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"Kino der Angst - Terror, Krieg und Staatskunst aus Hollywood"

Eine Studie von Peter Bürger, rezensiert von Wolfgang Kuhlmann

Nach seiner jüngsten Buchveröffentlichung "Napalm am Morgen" (2004) über den kriegskritischen Vietnamfilm [www.napalm-am-morgen.de] hat der Düsseldorfer Publizist Peter Bürger nun eine 630 Seiten starke Studie über kriegspropagandistische US-Filme seit der zweiten Hälfte der 80er Jahre abgeschlossen. Eine vergleichbare Darstellung dieses Gegenstandes liegt in der deutschsprachigen Literatur nicht vor. Der Titel: "Kino der Angst - Terror, Krieg und Staatskunst aus Hollywood". Es handelt sich dabei nicht um eine filmästhetische Betrachtung, sondern um einen Beitrag zur Friedensforschung. Der Focus richtet sich vor allem auf den politischen "Drehbuchtext". Die Filmografie enthält mehr als 600 Titel, von denen der Autor über 400 für seine Untersuchung selbst gesichtet hat. Erhellt werden soll u.a. die "schwarze Magie" des Kriegskinos, die Millionen Tote auf das Format melodramatischer Zweikämpfe reduziert und die Geschichte der Massenvernichtung auf der Leinwand - zugunsten aktueller Begehrlichkeiten - umschreibt. Vom Leser wird nicht erwartet, das umfangreiche Material selbst zu erleiden. Die Filminhalte werden gut nachvollziehbar vermittelt und innerhalb des jeweiligen historisch-politischen Kontextes analysiert.

Das Militär führt Regie im Kriegskino


Bürger geht aus von Kants "realistischer Konzeption des demokratischen Frieden" und von der völkerrechtlich verbindlichen Verpflichtung zum Verbot "jeder Kriegspropaganda" (Kapitel I). Die USA verweisen an dieser Stelle scheinheilig auf uneingeschränkte Meinungsfreiheit, fördern jedoch als Staat selbst propagandistische Kriegsfilmproduktionen. Den entsprechenden Aktivitäten des US-Verteidigungsministeriums im unterhaltsamen Filmgeschäft gilt das Hauptaugenmerk des Buches. Sie bestimmen seit Ende der 80er Jahre das Kriegskino, bleiben dem Publikum jedoch weitgehend verborgen. Mächtige Bilderproduzenten und Medienmonopole fördern darüber hinaus in allen Genres ein massenkulturelles Kriegsklima.

Militainment, Kriegsunterstützende Polit-Spielfilme und USA-Mythen

Im Überblick (Kapitel II) erfährt der Leser Grundlegendes über die neuere Arbeitsweise der Informationsmedien zu Kriegszeiten, über die Kooperation von Pentagon und Unterhaltungsindustrie sowie über den Zusammenhang von Militainment-Produkten und futuristischer Militärtechnologie (virtueller Krieg am Bildschirm; Simulationen im PC-Spiel; utopische Fiktionen über den kontrollierbaren Krieg; militärische Allmachtsphantasien).

Ein eigener Durchgang (Kapitel III) ist dem "militärisch-industriellen Komplex" und der politischen Elite gewidmet. Gezeigt wird, dass der neuere Polit-Spielfilm aus Hollywood mit sehr wenigen Ausnahmen das Phänomen der Macht unkritischer behandelt als namhafte US-Klassiker aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Weltweit vertriebene Kino-Mythen rekonstruieren die Geschichte der Supermacht als Fortschritt durch Gewaltausübung (Kapitel IV): US-Revolution, Bürgerkrieg, Eroberung des Westens usw. Private Bewaffnung gilt als Grundrecht. Dem staatlichen Konzept der Todesstrafe für das "schuldige" Individuum steht auf kollektiver Ebene ein Unschuldskomplex der US-amerikanischen Nation gegenüber. In diesem Zusammenhang werden auch religiöse Dimensionen sichtbar, die Bürger - der von Haus aus Theologe ist - zum Anlass nimmt, das fundamentalistische Christentum in den Vereinigten Staaten kritisch zu beleuchten.

Re-Inzenierungen von Kriegsschauplätzen, Rekrutierungskino und Kriegsgerichtsdramen

In drei Kapiteln untersucht der Verfasser im Anschluss daran die "Rückkehr des Zweiten Weltkrieges ins US-Kino" und den Übergang vom Befreiungspathos hin zur offenen Propagierung von Rache (Kapitel V), den "neuen" Vietnamfilm als unschuldigen Blick auf die Geschichte und als Bühne für ein zeitloses Heldentum (Kapitel VI), sowie die Re-Inszenierungen von Militäroperationen der 90er Jahre unter dem Gesichtspunkt eines "humanitär" geleiteten Weltpolizistentums (Kapitel VIII). Im Grunde werden in diesen Kapiteln drei eigenständige Filmstudien vorgelegt. Im Rekrutierungskino (Kapitel VII) richtet sich die Werbung für die US-Streitkräfte in auffälliger Weise an "ethnische Minderheiten". Vom Pentagon geförderte Filme über Kriegsgerichtsbarkeit (Kapitel IX) vermitteln dem Publikum bereits im Jahr 2000 neue "Normen" für Gefechte in einer arabischen Stadt und für den Umgang mit dem internationalen Recht. Auf der Leinwand werden regierungsfreundliche "Spielregeln" propagiert, die Zivilopfer und harte Verhörmethoden als unvermeidlich darstellen. Entsprechende Kriegsgerichtsdramen prägen das öffentliche Rechtsempfinden und kommen z.B. auch im deutschen Privatfernsehen zur Ausstrahlung.

Apokalypsen, Atomwaffenwerbung und Antiterrorkriege

Apokalyptische Filmbilder behandelt die Arbeit in zwei Durchgängen. Zunächst modellieren irrationale Endzeitmythen und Star-Wars-Fiktionen eine zivilisatorische Mission der USA im Kampf zwischen Gut und Böse, wobei das gesamte Weltall als potentieller Schauplatz ins Visier kommt (Kapitel X). Religiös verbrämte Endzeit-Szenarien gehören zur Jahrtausendwende längst zum festen Kino-Repertoire und transportieren ein gefährliches Weltbild. Mehrere vom Pentagon subventionierte Katastrophenfilme der 90er Jahre deutet Peter Bürger als vorauseilende Werbung für eine neue Atomwaffenwaffengeneration (Kapitel XI). Suggeriert wird zum Beispiel, nukleare Erdpenetratoren seien ungefährlich und für zivile Operationen der Weltrettung - unter Führung der Vereinigten Staaten - unerlässlich.

Im US-amerikanischen "Kino der Angst" (Kapitel XII) fungieren Terror und Krieg als zentrale Motive bei der Beschreibung innenpolitischer Konflikte und Problemlösungen. Kulturkampf-Inhalte, die einen globalen "Krieg gegen den Terror" vorbereiten (Kapitel XIII), sind bereits in Filmen der 80er Jahre populär. Für "Nine Eleven"-Forscher wird umfangreiches Kinomaterial aufbereitet. (Zu Spekulationen über den Hergang der Terroranschläge erfolgt im Buch jedoch keine eigene Stellungnahme.) Historische und theologische Überlegungen gelten der neuen Islamophobie. Die Beobachtungen zu "kooperativen" Programmplanungen des US-Kinos zeitgleich zu den Kriegen in Afghanistan und im Irak sind verblüffend.

Ideologische Funktionen des Kriegskinos und medienpolitische Alternativen für den Frieden

Weil der massenkulturelle Krieg auf der Leinwand kein schicksalhaftes Naturereignis ist, möchte der Autor abschließend politische Perspektiven und - im Sinne Brechts - eine "praktikable Wahrheit" aufzeigen (Kapitel XIV). Gegen die verdeckte Beteiligung von Militär und Rüstungsindustrie an Kriegsfilmproduktionen macht er u.a. die Kategorie des gesetzlichen Verbraucherschutzes geltend. Während heute mit Begriffen wie "Medienpädagogik" oder "Medienkompetenz" vor allem auf subjektive Rezeptionsbedingungen geschaut wird (Konsumentenseite), konzentriert sich Peter Bürger bewusst auf die Produzenten (Anbieterseite). Forschungen zum Phänomen des War-Entertainment und alternative Produktinformationen erfordern seiner Ansicht nach eine bessere - auch internationale - Vernetzung. Wichtige Schritte der Medienbeobachtung könnten schon im Rahmen bestehender Infrastrukturen (z.B. kirchliche Medieninstitute) erfolgen.

In zwölf Einzelabschnitten werden ideologische Funktionen des kriegsunterstützenden Films entlang des umfangreichen Materials als Ergebnis festgehalten. Bürger befürchtet, dass "neoliberale" Kulturmacher Klärungen zum Kriegsfilm-Paradigma, die Siegfried Kracauer im Grunde schon vor 75 Jahren vorgelegt hat, Schritt für Schritt einer Revision unterziehen. Deshalb widmet er insbesondere den "Naturalisierungsstrategien" von Kriegsbildproduzenten und den scheinheiligen Fürsprechern einer von Moralismus noch unverdorbenen Ästhetik ausführliche Betrachtungen. Bei der Behandlung rechtlicher Bestimmungen, die einer massenkulturellen Propagierung des Krieges entgegenstehen, liegt ein Schwerpunkt auf der Praxis des Jugendmedienschutzes. Bedeutsamer als die vielfältigen Wirkungshypothesen zu Mediengewaltdarstellungen ist in diesem Kontext der politisch-ideologische Rahmen von Filmen und Computerspielen.

Bürger billigt restriktiven Strategien und Einzelverboten - zumal im Zeitalter der Satellitenkommunikation - keine großen Erfolgsaussichten zu. Deshalb stellt der letzte Abschnitt die Frage, ob die Politik zumindest in Europa eine demokratische Medienmachtkontrolle wünscht und gewillt ist, eine Weltbürger-Kultur zu fördern, die gemäß UNESCO-Ideal den Frieden im Geist der Menschen verankert.

Der Anhang der Studie enthält zunächst einen Literaturbericht zu zwei neueren US-amerikanischen Publikationen über die Kooperation des Pentagons bei Filmproduktionen und zu einer 2004 erschienenen historischen Darstellung über die "Visualisierung des modernen Krieges" von Gerhard Paul. Dem Literaturverzeichnis folgt die umfangreiche Filmografie, in der zu jedem Titel ein Seitenindex beigegeben ist.

Wer dem Einfluss der laufenden Kriegsbilder auf die Zivilgesellschaft entgegenarbeiten will, dem bietet diese Arbeit eine gründliche Orientierung. Erstmalig wird das US-Kriegskino der letzten zwanzig Jahre in einer Gesamtsicht dargestellt. Friedensbewegung, Globalisierungskritik, Konfliktforschung, Filmwissenschaft, Medienpädagogik, Jugendschutzgremien und Rechtswissenschaften können von dieser Studie profitieren. Wie kann die Propagierung von Militärdoktrinen im Kriegsfilm öffentlich transparent und eingegrenzt werden? In seiner Antwort auf diese Frage unterbreitet der Autor konkrete Vorschläge, die Filmschaffende und politisch Verantwortliche zum Handeln herausfordern.

Wolfgang Kuhlmann, Düsseldorf (FriedensTreiberAgentur)

Peter Bürger: Kino der Angst - Terror, Krieg und Staatskunst aus Hollywood. Düsseldorf 2005; 29,- Euro zzgl. Versandkosten

Online-Bestellung:
www.friedensbilder.de

Bestellung:
Peter Bürger, Kiefernstr. 33, D-40233 Düsseldorf
e-mail: peter@friedensbilder.de


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