An der Oberfläche
"Krieg und Internet: Ausweg aus der Propaganda?" Th. I. Steinberg rezensiert das Buch von Stefan Krempl
Kriegspropaganda beherrscht die Mainstreammedien, und Kriegsgegner schreiben gegen die
Propaganda an - im Internet. Weblogs, Warblogs, Mailinglisten, Personal Homepages auf englisch
und deutsch vermehren sich und erhalten Zuspruch. Halten sie qualitativ einem Vergleich mit
anerkannten bürgerlichen Blättern stand? Was können sie ausrichten gegen den Mainstream?
Stefan Krempl verwendet 100 Seiten seines Buches "Krieg und Internet" auf die Beschreibung
der Medienlandschaft und weitere 100 Seiten auf den Kosovo- und den Irak-Krieg in der New York
Times, in der SZ und auf www.net-time.org
Im ersten Teil knüpft der Autor an das Selbstverständnis des Mainstreams an. "Um ihre
Wiederwahl fürchtende Politiker und Regierungsvertreter müssen die Bürger in Demokratien
überzeugen, die immensen, sich auf Menschen und Sachmittel erstreckenden Kosten für einen
Krieg in Kauf zu nehmen." Da käme die Propaganda ins Spiel. Eine Zielgruppe sei die breite
Öffentlichkeit. Kriegspropaganda könne am besten über die Massenmedien verbreitet werden.
"Eigentlich sollten die Medien in demokratischen Gesellschaften gegen eine derartige
Instrumentalisierung aber gewappnet sein." Doch die konventionellen Medien würden bei Kriegen
häufig in ihrer kritischen Wachhund-Rolle und ihrer demokratischen Funktion versagen.
Das angebliche Medienversagen belegt Krempl anhand der Berichterstattung der Süddeutschen
Zeitung während des Kosovo-Krieges und anhand der New York Times in beiden Kriegen mit
zahlreichen Beispielen. Diese überzeugen davon, daß beide Organe viele Lügen kritiklos
veröffentlicht haben. Doch haben sie wirklich versagt? Von einem Versagen kann nur sprechen,
wer das Selbstverständnis dieser Medien teilt. Krempl gibt nicht preis, wo er selbst die
Mainstreampresse politisch verortet. Zwar läßt er durchscheinen, was er für wahr hält und wo
demzufolge die Zeitungen gelogen haben, aber seine Kriterien bleiben im dunkeln.
Krempl schätzt offenbar die untersuchten linken Warblogs und Weblogs, doch auch sie ordnet er
oberflächlich ein. Zum Beispiel referiert er einige der von net-time getroffenen Bewertungen der
Bush-Politik: Bushs Rhetorik trage totalitäre Züge, er halte sich für ein Werkzeug Gottes, und
seine Export-Revolution erinnere an sowjetischen Revolutionsexport. Wenn endlich Volk und Bush
gar nicht mehr miteinander übereinstimmten, heiße es plötzlich: Ein echter Führer führt, er folgt
nicht - und das ertöne aus Mündern von Machthabern, die sonst obsessiv auf die Ergebnisse von
Meinungsumfragen schauen. Das sind, legt Krempls Gesamtargumentation nahe, diskutable
Ansichten, doch der Autor irritiert den Leser mit dem Folgesatz: "Und munter weiter geht es bei
den Nettimern mit Griffen in die Mottenkiste der Propagandaklassiker..."
Krempl kritisiert einen rechten Warblogger namens Reynolds auf InstaPundit im Detail als
einseitig. Seine Kritik überzeugt. Aber Krempl zieht die gewonnene Erkenntnis beim
zusammenfassenden Vergleich von konventioneller Presse und Internet nicht mehr heran. Ist nun
das Internet ein Ausweg aus der Propaganda? Das Netz, meint Krempl, sei ein Forum der
(Gegen-) Öffentlichkeit, ein Gegengift zur Propaganda. Auf die Masse der Surfer habe es aber
noch keinen Einfluß. Ob es auf die traditionellen Medien einwirke, sei ungewiß. Da ist der Leser
kaum schlauer als zuvor. Wie kommt es, daß ein faktenreiches und größerenteils umsichtig
verfaßtes Buch auf eine richtig gestellte, wichtige Frage so dürr antwortet?
Im Buch fehlt ein brauchbares Verständnis von Gesellschaft. Von Hobbes, von Adam Smith, Marx,
Pareto oder Max Weber, von Hannah Arendt oder Judith Butler ist keine Spur. Den Skandal aller
bisherigen Gesellschaften, die Herrschaft, bringt Krempl nicht auf den Begriff. Im
Herrschaftsverhältnis aber wären bürgerliche Zeitungen und neue Medien zu verorten, aus ihm
erschlösse sich erst, worüber die Pressehunde tatsächlich wachen. Erst begriffene Herrschaft
öffnet den Blick für Tore zur Freiheit, ob sie nun Internet heißen oder Süddeutsche Zeitung. Vom
Eigentum an Medien, Ressourcen und Produktionsmitteln überhaupt wäre zu handeln und von
Lohnabhängigkeit.
Thomas Immanuel Steinberg
Stefan Krempl: Krieg und Internet: Ausweg aus der Propaganda? Verlag Heinz Heise, Hannover, 2004, 238 Seiten, 18 Euro
Die Rezension befindet sich auf der Homepage des Autors: http://www.steinbergrecherche.com/stefankrempl.htm
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