Fünfte Gewalt schaffen
Eine Strategie gegen die Medienkonzerne als ideologische Instrumente der neoliberalen Globalisierung ist notwendig
Von Ignacio Ramonet *
In den bürgerlichen Demokratien existieren drei traditionelle Gewalten: die Legislative, die Judikative und die Exekutive. Als die liberale Presse Anfang des 20. Jahrhunderts entstand, sprach man von einer »vierten Gewalt«. Ihre Bestimmung wurde darin gesehen, Fehler der übrigen drei Gewalten zu korrigieren, wenn dies nötig würde. Diese Presse war ein Gegengewicht, das Fehlentwicklungen der Demokratie anprangern konnte. Seit rund 15 Jahren aber werden die Medien zunehmend von großen Konglomeraten kontrolliert. Diese Konzernriesen sind zugleich vehemente Verfechter der neoliberalen Globalisierung. Das Kommunikationswesen ist für sie nichts als ein großer Markt, und die Information ist ihre Ware. Mit ihr wird gehandelt wie mit Stahl oder Kohle vor einem Jahrhundert.
Kontrolle der Politik
Inzwischen sind diese Konglomerate die großen Mächte. Sie verbreiten die Meldungen über Taten und Geschäfte ihrer Eigner als »Nachrichten«. Sie sorgen sich um Gewinn, nicht um die Qualität der Information. Der gesunde Bürgersinn ist ihnen abhanden gekommen; sie haben aufgehört, diejenigen zu verteidigen, die keine Stimme haben. Ganz im Gegenteil: Ihre Medien haben sich zu Kräften entwickelt, von denen die Interessen der Bürger unterdrückt werden. Diese Sender und Zeitungen haben aufgehört, das Gegengewicht darzustellen, das sie einst waren.
Über lange Zeit hinweg war es der Traum eines jeden Politikers, die Presse zu kontrollieren und zu dominieren. Heute leben wir in einer Zeit, in der das Gegenteil der Fall ist: Heute kontrollieren die Medien die Politik. Pressekonzerne schüchtern kraft ihrer medialen und wirtschaftlichen Macht die politischen Akteure ein. Es erscheint inzwischen fast unvorstellbar, daß Journalisten sich über Jahrzehnte hinweg nicht getraut haben, Politiker derart aggressiv zu attackieren, wie das heute geschieht. Heute ist es kaum mehr denkbar, daß es einst Regeln gab. Heute werden Politiker von den Medien in Grund und Boden gestampft. Manche sehen diese Allmacht als Beweis der Pressefreiheit. Ich betrachte sie als einen Beleg für die Schwäche der Politik. Denn eben diese Medien würden niemals Wirtschaftsbosse in der gleichen Art und Weise angreifen, wie sie Politiker attackieren. Dabei sind die Wirtschaftsbosse die eigentlichen Machthaber dieser Tage.
Ohne Gegengewicht
Die neuen Medienkonzerne sind heutzutage zur einzigen Gewalt mutiert, zu der kein Gegengewicht mehr existiert. Und das ist keineswegs gesund für die Demokratie. Eine Macht ohne Gegenmacht wird immer dazu tendieren, alle Bereiche des Lebens zu okkupieren. Dabei besitzt die politische Macht die eigentliche Legitimität. Die Medien hingegen sind in letzter Konsequenz nur Ausdruck wirtschaftlicher Interessen. Diese sind zwar auch legitim, müssen in einer funktionierenden Demokratie aber der politischen Sphäre untergeordnet sein.
Auch deswegen müssen die Medien autonom und unabhängig bleiben, um ihre Glaubwürdigkeit zu bewahren. Die Medien dürfen nicht zum Ziel haben, die Gesellschaft zu kontrollieren, zu leiten und zu dominieren.
Tatsächlich aber wandeln sie sich zu einer ideologischen Macht, die in die gesellschaftliche Entwicklung eingreift. Deswegen ist es nötig, eine »fünfte Gewalt« zu schaffen. Diese darf nicht aus den Medienapparaten entstehen. Sie muß an Basisbewegungen orientiert und von Regierungen unabhängig sein. Sie muß von Journalisten aufgebaut werden, von Intellektuellen und von Bürgern. Diese neue Kraft ist notwendig, um die ausufernde Macht der Medienimperien zurückzudrängen.
* Aus: junge Welt, 3. Januar 2008
Zur Person: Ignacio Ramonet
Der im Mai 1943 im spanischen Rondela geborene Journalist Ignacio Ramonet leitet die in Paris erscheinende Monatszeitung für internationale Politik Le Monde diplomatique. Im Dezember 1997 publizierte das Blatt einen Leitartikel von Ramonet unter der Überschrift »Désarmer les marchés« (Die Märkte entwaffnen). Darin machte der Autor Devisenspekulationen für die Finanzkrise in Südostasien verantwortlich. Ramonet attackierte die Dominanz der Finanzmärkte und den unbeschränkten Kapitalfluß und bezeichnete diese als Gefahr für die Demokratie und die Stabilität der Staaten. Eine neue Organisation sollte diesem Trend entgegenwirken. Es war die Geburtsstunde der »Association pour une taxation des transactions financières pour l'aide aux citoyens«, kurz: ATTAC.
Seine Jugend hatte Ignacio Ramonet in Tanger verbracht. Er studierte Ingenieurwissenschaften und Soziologie in Bordeaux, Rabat und Paris. Er promovierte als Schüler von Roland Barthes an der École des Hautes Études en Sciences Sociales im Fach Semiotik. Seit 1972 lebt und arbeitet er in Frankreich.
In den letzten Jahren widmete sich Ramonet, dessen Beiträge in Deutschland unter anderem in der jungen Welt erscheinen, verstärkt der wuchernden Macht von Medienkonzernen. In zwei seiner jüngeren Bücher -- »La tiranía de la comunicación« (1999), »Propagandas silenciosas« (2002) -- befaßte er sich mit diesem Thema. Er ist Mitbegründer der regierungsunabhängigen Organisation Media Watch Global.
Auch auf der von jW ausgerichteten Rosa-Luxemburg-Konferenz am 12. Januar 2008 in Berlin wird sich Ignacio Ramonet mit dem Machtmißbrauch der großen Medienkonzerne befassen. In seinem Beitrag wird er aufzeigen, wie der Einfluß der Informationsunternehmen immer mehr mit politischen und wirtschaftlichen Interesse einhergeht. Er wird verdeutlichen, warum viele vermeintliche Gegner der Pressefreiheit tatsächlich Bewahrer der medialen Demokratie sind -- in Venezuela etwa. Und vor allem wird Ignacio Ramonet ein Stück dazu beitragen, die große Frage zu beantworten: Wie können linke und demokratische Gegenstrategien entwickelt werden?(hn)
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