Beispiel zu nennen: in Kambodscha sind 150000 Menschen infolge von Landkonflikten und Landraub und aufgrund ländlicher und städtischer Entwicklungsprojekte von Zwangsumsiedlung bedroht.

Die zunehmende Ungleichheit als Nebenprodukt der Globalisierung beschränkt sich jedoch nicht auf die Menschen in den Entwicklungsländern. Wie aus einem Bericht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) vom Oktober 2008 hervorgeht, haben auch in den Industriestaaten die Reichen vom Wirtschaftswachstum der vergangenen Jahrzehnte mehr profitiert als die Armen. Die USA, das reichste Land der Welt, rangieren in Bezug auf Armut und zunehmende Ungleichheit der Einkommensverteilung unter den 30 Mitgliedstaaten der OECD auf Platz 27.

Von den Armen in den Favelas von Rio de Janeiro bis zu den Roma-Gemeinschaften Welt, die massive Menschenrechtsverletzungen mit sich bringen, die Armut verschlimmern und die regionale Stabilität gefährden.

Die von Blockaden und Militärschlägen geprägten wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen im Gazastreifen sind verheerend. Die politischen und wirtschaftlichen Konsequenzen des Konflikts in Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten reichen weit über die unmittelbar betroffenen Nachbarregionen hinaus.

Die Konflikte in Darfur und Somalia finden in Regionen mit empfindlichen Ökosystemen statt, in denen mangelnde Wasserreserven und die zunehmende Unfähigkeit, Lebensmittel zur Verfügung stellen zu können, um die Bevölkerung am Leben zu halten, sowohl Grund als auch Folge der fortgesetzten Kriege sind. Die dadurch verursachten massenhaften Vertreibungen haben auch die Nachbarländer unter enormen Druck gesetzt, und nun haben diese auch noch mit den Folgen der globalen Wirtschaftskrise zu kämpfen.

Im Osten der Demokratischen Republik Kongo haben Gier, Korruption, wirtschaftliche und regionale Machtinteressen gleichermaßen dafür gesorgt, dass die Bevölkerung verarmt und in einer Spirale der Gewalt gefangen gehalten wird. Ein Land, das sehr reich ist an natürlichen Ressourcen, erlebt nun, wie Wiederaufbau und wirtschaftliche Erholung durch einen Rückgang ausländischer Investitionen als Folge der Wirtschaftskrise ins Stocken geraten.

In Afghanistan schränkt die überall spürbare prekäre Sicherheitslage die Möglichkeiten der dort lebenden Menschen ein, Zugang zu Nahrung, Gesundheitsversorgung und Schulbildung zu erhalten. Besonders betroffen sind davon Frauen und Mädchen. Die Unsicherheit hat sich über die Grenze hinweg nach Pakistan ausgebreitet, das bereits zuvor darunter litt, dass die Regierung weder die Menschenrechte schützte noch gegen Armut und Jugendarbeitslosigkeit vorging. So verliert sich Pakistan immer mehr in einer Spirale extremistischer Gewalt.

Wenn man etwas aus der globalen Finanzkrise lernen kann, dann, dass internationale Grenzen uns nicht vor Schaden schützen können. Wir werden die Weltwirtschaft nicht wieder aufrichten können, wenn wir nicht in der Lage sind, Lösungen für die schlimmsten Konflikte der Welt und die zunehmende Bedrohung durch extremistische Gewalt zu finden, und zwar, indem wir den Respekt für die Menschenrechte erhöhen.

Von der Rezession zur Repression

Auf der einen Seite besteht die große Gefahr, dass die zunehmende Armut und die ausweglosen wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen zu politischer Instabilität und gewalttätigen Ausschreitungen großen Ausmaßes führen könnten. Andererseits könnte es auch so weit kommen, dass die Rezession vermehrt repressive Maßnahmen der unter Druck geratenen Regierungen nach sich zieht - insbesondere derjenigen mit autoritären Neigungen -, die dann hart gegen Dissens, Kritik und die Aufdeckung von Korruption und Misswirtschaft vorgehen.

2008 haben wir einen ersten Eindruck von dem erhalten, was uns in den nächsten Jahren erwarten könnte. Die Menschen gingen auf die Straße, um gegen steigende Preise und die extrem schlechten wirtschaftlichen Bedingungen zu protestieren. In vielen Ländern reagierten die Behörden auch auf friedliche Proteste mit extremer Härte. In Tunesien gingen Sicherheitskräfte mit Gewalt gegen Streikende und Protestierende vor; dabei wurden zwei Menschen getötet, viele verletzt und über 200 mutmaßliche Organisatoren von Protestaktionen strafrechtlich verfolgt und später nicht selten zu langen Haftstrafen verurteilt. In Simbabwe wurden Oppositionelle, Menschenrechtsaktivisten und Gewerkschafter angegriffen, entführt, inhaftiert und einige sogar getötet, wobei die Täter straffrei ausgingen. In Kamerun wurden nach gewalttätigen Demonstrationen bis zu 100 Teilnehmer erschossen und eine noch größere Anzahl festgenommen.

In Zeiten wirtschaftlicher Probleme und politischer Spannungen sind Transparenz und Toleranz erforderlich, um die Unzufriedenheit in Richtung eines konstruktiven Dialogs und einer Lösungsfindung zu lenken. Aber genau in diesen Zeiten wird das zivilgesellschaftliche Engagement in vielen Ländern eingeschränkt. In allen Regionen der Welt werden Menschenrechtler, Journalisten, Rechtsanwälte, Gewerkschafter und andere zivilgesellschaftlich engagierte Personen drangsaliert, bedroht, angegriffen, ohne rechtliche Grundlage strafrechtlich verfolgt oder sogar getötet, ohne dass die Täter zur Verantwortung gezogen werden.

Wenn Regierungen versuchen, Kritik an ihrem Handeln zu unterdrücken, steigt für die Medien die Gefahr der Zensur und für Journalisten in vielen Ländern das ohnehin schon hohe Risiko, dass Drohungen gegen sie wahr gemacht werden. Als eines der schlimmsten Beispiele sei hier Sri Lanka genannt: seit 2006 sind dort 14 Journalisten getötet worden. Im Iran ist die Möglichkeit, sich im Internet zu äußern, eingeschränkt, in Ägypten und Syrien werden Blogger inhaftiert. China hat zwar im Vorfeld der Olympischen Spiele die Medienkontrolle gelockert, griff aber kurz darauf wieder auf die altbewährten Methoden der Zensur zurück, indem unter anderem Internetseiten blockiert wurden. Die malaysische Regierung untersagte zwei prominenten Oppositionszeitungen das Erscheinen, weil sie im Vorfeld der Wahlen deren kritische Berichterstattung fürchtete.

Offene Märkte führen nicht notwendigerweise auch zu offenen Gesellschaften. So hat die russische Regierung gestützt auf ihre Position als Wirtschaftsmacht, die auf den hohen Erdgas- und Erdölpreisen basiert, eine zunehmend nationalistische und autoritäre Haltung eingenommen und immer wieder das Recht auf freie Meinungsäußerung eingeschränkt sowie ihre Kritiker angegriffen. Da sich die russische Wirtschaft derzeit aufgrund der sinkenden Erdölpreise und der steigenden Inflation in einem Abwärtstrend befindet und die Unzufriedenheit in der Gesellschaft wächst, könnten sich die autoritären Tendenzen noch weiter verschärfen.

China unterdrückt weiterhin vehement diejenigen, die Kritik an der Regierungspolitik und an behördlichem Vorgehen üben. In der Folge wird so lange nicht gegen Korruption und Misswirtschaft vorgegangen, bis sich ein Skandal nicht mehr verhindern lässt und der Schaden auf ein unerträgliches Maß angewachsen ist. Beispiele dafür sind die SARS-, Vogelgrippe- und die HIV/AIDS-Epidemie vor einigen Jahren sowie in der jüngsten Vergangenheit der Skandal um Melamin im Milchpulver. Die chinesische Regierung hat daraufhin bekannte Persönlichkeiten hinrichten lassen, die der Korruption für schuldig befunden wurden. Allerdings tut sie nichts bzw. nur wenig, um das Verhalten von Unternehmen oder Behörden zu ändern.

Eine informierte Gesellschaft, die befähigt und ermächtigt ist, Verantwortlichkeiten einzufordern, ist der beste Garant dafür, dass Regierungen und Unternehmen ihren Aufgaben nachkommen. In einer Zeit, in der Regierungen versuchen, die Wirtschaft wieder zu beleben, ist die Freiheit ein wertvolles Gut, das geschützt und nicht eingeschränkt werden sollte.

Neue Führungsqualitäten sind gefragt

Mangel, Ungleichheit, Ungerechtigkeit, Unsicherheit und Unterdrückung sind Kennzeichen von Armut. Sie sind ohne Frage Menschenrechtsprobleme und werden sich nicht durch Wirtschaftsmaßnahmen beseitigen lassen. Sie erfordern einen starken politischen Willen und umfassende Maßnahmen, die politische, wirtschaftliche, soziale und ökologische Aspekte in ein umspannendes Gefüge aus Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit integrieren. Sie verlangen gemeinsames Handeln und eine neue Führungsqualität.

Die wirtschaftliche Globalisierung hat eine Verschiebung der geopolitischen Machtstrukturen und eine neue Generation von Staaten mit sich gebracht - die G-20, die für sich eine Führungsrolle reklamiert. Die G-20, bestehend aus China, Indien, Brasilien, Südafrika und weiteren aufstrebenden Volkswirtschaften der Südhalbkugel sowie Russland, den USA und führenden westlichen Wirtschaftsnationen, erhebt für sich den Anspruch, heute die tatsächliche politische und wirtschaftliche Macht zu repräsentieren. Das mag vielleicht stimmen, aber um einem wahren globalen Führungsanspruch gerecht zu werden, müssen sich die G-20-Staaten globalen Werten verschreiben und sich ihrer Verantwortung im Hinblick auf ihr angeschlagenes Renommee und ihre Doppelmoral in Menschenrechtsfragen stellen.

Ja, die neue US-amerikanische Regierung schlägt bei den Menschenrechten einen ganz anderen Weg ein als die Regierung von George W._Bush. Dass Barack Obama nach nur 48 Stunden im Amt entschieden hat, das Gefangenenlager Guantánamo Bay innerhalb eines Jahres zu schließen, Folter uneingeschränkt abzulehnen und der Praxis der geheimen Haft durch die CIA ein Ende zu setzen, ist anerkennenswert, ebenso wie die Entscheidung, einen Sitz im UN-Menschenrechtsrat anzustreben. Noch bleibt allerdings fraglich, ob die USA genauso offen und bestimmt von Ländern wie Israel und China die Einhaltung der Menschenrechte fordern werden, wie sie es vom Iran und Sudan tun.

Die Haltung der Europäischen Union zu Menschenrechten ist nach wie vor ambivalent. Während sie in ihrer Haltung gegen die Todesstrafe und für Meinungsfreiheit und den Schutz von Menschenrechtsverteidigern sehr entschieden sind, zeigen einige EU-Staaten einen weniger ausgeprägten politischen Willen, innerhalb der eigenen Landesgrenzen internationale in einigen europäischen Ländern gilt die unschöne Wahrheit, dass viele Menschen deshalb arm sind, weil sie unter offener oder verdeckter Diskriminierung, Marginalisierung und Ausgrenzung leiden, die vom Staat betrieben oder zumindest geduldet und von Wirtschaftsunternehmen oder Privatpersonen unterstützt wird. Nicht aus Zufall zählen zu den Armen dieser Welt besonders viele Frauen, Migranten und Angehörige ethnischer oder religiöser Minderheiten. Und es ist auch kein Zufall, dass die Müttersterblichkeit auch heute noch erschreckend hoch ist, obwohl durch minimale Ausgaben für die Notversorgung in der Schwangerschaft und während der Entbindung Hunderttausende von Frauen gerettet werden könnten.

Ein eindeutiges Beispiel für das Zusammenspiel staatlicher und wirtschaftlicher Interessen bei der Enteignung von Land und natürlichen Ressourcen, das die betroffenen Menschen zu einem Leben in Armut zwingt, ist das der indigenen Gemeinschaften. In Bolivien leben in der Region Chaco viele Guaraní-Familien in einer Art Leibeigenschaft, die nach Ansicht der Interamerikanischen Menschenrechtskommission der Sklaverei gleichkommt. Nach einem Besuch in Brasilien im August 2008 kritisierte der UN-Sonderberichterstatter über die Situation der Menschenrechte und Grundfreiheiten der indigenen Völker die noch heute dort vorherrschende diskriminierende Einstellung gegenüber den Angehörigen indigener Gemeinschaften, die bei der Erarbeitung politischer Maßnahmen und der Bereitstellung von Sozialleistungen zum Tragen kommt.

Die Ungleichheit dehnt sich bis ins Justizsystem aus. Um die Marktwirtschaft zu stärken und Investitionen ausländischer Unternehmen und privater Akteure zu fördern, haben internationale Finanzinstitutionen in einer Reihe von Entwicklungsländern rechtliche Reformen im wirtschaftlichen Bereich finanziert. Es gibt allerdings keine vergleichbaren Bemühungen, um sicherzustellen, dass arme Menschen in der Lage sind, ihre Rechte durchzusetzen und bei Verstößen von Regierungen oder Unternehmen Klagen bei Gericht einzureichen. Nach Angaben der UN-Kommission zur Stärkung der durchsetzbaren Rechte von Armen (UN Commission on Legal Empowerment of the Poor) haben rund zwei Drittel der Weltbevölkerung keinen uneingeschränkten Zugang zur Justiz.

Unsicherheit hat viele Formen

Die Zahl der Menschen, die in Armut leben und deren Menschenrechte missachtet werden, dürfte noch weiter ansteigen, da in einem Klima der wirtschaftlichen Rezession mehrere Faktoren zusammen kommen. Zum einen führten vor allem die Strukturanpassungsmaßnahmen, die der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank noch bis vor zehn Jahren durchsetzten, in Entwicklungs- wie Industrieländern zu einem Abbau der sozialen Sicherungsnetze. Ziel dieser Maßnahmen war es, in den Ländern Rahmenbedingungen für eine marktwirtschaftliche Orientierung und die Öffnung der nationalen Märkte für den internationalen Handel zu schaffen. Damit verbunden war der Ruf nach "weniger Staat", woraufhin viele Regierungen begannen, ihre Verantwortung für die Sicherung der wirtschaftlichen und sozialen Rechte an den Markt abzugeben. Neben der wirtschaftlichen Liberalisierung traten bei den Strukturanpassungsmaßnahmen zunehmend auch die Privatisierung des öffentlichen Sektors, die Deregulierung der Arbeitsbeziehungen und der Abbau der sozialen Sicherungsnetze in den Mittelpunkt. Die von IWF und Weltbank geförderte Einführung von Gebühren für die Nutzung der Einrichtungen des Bildungs- und Gesundheitssystems führte häufig dazu, dass die entsprechenden Leistungen für die ärmsten Bevölkerungsschichten unerreichbar wurden. Angesichts von Rezession und steigender Arbeitslosigkeit stehen heute viele Menschen nicht nur vor erheblichen Einkommensverlusten, sondern auch vor großer sozialer Unsicherheit, da die Sicherungsnetze in Zeiten der Not nicht mehr greifen.

Zum anderen schenkt die internationale Gemeinschaft der weltweiten Nahrungsmittelkrise trotz ihres gravierenden Ausmaßes nach wie vor zu wenig Aufmerksamkeit. Laut Angaben der Welternährungsorganisation leiden fast 1 Mrd. Menschen an Hunger und Mangelernährung. Nach Jahrzehnten, in denen zu wenig in die Landwirtschaft investiert und eine Handelspolitik betrieben wurde, die Preisdumping begünstigt und die lokalen Erzeuger in den Ruin treibt, in denen der Klimawandel Wasserknappheit und Bodenerosion verschärfte, der Bevölkerungsdruck zunahm, die Energiekosten stiegen und ein Ansturm auf Bio-Treibstoffe einsetzte, kam es in vielen Regionen der Welt zu Lebensmittelknappheit und verschärftem Hunger.

Zusätzlich verstärkt wurde die Nahrungsmittelkrise in vielen Gebieten noch durch die Diskriminierung bestimmter Bevölkerungsgruppen und die Verteilung der Lebensmittel nach politischen Kriterien, außerdem durch die Blockade dringend benötigter humanitärer Hilfe, die unsichere Lage und bewaffnete Konflikte, die jede landwirtschaftliche Produktion unmöglich machen bzw. dafür sorgen, dass den Menschen die Mittel fehlen, um Lebensmittel zu erzeugen oder zu erwerben.

In Simbabwe, wo Ende 2008 ca. 5 Mio. Menschen auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen waren, setzte die Regierung die Versorgung mit Lebensmitteln als Waffe gegen ihre politischen Gegner ein. In Nordkorea beschränkten die Behörden gezielt die Annahme von Lebensmittelhilfe aus dem Ausland, um die Bevölkerung durch Hunger politisch gefügig zu machen. Die Taktik der "verbrannten Erde", die die sudanesischen Streitkräfte und die mit Unterstützung der Regierung operierenden Reitermilizen der Janjawid in Darfur einsetzten, forderte nicht nur viele Todesopfer, sondern nahm den Überlebenden auch ihre Lebensgrundlage.

Im Zuge der bewaffneten Auseinandersetzungen im Norden Sri Lankas saßen zahlreiche aus ihren Wohnorten vertriebene Zivilpersonen in dem Gebiet fest und waren von Lebensmittelhilfen und anderer humanitärer Unterstützung abgeschnitten, weil die bewaffnete Oppositionsgruppe LTTE verhinderte, dass sich die Menschen in sichere Regionen flüchten konnten, und die Armee Hilfsorganisationen keinen uneingeschränkten Zugang zu dem Gebiet gewährte. Der empörendste Fall der Verweigerung des Rechts auf Nahrung im Jahr 2008 war wohl die Entscheidung der Behörden von Myanmar, drei Wochen lang keine internationalen Hilfslieferungen zu den 2,4 Mio. Überlebenden des Zyklons Nargis gelangen zu lassen, die dringend Hilfe benötigten, und zugleich eigene Finanzmittel in die Werbung für das fragwürdige Referendum über eine ebenso fragwürdige neue Verfassung zu stecken.

Zu den hohen Lebensmittelpreisen kommt die Entlassung Hunderttausender Arbeitsmigranten, weil die wirtschaftliche Dynamik der exportabhängigen Volkswirtschaften erlahmt und der Wirtschaftsprotektionismus wieder an Boden gewinnt. Die Überweisungen der Arbeitsmigranten in ihre Heimatländer - zusammen genommen Jahr für Jahr etwa 200 Mrd. US-Dollar und damit doppelt so viel wie die weltweite Entwicklungshilfe - sind für eine Reihe von Ländern mit niedrigem oder mittlerem Einkommensniveau wie Bangladesch, die Philippinen, Kenia und Mexiko eine wichtige Einnahmequelle. Ein Rückgang der Überweisungen aus dem Ausland bedeutet für diese Staaten geringere Einkünfte und somit weniger Geld für den Erwerb von Gütern und Dienstleistungen des Grundbedarfs. Außerdem steigt in einigen Ländern durch den Rückgang des Exports von Arbeitskräften jetzt die Zahl desillusionierter, zorniger junger Männer, die in ihren Heimatdörfern zur Untätigkeit verdammt sind und zur leichten Beute für extremistische Ideologen und Gewaltprediger werden.

Obwohl die Arbeitsmärkte schrumpfen, wächst der Druck auf die Menschen, als Arbeitsmigranten in andere Länder zu ziehen, auch wenn die Zielländer zu immer härteren Methoden greifen, um ihnen den Zugang zu verwehren. Im Juni 2008 war ich auf einem Friedhof auf der kanarischen Insel Teneriffa, wo die namenlosen Gräber stummes Zeugnis der vergeblichen Versuche afrikanischer Migranten ablegen, nach Spanien zu gelangen. Allein 2008 haben sich etwa 67000 Menschen auf den gefährlichen Weg über das Mittelmeer nach Europa gemacht, wobei eine unbekannte Anzahl von ihnen ertrunken ist. Diejenigen, die sich an Land retten konnten, führen nun ein Schattendasein ohne gültige Papiere und sind Ausbeutung und Misshandlung ausgesetzt. Zudem droht ihnen die ständige Gefahr, im Rahmen einer neuen EU-Richtlinie von 2008 über die Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger für einen langen Zeitraum inhaftiert und dann abgeschoben zu werden.

Einige EU-Mitgliedstaaten wie z.B. Spanien haben mit afrikanischen Staaten bilaterale Abkommen geschlossen, um Migranten zurückschicken zu können bzw. deren Ausreise schon im Vorhinein zu verhindern. Einige Länder des afrikanischen Kontinents, darunter Mauretanien, betrachten diese Abkommen als Legitimation dafür, Personen willkürlich festzunehmen, unter schlechten Bedingungen zu inhaftieren und in großer Zahl abzuschieben. Die Festnahmen erfolgten, ohne dass die mauretanischen Behörden zuvor geprüft hatten, ob die betroffenen Personen tatsächlich vorhatten, auszureisen, und obwohl es nicht verboten ist, Mauretanien ohne Papiere zu verlassen.

Da immer mehr Menschen in zunehmend prekäre Situationen gezwungen werden, nehmen die sozialen Spannungen zu. Zu einem der schlimmsten Fälle rassistisch motivierter und fremdenfeindlicher Gewalt des vergangenen Jahres kam es im Mai in Südafrika, als dort 60 Menschen getötet und 600 verletzt sowie Zehntausende vertrieben wurden, während gleichzeitig Zehntausende weitere in das Land strömten, um Zuflucht vor der politischen Gewalt im Nachbarland Simbabwe zu suchen. Die offiziellen Untersuchungen konnten zwar den Grund für die Angriffe nicht ermitteln, aber es wird weithin vermutet, dass die Motive in Fremdenfeindlichkeit sowie dem Konkurrenzkampf um Arbeitsplätze, Wohnraum und Sozialleistungen lagen, die durch Korruption noch verschärft worden waren.

Wirtschaftlicher Aufschwung braucht politische Stabilität. Doch genau jene führenden Weltpolitiker, die alle Hebel in Bewegung setzen, um die Konjunkturpakete zur Ankurbelung der Weltwirtschaft zu schnüren, ignorieren weiterhin die tödlichen Konflikte auf der ganzen Standards für den Schutz von Flüchtlingen und die Bekämpfung von Rassismus und Diskriminierung einzuhalten. Ebenso zögerlich verhalten sich einige Staaten, wenn es darum geht, die eigene Rolle bei der rechtswidrigen Überstellung von Terrorverdächtigen durch die CIA einzugestehen.

Brasilien und Mexiko gehören auf der internationalen Bühne zu den Verfechtern der Menschenrechte, werden aber im eigenen Land oftmals ihren im Ausland propagierten Ansprüchen nicht gerecht. Südafrika hat immer wieder die Bemühungen der internationalen Gemeinschaft blockiert, Druck auf Simbabwe auszuüben, um dort politische Verfolgung und Wahlmanipulation zu beenden. In Saudi-Arabien sind Tausende Terrorverdächtige ohne Gerichtsverfahren inhaftiert, politische Dissidenten werden eingesperrt und die Rechte von Frauen und Arbeitsmigranten erheblich eingeschränkt. China hat ein völlig unzulängliches Strafrechtssystem, nutzt Verwaltungshaft, um Kritiker zum Schweigen zu bringen, und lässt jedes Jahr mehr Menschen hinrichten als jedes andere Land der Welt. Die russische Regierung erlaubt willkürliche Inhaftierungen, Folter und andere Misshandlungen sowie straffreie staatliche Morde im Nordkaukasus. Kritik an ihrem Handeln begegnet die russische Regierung mit Drohungen.

Die Regierungen der G-20-Staaten haben eine Verpflichtung, die internationalen Menschenrechtsstandards einzuhalten, denen sich die internationale Gemeinschaft verschrieben hat. Andernfalls untergraben sie ihre Glaubwürdigkeit und Legitimität ebenso wie ihre Effektivität. Das Ziel der G-20 ist es, einen Weg aus der globalen Wirtschaftskrise zu finden. Von diesen Bemühungen werden ihrer Meinung nach auch die Menschen profitieren, die in Armut leben. Die wirtschaftliche Erholung wird jedoch weder nachhaltig sein, noch allen gleichermaßen zugutekommen, wenn wir nicht auch einen besonderen Fokus auf die Menschenrechte legen.

Es liegt an denjenigen, die auf Gipfeltreffen an den Verhandlungstischen sitzen, durch ihr Verhalten mit gutem Beispiel voranzugehen. Ein guter Anfang wäre es, wenn die G-20-Staaten ein deutliches Zeichen setzten, dass alle Menschenrechte - wirtschaftliche, soziale und kulturelle wie auch bürgerliche und politische Rechte - gleichwertig sind. Die USA haben lange die Gültigkeit der wirtschaftlichen und sozialen Rechte bestritten und sind kein Vertragsstaat des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. China ist hingegen kein Vertragsstaat des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte. Beide Länder sollten umgehend dem jeweiligen Pakt beitreten, und alle G-20-Staaten sollten das Zusatzprotokoll zum Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte ratifizieren, das die UN-Generalversammlung im Dezember 2008 angenommen hat. Die Unterzeichnung internationaler Abkommen kann jedoch nur einer der notwendigen Schritte sein.

Chancen für einen Wandel

Die weltweite Armut, die durch die globale Wirtschaftkrise noch verschärft wird, zeigt, dass es höchste Zeit ist, auch auf dem Gebiet der Menschenrechte einen Wandel zu vollziehen.

In den vergangenen 20 Jahren haben sich Staaten immer wieder zugunsten des Marktes ihren Menschenrechtsverpflichtungen entzogen oder sogar gegen sie verstoßen - in der Annahme, wirtschaftliches Wachstum werde alle Probleme lösen. Nachdem sich die Zeichen des Aufschwungs abgeschwächt haben und die großen Defizite sichtbar geworden sind, ändern die Regierungen ihre Positionen radikal und sprechen nun von einer neuen globalen Finanzarchitektur und einem neuen internationalen System der Regierungsführung, in dem der Staat eine größere Rolle spielt. Dies eröffnet die Möglichkeit, den Rückzug des Staates aus dem sozialen Bereich aufzugeben und ein menschenrechtsfreundlicheres Modell des Staates zu schaffen als das der vergangenen 20 Jahre. Damit bietet sich die Chance, die Rolle von internationalen Finanzinstitutionen radikal zu überdenken - im Hinblick auf die Einhaltung, den Schutz und die Umsetzung der Menschenrechte einschließlich der wirtschaftlichen und sozialen Rechte.

Regierungen sollten genauso gezielt in die Menschenrechte investieren wie in wirtschaftliches Wachstum. Sie sollten Bildungs- und Gesundheitsprojekte unterstützen und ausbauen; die Diskriminierung beenden; Frauen mehr Entscheidungsbefugnisse geben; wirksame Mechanismen schaffen, um Unternehmen für Menschenrechtsverstöße zur Verantwortung ziehen zu können; offene Gesellschaften schaffen, in denen die Rechtsstaatlichkeit respektiert wird, der soziale Zusammenhalt stark ist, der Korruption ein Ende gesetzt wird und Regierungen zur Verantwortung gezogen werden. Die Wirtschaftskrise sollte für die reicheren Staaten kein Vorwand sein, um die Entwicklungshilfe zu kürzen. Internationale Unterstützung ist nun sogar wichtiger als zuvor, damit einige der ärmsten Länder die Grundversorgung ihrer Bevölkerung auf den Gebieten Gesundheit, Bildung, sanitäre Versorgung und Wohnraum gewährleisten können.

Die Staaten sollten auch zusammenarbeiten, um die bewaffneten Konflikte dieser Welt zu beenden. Angesichts der internationalen Zusammenhänge bedeutet das Wegschauen bei einer Krise, um sich auf eine andere zu konzentrieren, dass beide sich verschlimmern.

Werden die Regierungen diese Chancen wahrnehmen, die Menschenrechte zu stärken? Werden Unternehmen und internationale Finanzinstitutionen sich ihrer Verantwortung für die Menschenrechte stellen und sie erfüllen? Bis jetzt spielen die Menschenrechte weder bei der Analyse noch bei den Lösungsansätzen der internationalen Staatengemeinschaft eine entscheidende Rolle.

Im Laufe der Geschichte hat sich gezeigt, dass die meisten Kämpfe für einen Wandel, sei es für die Abschaffung der Sklaverei oder die Emanzipation der Frau, nicht als Initiativen von Staaten begonnen haben, sondern auf dem Engagement ganz normaler Menschen basierten. Erfolge bei der Einrichtung eines internationalen Strafrechtssystems oder der Kontrolle des Waffenhandels, der Abschaffung der Todesstrafe oder dem Kampf gegen Gewalt gegen Frauen oder auch dabei, Themen wie den Klimawandel und die globale Armut auf die internationale Agenda zu bringen, sind vor allem der Energie, der Kreativität und der Ausdauer Millionen engagierter Menschen weltweit zu verdanken.

Diesen Einsatz von Menschen aus aller Welt müssen wir nun nutzen, um Druck auf unsere politischen Führungskräfte auszuüben. Amnesty International startet 2009 zusammen mit vielen lokalen, nationalen und internationalen Partnern eine neue Kampagne. Wir wollen damit Menschen mobilisieren, nationale und internationale Akteure, deren Menschenrechtsverstöße die Armut fördern und verschärfen, zur Verantwortung zu ziehen. Wir werden diskriminierende Gesetze, Verhaltensweisen und Praktiken anfechten, und wir werden konkrete Maßnahmen fordern, die verhindern, dass Menschen in Armut getrieben werden und unter menschenunwürdigen Bedingungen leben müssen. Wir werden den Menschen, die in Armut leben, eine Stimme geben. Wir werden darauf bestehen, dass sie aktiv an den Entscheidungen beteiligt werden, die ihr Leben betreffen.

Amnesty International wurde vor fast 50 Jahren gegründet, um die Freilassung von gewaltlosen politischen Gefangenen zu fordern. Heute treten wir auch für die Gefangenen der Armut ein, damit sie ihr Recht auf ein Leben in Würde durchsetzen können. Ich bin sicher, dass wir mit Hilfe unserer Millionen Mitglieder, Unterstützer und Partner überall auf der Welt dieses Ziel verwirklichen können.

** Irene Khan ist internationale Generalsekretärin von Amnesty International.

Quelle: Website von amnesty international: www.amnesty.de



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