Ein bösartiges Wesen im Briefkasten
In zwei Monaten soll die "Bild"-Jubiläumsausgabe gratis ausgeliefert werden. Der Unmut darüber wächst
Von Thomas Blum *
Die Zahl der Menschen, die die Annahme der geplanten »Bild«-Gratis-Ausgabe verweigern, nimmt rasch zu.
Das »größte Drecksblatt der westlichen Welt« nennt Hermann L. Gremliza, Herausgeber des Monatsmagazins »Konkret«, die »Bild«-Zeitung.
Eine der jüngsten Obszönitäten, die sich das Blatt erlaubte, war eine Titelseite, die im März dieses Jahres erschien und auf der die Fotos von 22 lächelnden Kindern zu sehen waren. Die Kinder waren wenige Tage zuvor bei einem Busunglück in der Schweiz ums Leben gekommen. Für besondere Skrupel und ein ausgeprägtes Taktgefühl war das Boulevardblatt, das es erfahrungsgemäß mit der journalistischen Sorgfaltspflicht nicht ganz so genau nimmt, bislang nicht gerade bekannt, eher für seinen bigotten, fragwürdigen Hau-den-Lukas-Journalismus: Je kräftiger der Schlag, desto mehr Remmidemmi. Wenn es ordentlich kracht, ist der Leser bzw. sind dessen Instinkte zufrieden. Bedauerlicherweise sei es, was die »Bild«-Zeitung angeht, seit Jahren üblich, »das Widerwärtige in ihr für journalistischen Witz zu halten«, hieß es vor einigen Jahren in der »Berliner Zeitung«. Tatsächlich gibt es heutzutage nicht wenige, die dem Blatt so etwas wie Ironie attestieren, ohne zu erkennen, dass es sich meist um nichts anderes als Häme oder Propaganda handelt. Oder ist das Massenblatt gar keine Zeitung im eigentlichen Sinne, sondern vor allem ein reines Geschäftsmodell, eine clevere Marketing-Maschine, mit der durch den Verkauf unzähliger sogenannter »Volks-Produkte« Profite erwirtschaftet werden, wie vor einem Jahr eine wissenschaftliche Studie festgestellt hat?
Demnächst will die Zeitung, deren Auflage rückläufig ist, mit großem Tamtam ihren 60. Geburtstag feiern und hat aus diesem Grund eine gewaltige Reklameaktion geplant: Eine Gratis-Sonderausgabe des Blattes soll am 23. Juni sämtlichen deutschen Haushalten zugestellt werden.
Ein Vorhaben, das bei einigen Unbehagen auslöste: Eine Hand voll Studenten gründete die Kampagne »Alle gegen Bild«, die dazu aufruft, per E-Mail die Zustellung der Zeitung abzulehnen.
Sebastian Schulze, der der Initiative angehört, glaubt an das Gelingen dieses Protests: »Vertreter der Springer AG sagen, sie werden die Absagen berücksichtigen. Man kann davon ausgehen, dass die Leute, die keine Gratis-›Bild‹ wollen, tatsächlich keine kriegen und Springer sich der rechtlichen Situation bewusst ist.« Die Kampagne ist bisher überaus erfolgreich: Bis gestern Mittag waren es fast 190 000 Personen, die es der Axel-Springer-AG schriftlich untersagten, ihnen die »Jubiläumsausgabe« von »Bild« zukommen zu lassen.
Schulze nennt das Vorhaben, in alle Briefkästen eine »Bild«-Zeitung zu stecken, eine »Propagandaaktion«. Danach gefragt, warum jetzt plötzlich viele Leute ihre Vorbehalte gegen die Zeitung entdecken, meint er: »Kritik an der ›Bild‹-Zeitung und den Methoden des Springer-Konzerns gab es immer, es fehlten politische Akteure, die das als Thema gesetzt haben und damit in die Öffentlichkeit vorgestoßen sind. Jetzt sieht man, dass diese Kritik nicht nach 1968 verschwunden ist.«
Dennoch hat seit den 70er Jahren ein Mentalitätswandel stattgefunden. Offene Kritik an der »Bild«-Zeitung und ihren Praktiken ist heute rar geworden. Einer der wenigen, die den Mut dazu haben, ist der Schriftsteller Gerhard Henschel, zu dessen Werk auch zwei Bücher zählen, die hart mit dem Blatt ins Gericht gehen. Im Gespräch mit »nd« sagt er: »In den 60er Jahren war es noch so, dass in der 1. Klasse der Lufthansa oder in guten Hotels die ›Bild‹-Zeitung selbstverständlich nicht auslag, das hat sich leider gründlich geändert.« Man dürfe seine Chancen beim Kampf gegen ein so finanzkräftiges Unternehmen nicht überschätzen: »Der Bundestag, bis auf ganz wenige Ausnahmen, rutscht vor der ›Bild‹-Zeitung auf dem Bauch. Nicht nur die politische Klasse, sondern auch so gut wie alle Profisportler, Fernsehansager, Schlagersänger, alle ächzen unter der Knute dieser Zeitung.
Wenn sich das jetzt ändert und eine breite Bewegung entsteht, dann freue ich mich darüber.« Auch Judith Holofernes, Sängerin der Pop-Combo »Wir sind Helden«, hat es im vergangenen Jahr abgelehnt, sich an einer seit Jahren laufenden »Bild«-Werbekampagne zu beteiligen, auf die sich bereits viele Prominente von Udo Lindenberg bis Richard von Weizsäcker ohne Bedenken bereitwillig eingelassen haben. »Die ›Bild‹-Zeitung«, schrieb Holofernes seinerzeit in ihrer Antwort auf eine Anfrage der Werbeagentur des Blattes, sei »ein gefährliches politisches Instrument«, »ein bösartiges Wesen«.
Fakten zur Bild
Seit 1952 erscheint die Boulevard-Tageszeitung »Bild« im Axel-Springer-Verlag, heute einer der großen Medienkonzerne mit Tochtergesellschaften in mehreren Ländern. Sonntags erscheint das Schwesterblatt »Bild am Sonntag«. »Bild« hat eine Auflage von derzeit 2,7 Millionen Exemplaren und erreicht angeblich elf bis zwölf Millionen Menschen täglich, davon sind 63 Prozent Männer. Die Zeitung arbeitet in formaler Hinsicht sehr stark mit einer Verknappung und Simplifizierung der deutschen Sprache, inhaltlich setzt man auf Skandalisierung, Emotionalisierung und Geschmacklosigkeiten aller Art. Die Grenzen im Blatt zwischen redaktionellem Inhalt, Klatsch, Reklame und Propaganda sind häufig fließend. Mit ihrer fragwürdigen Arbeitsweise hat die Zeitung im Lauf ihrer Geschichte immer wieder Kritiker auf den Plan gerufen. Vorwürfe waren wiederholt, »Bild« stelle Personen bloß und denunziere sie. Über den Tod einer lebendig verbrannten spanischen Obdachlosen scherzte das Massenblatt beispielsweise, hier sei eine »Oma« versehentlich »gegrillt« worden.
Kritik zu »Bild« äußerten seit den 60er Jahren vor allem linke Intellektuelle. Größeres öffentliches Aufsehen erregte Günter Wallraff, der 1977 einige Monate unter Pseudonym als Reporter für »Bild« tätig war, mit dem Buch »Der Aufmacher«. Der Springer-Verlag führte mehrere Gerichtsprozesse gegen ihn.
Der Schriftsteller Max Goldt schrieb: »Jemand, der zu dieser Zeitung beiträgt, ist gesellschaftlich absolut inakzeptabel.« Heute beschäftigt sich vor allem das »BILDblog« mit der Zeitung. Hierbei handelt es sich um eine durch Spenden und Werbung finanzierte Internetseite, die seit 2004 kritisch »Bild« und »Bild am Sonntag«, aber auch andere deutsche Presseerzeugnisse beobachtet. Dokumentiert werden Verletzungen von Persönlichkeitsrechten und »tagesaktuell sachliche Fehler, Sinnentstellendes und bewusst Irreführendes in den Berichterstattungen«. (tbl)
* Aus: neues deutschland, Montag, 23. April 2012
"Selbst bei intelligenten Menschen bleibt etwas hängen"
Sebastian Schulze, Mitinitiator der Kampagne »Alle gegen Bild«, über die Macht und die Strategien des Boulevardblattsb **
nd: Über Ihre Initiative kann man Widerspruch gegen die Zustellung der Jubiläums-»Bild« einlegen. Was werfen Sie der Zeitung vor?
Schulze: Die Ankündigung, »Bild« an alle Haushalte zu verschicken, ist ein Teil einer Strategie, die diese Zeitung betreibt, um den Eindruck zu erwecken, eine legitime Stimme der Bevölkerung zu sein. Was sie betreibt, ist nicht Journalismus. Sie versucht, mittels politischer Kampagnen Einfluss zu nehmen.
Tun das nicht auch andere Zeitungen?
Die »Bild«-Zeitung drückt ihren Standpunkt durch, ohne auch nur anzudeuten, dass es andere Meinungen und andere Faktenlagen geben könnte. In der Debatte um die Griechenland-Krise hat »Bild« eine extrem nationalistische, ausländerfeindliche Kampagne gefahren. Dazu kommen die Hetze gegen sozial Schwache und Migranten sowie Sexismus.
nd: Warum richtet sich Ihre Aktion explizit gegen die »Bild«-Zeitung?
»Bild« ist nicht das einzige problematische Presseerzeugnis in diesem Land, aber das größte. Das Blatt wirbt trotz Auflagenrückgangs damit, dass es täglich zwölf Millionen Leser erreicht. Das ist nicht zu vergleichen mit anderen Presseerzeugnissen. Ihre Macht nutzt die Zeitung gnadenlos aus.
Manche behaupten, die Zeitung nicht ernst zu nehmen und als eine Art postmoderne Satire-Zeitung zu lesen.
Das ist eine Argumentation, der man häufig begegnet. Es gibt Leute, die die »Bild«-Zeitung versteckt kaufen und sich damit nicht blicken lassen wollen. Wenn man sie dann darauf anspricht, reagieren sie so. Das sind Ausflüchte. Ich befürchte, dass selbst bei intelligenten Menschen etwas hängen bleibt, wenn sie täglich diese »Zeitung« konsumieren. Wer keine Kritik an diesem Journalismus hat, ist nicht davor gefeit, ein Opfer seiner Manipulationsversuche zu werden.
Meinen Sie, das Ziel von »Bild«, am 23. Juni jeden deutschen Haushalt zu beliefern, wird durch Ihre Kampagne gefährdet?
Der Springer-Konzern kann schon jetzt nicht mehr behaupten, dass jeder deutsche Haushalt erreicht wird, so viel steht fest. Der maximale Erfolg wäre, wenn diese Sonderausgabe gar nicht erst produziert wird. Aus Angst davor, dass die imageträchtige Aktion scheitert und der logistische Aufwand, der infolge unserer Gegenaktion entsteht, zu groß ist.
Wie kann man sich wehren, wenn man der Springer-AG die Zustellung der Gratis-Ausgabe untersagt hat und am 23. 6. trotzdem eine Zeitung im Briefkasten vorfindet?
»Bild« begeht damit einen Rechtsbruch. Man kann dann kostenpflichtig eine einstweilige Verfügung erwirken. Es gab auch Anregungen, ob wir nicht ein Musterklageschreiben entwerfen können, mit dem man massenhaft rechtlich gegen eine Zustellung vorgehen kann.
Besteht nicht die Gefahr, dass durch Ihre Gegenaktion ein Werbeeffekt für die Zeitung entsteht?
Die Gefahr sehen wir nicht, denn: Was könnte ein größerer Werbeeffekt für »Bild« sein, als an einem Tag jeden Menschen in Deutschland zu erreichen?
Interview: Thomas Blum
** Aus: neues deutschland, Montag, 23. April 2012
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