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Haben wir unsere Lektion gelernt?

KEINE PRESSEFREIHEIT. NIRGENDS: Von Bilder-Verboten und sonstigen Tabu-Zonen

Von Daniela Dahn*

Die tapfere Verteidigung der Pressefreiheit gegenüber dem Islam hat etwas Bizarres. Wie wacker doch hierzulande westliche Werte hochgehalten werden. Die Äußerungsfreiheit ist offenbar etwas Identitätsstiftendes, ein heiliges Gut, dass man über alle Meinungsverschiedenheiten hinweg nicht antasten lässt. Einmal Aufklärung - immer aufgeklärt. Mögen sich andere mit Demokratie schwer tun, wir haben unsere Lektion gelernt. Wir lassen uns unsere bürgerrechtlichen Errungenschaften von keiner rückwärtsgewandten Kraft beschädigen.

Eine Mitgliederbefragung der IG Medien unter Zeitungsjournalisten hat indes schon vor zehn Jahren ergeben, dass sich drei Viertel der Redakteure Eingriffen von Verlegern ausgesetzt sehen, weit über die Hälfte außerdem aggressiver Einflussnahmen durch Inserenten, Verbände und Politiker. Damals fragte ich in einem Buch: "Warum liest man niemals Artikel darüber, wie so was genau funktioniert?" Woraufhin einer der profiliertesten Journalisten, der viel zu früh verstorbene Herbert Riehl-Heyse, mich freundlich darauf hinwies, dass er dies (nicht in seiner Zeitung), sondern in seinem Buch Bestellte Wahrheiten andeutungsweise versucht habe. "Wissen möchte man schon", schrieb er dort, "woher es nur kommen mag, dass man so selten richtig böse Verrisse über Motorräder und Autos in den deutschen Zeitungen liest, jedenfalls viel seltener als böse Verrisse über Filme, Bücher, Theaterstücke?" Vielleicht, weil man Theateraufführungen nicht als Teststück für einen Monat mit nach Hause nehmen kann und danach gegen ein dringend benötigtes neues Teststück ausgewechselt bekommt, vermutete er. Doch die Andeutungen blieben vage, und seither hat sie meines Wissens niemand präzisiert.

Die meisten Journalisten sind angesichts exzessiver Sparpläne nicht gerade in offensiven Positionen. Fast allerorts werden Redaktionen wenn nicht aufgekauft, so zusammengelegt, Redakteure überflüssig gemacht, Archivdienste eingestellt. Zeit für Recherchen wird knapp, Zeit ist bekanntlich Geld. Recherchen sind gewissermaßen verlorene Rendite. Und bringen womöglich noch Scherereien.

Das gängige Patent für Gewinnmaximierung setzt daher nicht etwa auf investigativen Journalismus, sondern auf angeblich Quote bringende Verflachung. Wie aber treffen Schreibende mit schlafwandlerischer Präzision die unsichtbare Stromlinie? Nach meiner Beobachtung ist der Mainstream die Summe der öffentlichen Äußerungen, die aufmüpfig genug sind, um den Anschein von Meinungsfreiheit zu erwecken, und brav genug, um erforderliche Veränderungen verlässlich zu verhindern. Diese ausgewogene Mischung pendelt sich auf wundersame Weise immer wieder wie von selbst ein. Natürlich nicht durch plumpe Verordnung nach DDR-Manie. Abweichungen in Einzelfragen werden durch permanenten Widerspruch in sich viel besser paralysiert. Wo alles gleich gültig ist, ist schließlich alles gleichgültig.

Was aber immer gilt: Marktfundamentalismus kritisierende Texte werden in den meisten Redaktionen nicht gern gesehen, da die Presse sich ihren Werbekunden verpflichtet fühlt. "Heutzutage ist es nun einmal so, dass Zeitungseigner, die Geld verdienen wollen, der Auffassung sind, man dürfe die Leser nicht mit Meinungen entfremden", sagte Franziska Augstein auf einer Zeitungskonferenz, nachzulesen (nicht in ihrer Zeitung), sondern in den linken Blättern für deutsche und internationale Politik. Die deutsche Presse betreibe ihre Selbstgleichschaltung, indem politische Meinungsfreude nur dann akzeptiert würde, wenn sie dem Mainstream entspreche.

Notfalls hilft ein wenig demonstrative Einschüchterung. Die Fälle von polizeilichen Durchsuchungen bei Journalisten und Beschlagnahmungen ihres Materials nehmen zu, das Ausspähen ihrer Telefonkontakte ebenfalls, und selbst die Bespitzelung kritischer Journalisten durch den BND, wie die von Jo Angerer, Redakteur beim ARD-Magazin Monitor, scheinen keine Einzelfälle zu sein.

Das Ganze funktioniert: Keines der etablierten Medien stellt ernsthaft und anhaltend Fragen nach den Voraussetzungen von kapitaler Macht. Das Jagdfieber der meisten Journalisten - so sie es überhaupt noch haben - gilt Enthüllungsgeschichten, in denen die Verworfenheit von Personen, nicht die von gesellschaftlichen Kausalitäten bloßgelegt wird. Diese Art von Pressefreiheit kann zwar einzelnen Machthabern, niemals aber den privilegierenden Strukturen des Systems an sich gefährlich werden. Wem nutzt ein Pluralismus, der trotz offensichtlicher sozialer Missstände nicht zu einschneidenden Richtungsänderungen führt? Er nutzt natürlich, nämlich denen, die vom Status quo profitieren.

Pressefreiheit würde bedeuten, dass Texte nur nach handwerklicher Qualität ausgewählt werden: nach überprüfbarer Faktenfülle, logischer Beweisführung, sprachlicher Brillanz - nicht aber nach Gesinnung. Doch genau das passiert natürlich. Der Versuchung, Unbequemes auszugrenzen, ist zu keinen Zeiten widerstanden worden.

Nun könnte man einwenden, es gäbe schließlich Blätter (oder Blättchen) jedweder politischer Couleur, in denen zum Beispiel auch Kritik von Links willkommen sei. Das ist wohl wahr. Um bei diesen linken Blättern zu bleiben - sie fallen sofort durch eine gewisse, mir nicht unsympathische Schlankheit auf, sind sie doch auf Diät gesetzt, auf Anzeigendiät. Die Wirtschaft annonciert nicht auf so subversivem Terrain. Und der Leser ist, bewusst oder unbewusst, empfänglich für solche Signale. Warum soll er sich mit Gedankengut rumschlagen, dass offensichtlich auf dem Markt keinen Erfolg hat? Wo er sich doch selbst gerade für diese Konkurrenz geistig fit machen möchte. Man muss bei Zeiten wissen, was die Erfolgreichen denken, will man eines Tages dazugehören. Will man nicht selbst als Außenseiter enden, empfiehlt es sich, Querdenkereien von Außenseitern zu meiden.

Der Selbstgleichschaltung der Presse folgt die Selbstgleichschaltung des Lesers. Und umgekehrt. So bleiben die Käufer linker Blätter unterhalb der kritischen Masse, die tatsächlich unbequem werden könnte. Und was nicht stört, kann großzügig geduldet werden.

Voraussetzung von Pressefreiheit wäre eben auch, dass Inserenten ihre Werbeflächen nicht nach Gesinnung des Blattes wählen und sich somit zum eigentlichen Zensor aufschwingen. Sie müssten, wollten sie der Apologetik nicht einen unlauteren Wettbewerbsvorteil verschaffen, auch in oppositionellen Zeitungen kleinere, preiswertere Anzeigen setzen. Da sie das aber offensichtlich nicht tun, dürften freie Medien überhaupt nicht von Geldgebern aus der Wirtschaft abhängen.

Zumal es nicht mehr nur um Produktwerbung geht - immer mehr Lobby-Gruppen kaufen sich Zeitungsplatz für seitenfüllende Textanzeigen, um da weiterzumachen, wo die Bereitschaft der Journalisten aufhört. Wie etwa die dubiose EUROPEAN SECURITY ADVOCACY GROUP, die in Deutschlands großen, seriösen Tageszeitungen in einer monatelangen Anzeigen-Kampagne behauptete, terroristische Zellen mit Verbindungen zu al Qaida hätten Anschläge mit hochgiftigen chemischen Waffen auf europäische Metropolen geplant. "Dutzende von Verdächtigen wurden verhaftet - und geheime Lager mit Chemikalien, Schutzkleidung und den Stadtplänen der ausgewählten Städte entdeckt ... Zehntausende Menschen hätten sterben können", wenn nicht gut ausgerüstete Sicherheitskräfte dies verhindert hätten.

Steckte hinter der Panikmache dieser anonymen Gruppe auch nur ein Hauch von Beweisbarkeit, die Journalisten hätten dem nachgehen müssen. Internet-links lassen darauf schließen, dass sich hinter den ADVOKATEN Wirtschaftsführer, Kommunikationsexperten, der Verfassungsschutz, Banken und DaimlerChrysler verbergen. DaimlerChrysler ist Großaktionär bei EADS, einem der wichtigsten Rüstungskonzerne der Welt. Das Thema "geistige Mobilmachung" hätte sich angeboten, aber die Journalisten berichteten nur von einem Rüstungsauftrag aus den USA, der den Umsatz von EADS auf zwei Milliarden Dollar im nächsten Jahr steigen lassen wird.

Auch nur darüber nachzudenken, ob all solche Praktiken durch demokratisch kontrollierte öffentlich-rechtliche und genossenschaftliche Medien verhindert werden könnten, gilt als hochgradig weltfremd. Was nur wieder beweist, wie ungeübt wir im Infragestellen von Machtstrukturen sind.

Derzeit wird das angebliche Zurückweichen der freien Presse vor dem Islam lautstark beklagt, während ihr viel folgenschwereres Zurückweichen vor dem Kapital seit Jahren klaglos hingenommen wird. Das verrät eine Betriebsblindheit, die schon an Fahrlässigkeit grenzt. Wenn der Westen ernsthaft glaubt, die Pressefreiheit in Europa hinge davon ab, ob man dem Tabu des islamischen Bilderverbots widerstehen könne, so hat er noch ein gutes Stück Aufklärung vor sich.

* Daniela Dahn, Berlin, Journalistin und Schriftstellerin. Zuletzt haben wir von ihr veröffentlicht: "Einseitige Linksfürchtigkeit" (Dezember 2005).

Aus: Freitag 07, 17. Februar 2006


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