Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

40 Jahre Menschlichkeit

Das entwicklungspolitische Kinderhilfswerk terre des hommes feiert Geburtstag: Dokumentation und Gratulation

Anstelle einer eigenen Würdigung der Verdienste des Kinderhilfswerks terre des hommes behelfen wir uns an dieser Stelle mit der Dokumentation einiger Beiträge der weltweit tätigen humanitären Organisation in ihrer Jubiläumsausgabe von www.tdh.de. Wir schließen und vorbehaltlos den guten Wünschen für die (mindestens) nächsten 40 Jahre von terre des hommes an und wünschen viel Erfolg im Kampf um die Rechte der Kinder in aller Welt.



Viel ist erreicht - Viel bleibt zu tun

40 Jahre terre des hommes: Versuch einer Standortbestimmung

Von Wolf-Christian Ramm *

»Handeln im Widerspruch« ist der Titel eines terre des hommes-Buches aus dem Jahr 1985. Der Widerspruch, von dem in diesem Buch die Rede ist, war der zwischen dem Streben nach dem Ideal einer besseren Welt und dem gleichzeitigen Handeln innerhalb der Gegebenheiten und Spielregeln unserer derzeitigen Verhältnisse, die es doch zu überwinden gilt. Auch heute, viele Jahre später, ist dieser unauflösliche Widerspruch aktuell. Bereits die Frage, ob ein »Feiern« eines Gründungsjubiläums angemessen ist, deutet dies an: Schließlich ist es traurig, dass nach wie vor Hilfe für Kinder in Not zu leisten ist. Andererseits kann terre des hommes auf zahlreiche Erfolge, Errungenschaften und auch Momente des Stolzes auf die eigene Leistung zurückblicken.

Dies ist es, was mit dem Geburtstagsmotto »Viel erreicht - Viel zu tun!« zum Ausdruck gebracht wird: terre des hommes hat unzählige Kinder von Ausbeutung, Not und Sklaverei befreit, aus Kriegs- und Krisengebieten gerettet, für ihre Ernährung, Gesundheit und Ausbildung gesorgt und ihnen neue Familien oder ein neues Dach über dem Kopf gegeben. Allein oder gemeinsam mit anderen Organisationen hat terre des hommes erreicht, dass die Produktion tödlicher Landminen weltweit geächtet wurde, der Missbrauch von Kindern durch Deutsche im Ausland vor deutschen Gerichten verfolgt werden kann, das Phänomen des weltweiten Kinderhandels nicht länger als ein Problem aus der Zeit von »Onkel Toms Hütte« und Mark Twain der USA des 19. Jahrhunderts gilt und Verbraucher und Konsumenten heutzutage beim Einkauf nach fair gehandelten Produkten fragen. Sind dies nicht Erfolge, die mit dazu beigetragen haben, die Erde - wie es sich im Titel »terre des hommes« ausdrückt - ein Stück menschlicher zu machen? Gleichzeitig zeigt ein Blick in die Schlagzeilen eines beliebigen Tages, wie weit wir von der terre des hommes, der »Erde der Menschlichkeit« nach wie vor entfernt sind. Die Vision, nach der Kinder frei von Ausbeutung und Not sind und gemäß ihren eigenen Vorstellungen in Würde leben können, erscheint unrealistisch und in ferner Zukunft zu liegen.

Und drückt sich in dem »Viel zu tun« nicht eine grandiose Überschätzung der eigenen Möglichkeiten und Bedeutung aus, die zu nichts anderem als Enttäuschung, Frustration und Rückzug führen kann? Diese Frage wird Mitarbeitern von terre des hommes gelegentlich gestellt, und sie scheint in Bezug auf die deprimierenden Zahlen über das Leid von Kindern weltweit sehr berechtigt zu sein. Die Antwort ist dennoch sehr eindeutig: Es gibt kaum etwas Motivierenderes, als persönlich mitzuerleben, mit welcher Begeisterung Kinder die Chance ergreifen, zur Schule zu gehen oder eine Ausbildung zu machen, und mit welchem Einsatz Partnerorganisationen von terre des hommes Konkretes leisten: Essen, Spielen und liebevolle Betreuung für die Kleinsten, Lesen, Schreiben und Rechnen oder eine praktische Ausbildung für die Älteren, Unterstützung bei der Selbstorganisation von Jugendlichen, die den Wunsch haben, ihre Ziele, Wünsche und Visionen ohne Bevormundung durch Erwachsene zum Ausdruck zu bringen.

Wer erlebt hat, mit welchem Engagement sich Menschen in schwierigen Lebensumständen für das Wohl anderer einsetzen, empfi ndet es als Chance und großes Privileg, mit Hilfe von terre des hommes hierzu beitragen zu können. Er würde wünschen, alle Spenderinnen und Spender, die diese Arbeit ermöglichen, an der Erfahrung teilhaben zu lassen. Er würde ganz sicher nicht frustriert den Kopf hängen lassen, weil auch mit der engagiertesten Projektarbeit immer nur ein kleiner Beitrag zur Verbesserung von Lebensumständen weltweit erreicht werden kann. Auch auf politischer Ebene sollte die ebenso berechtigte wie allgegenwärtige Klage über den geringen Stellenwert der Entwicklungspolitik nicht die erzielten Erfolge vergessen machen, zu denen terre des hommes beigetragen hat. Diese Erfolge bestehen etwa darin, Missstände wie den Sextourismus oder die fatalen Auswirkungen europäischer Agrarexporte zum Thema gemacht zu haben. Nicht immer kann das Benennen von Problemen einhergehen mit Vorschlägen zu ihrer Lösung. Noch viel weniger verfügt terre des hommes über die Mittel, derartige Lösungen durchzusetzen.

Und vielfach leiden die Erfolge darunter, dass sie nicht »fotogen« sind und keine in Deutschland nachrichtenfähigen Bilder produzieren. Die Unterstützung von terre des hommes bei der Stärkung sozialer Bewegungen in Lateinamerika hat zweifellos mit zum gesellschaftlichen Aufbruch in Bolivien zur Jahreswende 2005/2006 beigetragen. Doch wo sind die Bilder, in denen sich dies vermittelt? Vielleicht verdichten sie sich in der Person von Casimira Rodriguez Romero: Als ehemalige Vorsitzende der Gewerkschaft der Hausangestellten Boliviens war sie Projektpartnerin von terre des hommes, heute ist sie Boliviens Justizministerin.

Politische Erfolge wie dieser, die es gemäß der Logik der Produktion von Nachrichten schwer haben, bis in die deutschen Schlagzeilen zu kommen, geben Hoffnung, dass auch zukünftig »viel erreicht« werden kann. Die Aufgabe von terre des hommes hierbei ist neben der fi nanziellen Förderung von Projekten vor allem die der Vermittlung, der Information und Bekanntmachung. Dies wiederum funktioniert nur innerhalb der Spielregeln der Mediengesellschaft - ein typischer »Widerspruch«, der dennoch zum »Handeln« zwingt, und das mehr denn je auch noch nach 40 Jahren.

* Wolf-Christian Ramm ist Pressesprecher von terre des hommes, Deutschland.

40 Jahre Menschlichkeit

Vo Suong lässt keinen Zweifel daran, welchen Stellenwert terre des hommes in seinem Leben hat: »Meine Mutter hat mich zur Welt gebracht und terre des hommes hat mich zum zweiten Mal geboren.« Vo Suong gehörte zu den kriegsverletzten Kindern, die nach der Gründung von terre des hommes aus Vietnam nach Deutschland geflogen und hier ärztlich versorgt wurden. In seiner Heimat war dem Jungen mit den furchtbaren Gesichtsverletzungen keine Überlebenschance mehr gegeben worden.

40 Jahre liegt die Gründung des entwicklungspolitischen Kinderhilfswerks terre des hommes nun zurück: Aufgewühlt von den Schreckensbildern des Vietnamkrieges, hatte der gelernte Schriftsetzer Lutz Beisel gemeinsam mit einigen Mitstreitern beschlossen, selbst aktiv zu werden. Am 8. Januar 1967 wurde der Verein terre des hommes Deutschland e.V. in Stuttgart ins Vereinsregister eingetragen. »Irgendwie hatten wir mitten in den brodelnden 68ern einen zukunftsweisenden Zipfel des Zeitgeistes erwischt«, meint Lutz Beisel im Rückblick. »Und wir haben nicht theoretisiert, sondern gehandelt. Das wurde erkannt und anerkannt. Viele hatten auf so etwas längst innerlich gewartet.«

Schon die ersten Aktionen von terre des hommes im Jahr 1967 fanden große öffentliche Unterstützung: Mit der konkreten Hilfe für kriegsverletzte Kinder konnte man endlich mehr tun, als nur ohnmächtig gegen den Vietnamkrieg zu protestieren.

terre des hommes wuchs schnell, und schon bald konnten neue Länder und Schwerpunkte aufgenommen werden: Zunächst die Hilfe für hungernde Kinder im Biafra-Konflikt in Westafrika, später der Einsatz gegen die Ausbeutung von Kindern, die Hilfe für Straßenkinder, die Kampagnen gegen sexuelle Gewalt und Kinderhandel. Im Zentrum standen dabei immer das Motiv der »Hilfe zur Selbsthilfe« und die politische Einmischung gegen die Ursachen der Not.

»40 Jahre terre des hommes - das Kinderhilfswerk kann stolz sein auf das, was es bisher bewirkt hat«, bestätigt die Schirmherrin Dagmar Berghoff. »Aber es bleibt genug zu tun.« Auch der terre des hommes-Vorsitzende Peter Knauft erinnert daran, dass die Rechte der Kinder noch immer millionenfach mit Füßen getreten werden: »Wir werden auch weiterhin nicht tatenlos zusehen, wenn Kinder in Not sind - dessen bin ich gewiss.«



Gratulanten (eine Auswahl)

Desmond Tutu
Über einen Zeitraum von 40 Jahren der Unterstützung für Kinder in Not hat sich terre des hommes einer Vielzahl von wichtigen Anliegen gewidmet, wie etwa dem Kampf gegen den Kinderhandel oder gegen den Missbrauch von Jungen und Mädchen in der Prostitution und als billige Arbeitskräfte. Angesichts der wachsenden Zahl von HIV-infizierten Menschen in Afrika bin ich dankbar dafür, dass terre des hommes außerdem dabei hilft, die lokalen Gemeinden und Frauenorganisationen zu stärken - damit ein Bewusstsein dafür entsteht, wie sich Menschen vor HIV schützen können und damit Kinder, die ihre Eltern durch AIDS verloren haben, Beistand erhalten.
Meinen Glückwunsch an terre des hommes - möge die Organisation weiterhin ein Teil der Zivilgesellschaft sein, der sich für Frieden, Chancengleichheit und Gerechtigkeit einsetzt.
Desmond Tutu, Friedensnobelpreisträger und ehemaliger anglikanischer Erzbischof in Südafrika

Barbara Schöneberger
terre des hommes nimmt bei der Kritik an der weltweiten Verletzung von Kinderrechten kein Blatt vor den Mund. Das gefällt mir, denn nur wenn die Probleme offen ausgesprochen sind, kann sich etwas verbessern. Und was sich alles verbessern muss, habe ich bei meiner Reise mit terre des hommes zu Projekten in Indien mit eigenen Augen gesehen.
Weil ich etwas für diese Kinder tun will, unterstütze ich terre des hommes.
Ich wünsche terre des hommes zum 40. weiterhin Mut, Ausdauer und Entschlossenheit!
Barbara Schöneberger, TV-Moderatorin und Unterstützerin von terre des hommes, die sich besonders im Kampf gegen die sexuelle Gewalt an Kindern engagiert

Fritz Pleitgen
(...) Es ist mehr als vier Jahrzehnte her, als die elektronischen Medien die Schrecken des Vietnamkrieges in unsere Wohnzimmer trugen. Das persönliche Entsetzen führte zum schlechten Gewissen und bei manchen zum Antrieb, mehr zu tun als nur zu rufen »Das kann doch nicht so bleiben!« oder »Da muss man doch was tun!«
Wer seine Ohnmacht überwinden wollte, erhielt über terre des hommes eine konkrete Möglichkeit, greifbar zu helfen. Das Kinderhilfswerk wies mit seinen inzwischen rund 500 Projekten in weltweit 25 Ländern einen beispielhaften Weg zur durchdachten und in höchstem Maße wirksamen Projektarbeit. Sie zeigt bis heute, wie gut gemeinte Hilfe auch mehr als nur »gut gemeint« helfen kann.
Korrespondenten wie ich einer war, die hautnah die Lebenswirklichkeiten auch in Krisenregionen beschreiben, begegnen früher oder später den konsequent auf Selbsthilfe angelegten Projekten, die von terre des hommes gefördert werden. Diese Projekte und die darin wirkenden Menschen belegen, dass es – allen Zweifeln zum Trotz – eine sinnvolle Verwendung von Spendengeldern gibt. Es ist eine Hilfe, die den Unterstützten nicht die Selbstachtung nimmt, sondern die ihre eigene Kraft zum Selbsterhalt stärkt. (...)
Fritz Pleitgen, Intendant des Westdeutschen Rundfunks

Quelle: Website von terre des hommes; www.tdh.de


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