"PR ist nur ein Euphemismus für Propaganda"
Medienwissenschaftlerin kritisiert mangelnde Berichterstattung und zunehmende Propaganda. Ein Gespräch mit Sabine Schiffer *
Dr. Sabine Schiffer ist Leiterin des Institutes für Medienverantwortung (IMV) www.medienverantwortung.de.
Die Kriege in der Ukraine und in Gaza dominieren die mediale Berichterstattung. Trügt der Eindruck, daß eine große Diskrepanz zwischen der von den Medien veröffentlichten Meinung und den Ansichten der Mehrheit der Bevölkerung besteht?
Genaue Untersuchungen gibt es dazu noch nicht. Aber, wenn man die kritischen Leserkommentare in Online-Foren, die Flut an Leserbriefen, über die sich Redakteurskollegen von Zeitungen beschweren, oder auch aufgegriffene Debatten im »ZAPP«-Medienmagazin ernst nimmt, dann ist der Eindruck nicht von der Hand zu weisen, daß die öffentliche und die veröffentlichte Meinung immer weiter auseinanderdriften.
Zudem macht sich im Internet eine Art Antidiskurs, eine Aufklärungsbewegung breit, die teilweise aber auch mit Vorsicht zu genießen ist. Viele Menschen sind unzufrieden mit dem, was man immer noch »Berichterstattung« nennt, jedoch oftmals die Kriterien für Propaganda erfüllt.
Was meinen Sie mit Propaganda? Das ist doch eher in gelenkten Systemen zu erwarten.
Das ist eine falsche Erwartungshaltung. In jedem System greifen Lobbyismus und PR. Letzteres ist ja auch nur ein Euphemismus für Propaganda – wie es nicht zuletzt Edward Bernays, der Begründer der modernen Public Relations, sagt. Gelenkte Kommunikation zur Steuerung »dummer Massen« hielt Bernays gar für eine Notwendigkeit in Demokratien, die er sonst dem Chaos anheim fallen sieht – so in seinem Buch »Propaganda« von 1928. Für das geschickte Verpacken subtiler Botschaften zeigte er den Weg auf.
Nun sind in den letzten Jahren immer wieder Fälle manipulierter Kriegstreiberei bekanntgeworden. Sowohl in der aktuellen Ukraine- als auch in der Gazakrise hat man es anscheinend in Sachen Einseitigkeit zu arg übertrieben, so daß das Publikum aussteigt und rebelliert. Davon zeugen einige Programmbeschwerden beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk, wie auch Beschwerden beim Presserat.
Wie erklären Sie sich diese unterschiedlichen Wahrnehmungen?
In der Ukraine-Krise gehen die Schuldzuweisungen zu schnell. Bevor man genaueres weiß, ist Rußland als Übeltäter ausgemacht. Wenn dem widersprechende Informationen nicht mehr zu leugnen sind, ist Putin zumindest schuld an der Verhinderung der Aufklärung. Vergleichbare Bewegungen wie die Demonstranten auf dem Maidan und die Demonstranten in der Ostukraine werden völlig verschieden bewertet, die Wahl in Syrien verteufelt, die in der Ukraine begrüßt bei quasi gleichen Voraussetzungen. Die doppelten Standards stoßen einem auf.
Bei der Israel-Palästina-Berichterstattung scheint mir der Sachverhalt anders zu liegen. Da wird auffällig symmetrisiert, obwohl die Situation extrem asymmetrisch ist. Auch das ist ein Messen mit zweierlei Maß. Das Beklagen von erstarkendem Antisemitismus in diesem Kontext, ohne gleichstarkes Beklagen der erstarkenden Islamophobie spricht Bände.
Ist das Internet die Chance für Gegenöffentlichkeit?
In einem gewissen Maß schon, aber natürlich haben das auch die Lobbyisten und Kriegspropagandisten verstanden. Es ist aufwendig, sich mit Unterwanderungsstrategien in Blogs, Wikipedia und Kommentarspalten zu befassen. Das ist im Alltag kaum zu leisten, und das Fenster der Meinungsfreiheit schließt sich auch dort, wie die Enthüllungen zur Überwachung im Netz zeigen.
Können Sie Medien empfehlen, die ein realistisches Bild von den aktuellen Kriegen vermitteln?
Grundsätzlich warne ich vor einer solchen Fragestellung oder Erwartungshaltung – ich bin mit solchen Empfehlungen sehr zurückhaltend. Schauen Sie, was zum Beispiel aus der taz geworden ist. Diese Systemintegration ist eine ständige Gefahr. Die Haltung, »dem kann ich ungeprüft glauben«, halte ich für gefährlich. Vielmehr müßten wir in einer systematischen Medienbildung an Schulen Kriterien und Methoden vermittelt bekommen, die wir anwenden können, um Beiträge auf ihre Qualität zu prüfen – und zwar jeden in jedem Medium. Dieses pädagogische Konzept fordere ich auch in meinem Buch »Bildung und Medien«. Es wird aber systematisch von der IT-Branche torpediert, deren Lobbyisten es gelungen ist, bis in die Bundeszentrale für politische Bildung vorzudringen und zu suggerieren, das Heil liege in der Informationstechnologie und nicht in der Analysetechnik. Das hat fatale Folgen für unsere Demokratie, die auf Reflexion von Meinungsbildungsprozessen angewiesen ist.
Interview: Markus Bernhardt
* Aus: junge Welt, Dienstag 5. August 2014
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