Wikileaks-Gründer Assange beantragt politisches Asyl in Ecuador
Scotland Yard droht mit Festnahme *
Wikileaks-Gründer Julian Assange kämpft seit über einem Jahr gegen seine Auslieferung von Großbritannien an Schweden. Nun hat der Australier sich in die Londoner Botschaft Ecuador geflüchtet und Asyl beantragt. Die britischen Behörden haben Wikileaks-Gründer Julian Assange mit einer Festnahme gedroht, sobald er die Botschaft Ecuadors in London verlassen sollte.
Um seine drohende Auslieferung von Großbritannien an Schweden zu verhindern, ist Wikileaks-Gründer Julian Assange in die Botschaft Ecuadors in London geflohen. Der 40 Jahre alte Australier, der seit einem Jahr unter strengen Auflagen in Großbritannien lebt, habe politisches Asyl beantragt, teilte Ecuadors Außenminister Ricardo Patiño auf einer Pressekonferenz in Quito mit.
Die britischen Behörden haben Wikileaks-Gründer Julian Assange mit einer Festnahme gedroht, sobald er die Botschaft Ecuadors in London verlassen sollte. «Er ist für die Verletzung der Auflagen zu verhaften», sagte eine Sprecherin der Londoner Polizei.
Assange ist Gründer der Enthüllungsplattform Wikileaks, die vor allem mit der Veröffentlichung vertraulicher und geheimer US-Dokumente weltweit für Schlagzeilen gesorgt hat. Die schwedische Justiz wirft ihm vor, zwei Frauen sexuell belästigt und in einem Fall sogar vergewaltigt zu haben. Seit mehr als einem Jahr versucht Assange, seine Auslieferung zu verhindern. Den Instanzenweg in Großbritannien hat er seit vergangener Woche erfolglos ausgeschöpft.
In der Begründung seines Asylantrags, den der Minister in Quito verlas, macht Assange geltend, er sei von seinem Heimatland Australien im Stich gelassen worden. Er werde verfolgt, weil er Informationen veröffentlicht habe, die die Mächtigen kompromittierten, weil er die Wahrheit publiziert habe und damit Korruption und ernste Menschenrechtsverletzungen in aller Welt enthüllt habe. Wie Wikileaks über den Kurznachrichtendienst Twitter mitteilte, bietet Ecuador Assange bereits seit November 2010 politisches Asyl an.
Mit seiner Flucht in die Botschaft des südamerikanischen Landes könnte Assange gegen seine Bewährungsauflagen verstoßen haben, mit denen er seit mehr als einem Jahr die britische Auslieferungshaft umgeht. Die australische Regierung bezeichnete den Asylantrag als private Angelegenheit des Internetaktivisten. "Herr Assange wird Entscheidungen im eigenen Interesse so treffen, wie er es sieht", sagte der amtierende Regierungschef Wayne Swan in Canberra. Man werde ihm "größtmögliche Unterstützung zukommen lassen, wie es bei jedem australischen Staatsbürger im Ausland normal ist".
Assange wird von zwei Schwedinnen sexuelle Nötigung bei Kontakten im Sommer 2010 vorgeworfen. Der Anwalt der beiden, Claes Borgström, meinte im Rundfunk, der Asylantrag werde die Auslieferung möglicherweise herauszögern, aber nicht verhindern.
Die Staatsanwaltschaft in Göteborg hatte 2010 einen internationalen Haftbefehl gegen Assange ausgeschrieben, um ihn für ein Verhör über die Vorwürfe der Frauen nach Schweden zu zwingen. Die zuständige Staatsanwältin Marianne Ny wollte den Asylantrag von Assange nicht kommentieren. Der Australier war vor seinem Asylantrag in der Botschaft des südamerikanischen Landes Ecuador durch alle Rechtsinstanzen in London gegangen. Dabei scheiterte er mit dem Versuch, seine Auslieferung vor Gericht zu verhindern.
Kritik an der Regierung kam vom australischen Grünen-Senator Scott Ludlam. "Dieser jüngste Schritt von Herrn Assange zeigt, dass er kein Vertrauen in die Bereitschaft der australischen Regierung hat, einzuschreiten und ihn vor einer Strafverfolgung durch die USA zu schützen", sagte er. Schweden überrascht von Assanges Asylantrag.
Im Rundfunksender SR sagte der schwedische Anwalt von Assange, Thomas Olsson, am Mittwoch, er sei "total überrascht". Weitere Kommentare könne er erst abgeben, wenn er über "ausreichend Informationen" verfüge.
* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 20. Juni 2012
Assange will Asyl
Wikileaks-Gründer flüchtet in Botschaft Ecuadors. Scotland Yard erläßt Haftbefehl
Von Jürgen Heiser **
Der Gründer der Internet-Enthüllungsplattform Julian Assange hat um politisches Asyl in Ecuador nachgesucht. Wenige Tage vor seiner Auslieferung an Schweden begab sich Assange am Dienstag in die Obhut der Londoner Botschaft des lateinamerikanischen Landes. Zuvor war der Antrag seiner Verteidiger an den Obersten Gerichtshof Großbritanniens, den Fall erneut zu prüfen, abgelehnt worden. Damit blieb es bei der Bestätigung der Auslieferung durch das höchste britische Gericht vom 30. Mai des Jahres.
Seine zehntägige Auslieferungsfrist an die schwedische Justiz wegen sexueller Delikte, die der 40jährige Assange von Beginn an als vorgeschoben bezeichnet hat, sollte am 28. Juni beginnen. Assange und seine Verteidiger befürchten hinter den Ermittlungen der Stockholmer Staatsanwaltschaft ein politisches Komplott, mit dem er letzten Endes in die Fänge der US-Justiz geraten solle. Schon Mitte 2010 wurde bekannt, daß Washington eine Anklage gegen den Internetaktivisten vorbereitetet und die Behörden Großbritanniens, Deutschlands und weiterer westlicher Verbündeter aufgefordert hatte, Strafermittlungen gegen Assange einzuleiten (jW berichtete).
Eine vom Außenministeriums Ecuadors verbreitete Erklärung zitierte Assanges Gründe für seinen Schritt in die diplomatische Mission Quitos. Er fühle sich durch sein Heimatland Australien im Stich gelassen, das »faktisch erklärt hat, nicht einmal meine rechtlichen Mindestgarantien vor einer ausländischen Regierung zu schützen, deren Landesverfassung die Todesstrafe für Spionage und Landesverrat vorsieht«. Die australische Regierung verletze damit ihre Sorgfaltspflicht gegenüber Bürgern, die politisch verfolgt werden. Eine Rückkehr in sein Heimatland sei ihm deshalb unmöglich, und er sehe sich »hilflos der Ladung zu Vernehmung durch das Königreich Schweden ausgesetzt, dessen Beamte mich offen attackiert haben«.
Die Regierung Ecuadors kündigte an, den Asylantrag Assanges zu prüfen. Im Fernsehen verlas Außenminister Patiño persönlich die Erklärung, in der es heißt, dies geschähe unter Berücksichtigung »des Respekts gegenüber den Regeln und Prinzipien des Völkerrechts und in der Tradition der Politik Ecuadors, die Menschenrechte zu schützen«.
Ein Sprecher von Scotland Yard erklärte gestern, es sei Haftbefehl gegen Julian Assange erlassen worden. Er habe »gegen die Kautionsauflagen verstoßen«, indem er den vereinbarten Hausarrest verlassen »und in der Botschaft Ecuadors übernachtet« habe. Demgegenüber vertrat Außenminister Patiño laut dem Guardian die Auffassung, Assange befinde sich auf »diplomatischem Territorium und damit außerhalb des Zugriffs der Polizei«.
Die australische Regierung sieht im Asylantrag des weltbekannten »Whistleblowers« eine Privatangelegenheit. Regierungschef Wayne Swan dazu in Canberra: »Herr Assange wird Entscheidungen im eigenen Interesse so treffen, wie er es sieht.« Offizielle Stellen Washingtons wollten sich zu der neuen Entwicklung im Fall Assange nicht einlassen. Dies sei »Sache Großbritanniens, Schwedens und Ecuadors«, heißt in einer über die Agenturen verbreiteten Erklärung des US-Außenministeriums.
Erst kürzlich hatte Assange Gelegenheit, persönlich mit dem Präsidenten Ecuadors zu sprechen. Für seine in London produzierte wöchentliche Talkshow »The World Tomorrow« bei dem englischsprachigen TV-Sender Russia Today (RT) interviewte Assange via TV-Schaltung Präsident Rafael Correa, den RT als einen »großen Fan von Wikilieaks« bezeichnete. Am Ende verabschiedete sich der sichtlich aufgeräumte Regierungschef des Andenstaats von Assange mit den Worten: »Kopf hoch! Willkommen im Club der Verfolgten«.
** Aus: junge Welt, Donnerstag, 21. Juni 2012
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