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Sagen und sagen lassen

Ältere und neueste Medien im Lichte der Ukraine-Krise

Von Velten Schäfer *

Nein, das ZDF hat nichts »manipuliert«. Der Sender hat zwar, wie nun in einer »Klarstellung« eingestanden, in einem Beitrag über die Ost-Ukraine Mitte Juli einer Frau in Lugansk per Einsprecher die Sätze »Merk dir mein Gesicht, Poroschenko!« und »Ich werde persönlich kommen und Dich und Deine Familie töten!« in den Mund gelegt, während sie tatsächlich »geht weg« sagte, man solle sie nur in Frieden lassen. Doch sei dies bloß eine »ärgerliche Bild-Text-Schere«: Die Frau habe den fraglichen Satz gesagt, nur nicht im gesendeten Ausschnitt, beschwichtigt der Sender in einer Erklärung, die bald 14 Tage alt ist, aber bislang kaum aufgegriffen wurde. Während der ZDF-Skandal um »Deutschlands Beste« anhält, gilt dieser Fall offenbar als erledigt.

Aber ist das richtig so? Wer mit Medien zu tun hat, weiß zwar um die Plausibilität der gegebenen Erklärung. Dennoch ist damit nicht alles in Butter. Denn warum wurde überhaupt aus einem längeren O-Ton gerade dieser Satz isoliert? Der Sorgfalt wäre nicht allein dadurch Genüge getan, den richtigen Schnipsel zu senden. Redlich wäre gewesen, die verängstigt-wütende Frau auch gerade so zu zeigen. Vermutlich hätte das ja zunächst auch gewählte Zitat mit dem »geht weg« viel besser getroffen – aber vielleicht weniger in ein unausgesprochenes Gesamtbild gepasst. Es wäre daher schon interessant, wie genau der Fehler passierte: Wurde das Zitat so kurzfristig eingebaut, dass der Schnitt nicht hinterherkam?

Das Problem ist weniger der Schnittfehler als die unwillkürliche Auswahl von Zitat und Protagonistin. Während es auf dem Maidan stets gelang, aus allerlei Fragwürdigem die sympathischen Stimmen herauszufiltern, wirken »Prorussen« fast immer wie die Frau aus dem ZDF: aggressiv und hasserfüllt. Natürlich gibt es dort viel Hass. Lässt sich aber niemand finden, der telegen zu »den Russen« hält? Wer Beziehungen in diesen Teil der Welt unterhält, mag es kaum glauben.

Das ZDF ist nicht allein mit seiner Bild-Text-Schere – und regiert wenigstens auf Kritik. Das ist nicht selbstverständlich, wie ein Beispiel aus den ARD-Tagesthemen vom Mai zeigt: Die Moderatorin verkündete, »eindrucksvoll« sei deutlich geworden, dass der Separatismus vor Ort »nicht die Meinung der Mehrheit« sei. Dazu gab es Bilder einer Kundgebung im Stadion des Oligarchen Achmetow, die volle Ränge suggerierten. Tatsächlich war das Stadion zu neun Zehnteln leer. Das Publikum kam in Bussen. Internet-Material belegt dies deutlich. Wollte man hereinfallen? Wer hat die Bilder beschnitten?

Journalismus kennt zwei Basisoperationen: Sagen und sagen Lassen. Wenn sich die Ebenen vermischen, gibt es ein Problem – nicht nur bei bewegten Bildern, sondern bereits im verlesenen Text. Ein Beispiel ist das Rätsel um MH17: Während sich die Untersuchungen hinziehen, scheint der Fall schon klar. Die Sprachregelung lautet: »Russland wird vorgeworfen«. Man berichtet also über einen Verdacht, den man zugleich insinuiert.

Das aber ist ein Problem. Der Weltkrieg, dessen gerade gedacht wurde, war der erste, der nicht gegen die Menschen geführt werden konnte. Er basierte auf »wir« und »die«. Gern behauptet man, daraus gelernt zu haben. Doch tatsächlich schien die Welt kaum je so schwarz-weiß wie heute. Je näher dabei der Pulverdampf kommt, desto wichtiger werden die einfachsten menschlichen, ja sogar christlichen Qualitäten – wie etwa Empathie für die Gegenseite. Sicher gab es zuletzt viel Propaganda in Russland. Teils vielleicht aber auch nur »Scheren« – siehe ZDF.

Wer den Konflikt auf russisch verfolgt, nimmt ihn tatsächlich ganz anders wahr. Dort sah man Bilder von Zivilisten, die Panzer stoppen, von weinenden Großmüttern, von ganz realen Leichen. Ist es Propaganda, das dauernd zu zeigen? Oder ist es Propaganda, das so selten zu tun?

Der zeitgenössische Nolens-Volens-Manichäismus hat womöglich seine Hintergründe in der technisch-sozialen Struktur der neuesten Medien. Das Internet spielt eine widersprüchliche Rolle: Ohne die Tausenden, die sich dort etwa über den ZDF-Beitrag erregten, wäre Mainz nicht zur »Klarstellung« gezwungen gewesen. Das Internet kann Korrektiv sein – und ist derzeit der einzige Ort, an dem sich die Sicht der Gegenseite nachvollziehen lässt: eine Funktion, die nicht unterschätzt werden darf.

Doch andererseits ist gerade das Netz auch eine Polarisierungsmaschine, die den falschen Eindruck besonderer Nähe zu den Ereignissen weckt. Massen haben etwa jene »MH17«-Bilder hasserfüllt kommentiert, auf denen »Prorussen« einen Teddy und einen Ehering zeigten. Manche Medien bauten ihre Berichte sogar auf Twitter. Dabei zeigten die Aufnahmen auch, wie Teddy und Ring nach dem Fototermin sorgsam verpackt wurden. Die Aktion sollte Mitgefühl demonstrieren, doch das Vorverständnismedium machte das Gegenteil daraus. Jene australische Nutzerin etwa, die die Rebellen aufgrund ihrer Facebook-Kenntnis als »widerliche Tiere« einstufte und dafür zahllose »Likes« einsammelte, wird davon nichts mitbekommen.

Je weiter die »Individualisierung« der Medien reicht, desto sicherer findet man dort, was man sucht: Bestätigung. Auf 120 Twitter-Zeichen lässt sich nicht argumentieren, Facebook kennt nichts als Mögen oder Nicht-Mögen und wirkt als Haltungsverstärker, indem man seine Schnitze des Weltgeschehens von »Freunden« bekommt. Das Revidieren und Nochmaldenken ist dagegen nicht Teil dieser Grammatik. Nicht nur, weil sich im Netz Heerscharen von gewieften Propagandisten jedweder Couleur versammeln. Sondern schon, weil sich die Ereignisse stets zu überschlagen scheinen, sobald man sich nur einloggt in diese Meinungsapparatur. Es ist insofern durchaus kein Zufall, dass sich gerade die US-amerikanische Gesellschaft im vergangenen Jahrzehnt bis zur gelegentlichen Handlungsunfähigkeit polarisiert hat: Dort ist das Internet am weitesten fortgeschritten.

Die Krise in der Ukraine zeigt in dem Zusammenhang, wie eminent wichtig redigierte Medien gerade heute und in Zukunft sind. Nur sollten sie sich ernster nehmen, statt Tweets und Postings hinterherzuhecheln. Die Selbstkritik beim ZDF wiese daher in eine richtige Richtung – wenn sie denn, statt auf dem Formalen zu beharren, zu einer ernsthaften Selbstbefragung führte.

* Aus: neues deutschland, Samstag 9. August 2014


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