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Zensur ist überall

Zum 20. Jahrestag der Erklärung von Windhoek fand in München eine Diskussion zur "Pressefreiheit in Afrika" statt

Von Reinhard Jellen *

Am 3. Mai 1991 wurde im namibischen Windhoek die Einrichtung einer freien, pluralistischen und unabhängigen Presselandschaft gefordert. Zum 20.Jahrestag dieser Deklaration fand nun an der Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation in München eine Diskussionsveranstaltung zwischen Pressevertretern zum Thema »Pressefreiheit in Afrika– 20 Jahre nach Windhoek« statt. Vor ungefähr achtzig Erdnüsse mampfenden Anne-Will-Klonen, Westentaschen-Giovanni-Di-Lorenzos, Möchtegern-Günter-Jauchs und anderen Jungschreiberlingen in Lederjacke wurde erst einmal ein trauriges Bild von der Pressefreiheit in Afrika gezeichnet. Laut »Reporter ohne Grenzen« wurden zum Beispiel während des letzten Jahres in Somalia neun und in Nigeria drei Journalisten getötet, in Kamerun starb ein inhaftierter Schreiber, der über Korruption recherchiert hatte, während der Haft, und in Togo wurde eine Redaktion geschlossen. Auch wenn der Umsturz in Tunesien durch Blogger initiiert wurde, befinden sich weltweit ungefähr 120 Internet-Aktivisten in Haft. Die Reporterin der Süddeutschen Zeitung Christine Schlötzer-Scotland berichtete, daß Syrien zur Zeit keine Journalisten-Visa erteilt und in Ägypten zwei Reporter vom Militär festgenommen wurden. Pakistan sei im Moment für heimische und ausländische Journalisten der gefährlichste Platz überhaupt und aufgrund der presseüblichen Entlohnungsweisen arbeiteten Journalisten in Afrika »letztendlich für den, der sie bezahlt«. Journalisten seien deswegen zur Selbstzensur gezwungen.

Ulrich Enke vom Bayerischen Rundfunk stellte fest, daß in autoritären Systemen die Journalisten ohne Rechtsschutz dastünden. Auf westliche Presseleute würde in vielen Staaten eine sanfte Zensur ausgeübt und zwar in der Form, daß Berichte einer Genehmigungspflicht unterliegen, Ausgangssperren verhängt werden oder ein Dolmetscher, der für den Geheimdienst arbeitet, hinzugezogen werden muß. Aber auch im Westen fände zum Beispiel in Form des »embedded journalism« Zensur statt. Dem pflichtete Ulrich Schmidla vom Focus bei: Journalisten würden nicht nur von Despoten behindert, sondern auch von den westlichen Demokratien. So mußte der später im Irak getötete Journalist Christian Liebig während des Irak-Krieges seine Reportagen von amerikanischen Militärs abnicken lassen. Da diese aber der deutschen Sprache nicht mächtig waren, konnte er einigermaßen realitätsgerecht berichten. Der Amnesty-International-Mitarbeiter Heinz Hoppe legte dar, daß Online-Petitionen für verhaftete Pressevertreter bei immerhin einem Drittel zu Verbesserungen der Haftbedingungen führen und bisweilen einen wirkungsvollen Schutz vor Folter bieten. Auf die Frage des Moderators, ob Journalisten in Afrika zur Selbstzensur gezwungen wären und ob dies nicht schändlicher als die eigentliche Zensur sei, zeigte der Focus-Reporter Schmidla Verständnis für derlei journalistische Überlebensstrategien: Wenn eine Zeitung zum Beispiel abhängig von Anzeigen der Regierung sei, wäre eben eine eher unkritische Berichterstattung die Folge. Deswegen sollte zum Beispiel eine Stiftung Journalisten in solchen Regionen unterstützen und der Pressefreiheit mehr Gewicht geben. Schlötzer-Scotland wies auf den Umstand hin, daß viele Redaktionen auch im Okzident aufgrund mangelhafter Besetzung auf Agenturmeldungen angewiesen seien und sich im Grunde kein eigenes Meinungsbild mehr leisten könnten. Außerdem würden zunehmend schlecht bezahlte Freelancer in gefährliche Weltgegenden geschickt, auf deren oftmalig effekthascherische Darstellungen dann kein Verlaß wäre.

Auf die Rolle von Bloggern und des Internets in Nordafrika angesprochen, entgegnete sie, daß Blogs zwar für die Urteilsbildung extrem wichtig seien, jedoch schlecht überprüfbar wären. Um aber ein Gesamtbild zu zeichnen, müsse man unbedingt ein Reihe von Blogs zu Rate ziehen. Aber auch Al-Dschasira leiste in Nordafrika Ungeheuerliches und wäre bei den Umbrüchen extrem wichtig gewesen. Der technologische Fortschritt ermögliche inzwischen auch in autoritär regierten Ländern zwar keine Presse-, jedoch Informationsfreiheit und hätte eine Entwicklung in Gang gesetzt, die vor zwanzig Jahren noch gar nicht absehbar gewesen sei. Bilder von einem getöteten Blogger und von folternden Polizisten wären zum Beispiel beim Umsturz in Ägypten von großer Bedeutung gewesen. Der Fluß der Informationen könne von Diktatoren nicht mehr so gut kontrolliert werden. Auch fand am Rande Erwähnung, daß Deutschland in punkto Pressefreiheit einen unrühmlichen neunzehnten Platz einnimmt, und so wäre natürlich auch eine Diskussionsveranstaltung zum Thema »Pressefreiheit in Deutschland« interessant gewesen.

* Aus: junge Welt, 5. Mai 2011


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