Hass in Energie
Nichts versteht sich von selbst: Zum Tod von Walter Mossmann
Von Christof Meueler *
Vor langer Zeit, als Wolf Biermann unter Linken noch einen legendären Ruf genoss, galt Walter Mossmann als eine Art West-Biermann. Nach dessen Ausbürgerung aus der DDR 1976 sind sie gemeinsam in Recklinghausen vor großem Publikum aufgetreten. Verstanden haben sie sich weniger als erwartet, und viel später, als Biermann sich für keine reaktionäre Äusserung mehr zu blöde war, gar nicht mehr.
Biermann liebte den Starauftritt, Mossmann war ein Grassroots-Liedermacher, der »Flugblattlieder« sang, auf Dauertournee durch die alternative Szene der Bundesrepublik. Das Album mit diesem Titel erschien 1975 wie fast alle seine Platten beim Münchner Trikont-Label. Das bekannteste Lied darauf ist der »KKW-Nein-Rag«, gesungen auf eine Melodie von Phil Ochs, in dem es heißt: »Beim Frühstück sitzen drei Kapitalisten und ein Ministerpräsident / ein Atomspezialist und ein hoher Polizist und ein Typ vom DGB, der pennt. / Die paar Herren hätten gern das Volk am Zügel, stumm als Stimmvieh / Sie verwandeln Energie in Profit, aber wir: verwandeln unseren Hass in Energie«. Im Dreiländereck Baden-Elsass-Nordschweiz hatten sich damals Bauern, Bürgerliche und Linksalternative gegen drei geplante Atomkraftwerke verbündet, zwei davon wurden tatsächlich verhindert: Whyl und Kaiseraugst.
Mossmann auf der Suche nach der besseren APO
Die Internationale der Waldeck-Sänger zerfiel wie die Studentenbewegung bald in rivalisierende Gruppen: Während die Reinhard-Mey-Fraktion sich das heitere Gammlertum nicht vermiesen lassen wollte, gingen Politbarden wie Degenhardt, Süverkrüp und Hannes Wader in die Deutsche Kommunistische Partei (DKP). Mossmann stand zwischen den Lagern; er kam, wie er 1976 sang, "aus einer anderen Provinz", und hier, links unten im Dreyeckland, fand der gebürtige Karlsruher dann auch seine Heimat. Die Bürgerinitiativen waren für Mossmann die neue, bessere APO, nicht studentisch-elitär, sondern volkstümlich und basisdemokratisch. In Whyl erlebte er staunend, dass es nicht nur in Chile oder Italien, in Filmen oder Büchern eine "Poesie des Widerstands" gab. Platzbesetzungen, Maskenumzüge, Freundschaftshütten, Grenzüberschreitungen: "Aha, so etwas geht also auch hier".
Martin Halter in der Badischen Zeitung ("Der radikale Menschenfreund") vom 1. Juni 2015.
Mossmann sang auch über die Giftkatastrophe von Seveso und für die linksradikale Partei MIR in Chile, er besang das erfolgreiche Attentat auf den designierten Franco-Nachfolger Louis Carrero Blanco und den Widerstand im Wendland. Er gehörte 1974 zu den Urhebern der »Erklärung der 21 Bürgerinitiativen an die badisch-elsässische Bevölkerung«, die die Matrix für die Umweltbewegungen in Frankreich und in der BRD darstellt. Anders als es heute die TV-Bilder suggerieren, wurde die hiesige Antiatombewegung weder von Joseph »Joschka« Fischer noch von Petra Kelly gegründet. Sie war ein mächtiges Beben der Basis, das musste Mossmann auch seinem Freund Rudi Dutschke erklären, der stets von einer neuen USPD fabulierte.
Die »Flugblattlieder« waren Mossmanns zweite musikalische Karriere. Die erste hatte er mit literarisch anspruchsvollen Chansons begonnen. Mitte der 60er Jahre galt er als die große Entdeckung der Burg Waldeck, dem Folkfestival im Hunsrück, das auch Reinhard Mey, Franz Josef Degenhardt, Hannes Wader und Dieter Süverkrüp bekannt machte. Deren Lieder waren damals noch vorpolitisch, geistreich-melancholische Spitzen gegen die Spießigkeiten des CDU-Staats, kurz vor der linken Revolte 1967–1969. Als die einsetzte, wurden die anderen berühmt und Mossmann trat von der Bühne ab, weil er bei den großen Plattenfirmen nicht mit dem Protestsong, dem neuen Genre, Geld verdienen wollte. Das versuchte er lieber als linker Journalist, für das neue Jugendradio des Südwestfunks.
Als Journalist lernte er Anfang der 70er die Bewegung von Schafzüchtern gegen eine geplante Militärbasis im südfranzösischen Larzac kennen, die die gesamte radikale Linke ergriff. Der Widerstand gegen Whyl war davon inspiriert. Im Unterschied zu vielen seiner Liedermacherkollegen fehlte Mossmann jede Begeisterung für den realen Sozialismus, bestenfalls sympathisierte er symbolisch mit dem Ur-Leninismus von 1917, weil da Geschichte in die Gänge gekommen war. Mossmann, der mit den Gründern der Roten Brigaden in Mailand befreundet gewesen war, hatte in der DDR Einreiseverbot, im BRD-Rundfunk durften viele seiner Lieder nicht gespielt werden. Meistens saß er genussvoll zwischen den Stühlen. 1968 war er in den Freiburger SDS eingetreten, weil er fand, dass dort die »Lust am Experiment und Ungläubigkeit« kultiviert wurden: »Nichts versteht sich von selbst. Zu allem, was besteht, muss es Alternativen geben«, schrieb er in seiner Autobiographie.
Ab Mitte der 90er Jahre konnte er nicht mehr singen, weil der Kehlkopfkrebs seine Stimme fast weggefressen hatte. Vergangenen Freitag starb er in Breisach im Alter von 73 Jahren an der deutsch-französischen Grenze (badische Seite).
* Aus: junge Welt, Mittwoch, 03. Juni 2015
[Eine - natürlich nicht vollständige - Anthologie von Mossmanns Liedern und Chansons erschien im Trikont-Verlag (4 CDs im Schuber: US-0330)]
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