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Zu hohe Verluste?

"Medienvielfalt" nach Lesart der WAZ-Gruppe, am Beispiel der Westfälischen Rundschau: Redaktion raus, Konkurrenz-Artikel rein

Von Peter Wolter *

Die bislang größte Entlassungswelle in deutschen Redaktionen rollt weiter: Jetzt hat es auch die 1946 gegründete Westfälische Rundschau (WR) in Dortmund erwischt. Sämtliche Mitarbeiter werden auf die Straße gesetzt, rund 120 Journalisten und sonstige Redaktionsangestellte verlieren den Job. Begründung des Mutterkonzerns, der Essener WAZ-Gruppe: Das Blatt mit seinen 24 Lokalausgaben mache zu große Verluste, im den vergangenen fünf Jahren seien es 50 Millionen Euro gewesen.

Das gleiche Schicksal wie die Kolleginnen und Kollegen der WR haben in den vergangenen Monaten rund 200 Mitarbeiter der Nachrichtenagentur dapd erlitten, ebenso die 300 Beschäftigten der am 7. Dezember eingestellten Wirtschaftszeitung Financial Times Deutschland. Die Abendzeitung Nürnberg, die 93 Jahre lang erschien, wurde schon Ende September aufgegeben. Als nächstes könnte die insolvente Frankfurter Rundschau dran sein, für die noch eine Rettungsmöglichkeit gesucht wird: Nicht nur eine der renommiertesten Tageszeitungen Deutschlands, sondern noch einmal 500 Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel.

Ein Novum in der deutschen Presselandschaft ist jedoch, daß das Personal der WR zwar entlassen wird, die Zeitung selbst aber weiter erscheinen soll: Artikel und Fotos aus anderen Konzernblättern sollen die Spalten füllen. Einer Verlagsmitteilung ist zu entnehmen, daß die Mantelthemen ab Februar von der WAZ-Mediengruppe kommen, die lokale Berichterstattung von der konzerneigenen Westfalenpost. Es sollen dafür aber auch Beiträge von Konkurrenzblättern eingekauft werden. Infrage kämen die Ruhr Nachrichten (Verlag Lensing-Wolff), der Hellweger Anzeiger (Verlag Rubens) sowie die Märkische Zeitung (Märkischer Zeitungsverlag).

»Unser Ziel ist es, die Westfälische Rundschau zu erhalten und damit die Medienvielfalt in dem Verbreitungsgebiet sicherzustellen«, erklärte die WAZ-Gruppe zur Begründung. Allerdings bleibt es ihr Geheimnis, was das Nachdrucken von Beiträgen anderer Zeitungen mit Medienvielfalt zu tun haben soll – es dürfte eher das Gegenteil der Fall sein.

Die SPD-Medienholding Deutsche Druck- und Verlagsgesellschaft (ddvg), die 13,1 Prozent der WR hält, trägt die Entscheidung jedenfalls nicht mit. Sie sei erst Ende November »sehr rudimentär« über geplante Einschnitte bei der WR informiert worden, trotz Nachfragen habe es keine weiteren Informationen gegeben, heißt es in einer Mitteilung. Die ddvg habe dem Beschluß nicht zugestimmt, »wir werden rechtlich prüfen, wie wir damit umgehen«.

Für die Hunderte Journalisten, die in den vergangenen Monaten von deutschen Medien entlassen wurden, dürfte es schwer werden, einen neuen Job zu finden. Die WAZ-Gruppe will den ehemaligen WR-Mitarbeitern bevorzugt frei werdende Stellen in Nordrhein-Westfalen anbieten, außerdem gebe es einen Sozialplan. »Die Chancen, daß die Kollegen aus dem Printbereich auch wieder im Printbereich unterkommen, sind nicht wahnsinnig gut, « erklärte dazu eine Sprecherin der Bundesagentur für Arbeit. »Es wird sicher für viele schwierig werden, wieder im Journalismus unterzukommen.«

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 17. Januar 2013


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