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"Kreative Wendung"

Sind die "Afghanistan-Papiere" ein Roman? Das Verteidigungsministerium beruft sich bei der Klage gegen die Veröffentlichung der WAZ auf das Urheberrecht. Ein Gespräch mit Ulrich Janßen *


Ulrich Janßen ist Bundesvorsitzender der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in der Gewerkschaft ver.di.


Das Bundesverteidigungsministerium verklagt die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) wegen der Veröffentlichung der »Afghanistan-Papiere«, mit denen das Parlament über den Bundeswehreinsatz unterrichtet wurde. Im November 2012 hatte die WAZ die Dokumente ins Internet gestellt. Als Begründung für die Klage vor dem Landgericht Köln muß das Urheberrecht herhalten. Ist es aus Ihrer Sicht hier anwendbar?

Ich glaube, daß hier ein Mißbrauch des Urheberrechts vorliegt. Jedenfalls nehme ich nicht an, daß das Ministerium davon ausgeht, daß es sich beim Inhalt der Afghanistan-Papiere um geschützte Werke, sozusagen um fiktionale Literatur handelt. Dann käme natürlich ein urheberrechtlicher Schutz in Frage. Aber ich denke, man muß davon ausgehen, daß es sich nicht um Romane handelt, um erfundenen Stoff, den die WAZ veröffentlicht hat. Insoweit ist es grotesk, daß das Verteidigungsministerium sich auf das Urheberrecht beruft, wenn es die Publikation eines, sagen wir mal, Gebrauchstextes angreift.

Worum geht es dann Ihrer Meinung nach?

Ich glaube, das Ministerium hat ein Interesse daran, die Veröffentlichung zu verhindern. Aber es ist nun mal die Aufgabe der Presse, Dokumente unabhängig davon zu veröffentlichen, ob es gerade im Interesse einer Behörde, einer Institution, eines Ministeriums ist. Wenn man den Winkelzug mit dem Urheberrecht ernst nimmt, muß man das Mißbrauch nennen. Mich persönlich verleitet es eher ein bißchen zum Schmunzeln. So eine kreative Wendung hätte man den Leuten dort gar nicht zugetraut.

Es kann auch als Einschüchterung der Presse von staatlicher Seite gesehen werden. Häuft sich so etwas in letzter Zeit?

Einschüchterung, den Versuch oder ein gewisses Einschüchterungspotential sehe ich in dem drastischen Vorgehen, daß die WAZ verklagt wird, daß man mit juristischen Mitteln Medien bekämpft, die tun, was ihre Aufgabe ist, nämlich Transparenz herstellen über die Vorgänge in Behörden und Ministerien. Und das ist kein Einzelfall. In der jüngeren Vergangenheit wurde häufiger mit Hilfe der Justiz die Pressefreiheit angegriffen. Ich finde schon, daß eine bedrohliche Entwicklung erkennbar ist.

Welche Beispiele fallen Ihnen noch dazu ein?

Vor nicht allzu langer Zeit wurde die Augsburger Allgemeine mit Hilfe eines richterlichen Durchsuchungsbeschlusses gezwungen, die Kontaktdaten eines Menschen herauszugeben, der in ihrem Internetforum Kritik an einem CSU-Politiker geübt hatte – der wiederum machte geltend, es handle sich um Beleidigung. Im Zusammenhang mit staatlichen Angriffen auf die Pressefreiheit muß auch an die Durchsuchungsaktion bei mehreren freien Fotografen in diesem Jahr erinnert werden. Um sechs Uhr morgens wurden diese Kolleginnen und Kollegen in ihren Wohnungen aufgeschreckt, um Fotodateien von einer Demonstration gegen die Finanzpolitik in Frankfurt am Main zu beschlagnahmen. Diese Beispiele zeigen nach meiner Einschätzung, daß Wachsamkeit geboten ist, wenn es um den Schutz des Grundrechts Pressefreiheit geht.

Die Afghanistan-Papiere wurden zuvor als geheim klassifiziert, obwohl durch die Veröffentlichung niemanden Gefahr drohte. Es sieht aus, als sollten unliebsame Informationen verheimlicht werden. Die WAZ sagt, sie habe zuerst erfolglos versucht, mit Hilfe des Informationsfreiheitsgesetzes an die Papiere zu kommen. Welchen Wert hat das Gesetz überhaupt?

Wenn es um Auskunftsansprüche von Journalisten geht, spielt die Bundesregierung, nicht nur Verteidigungsministerium, eine ungute Rolle. Das Innenministerium zum Beispiel macht geltend, daß die Landespressegesetze, die den Auskunftsanspruch von Journalisten gegen Behörden regeln, nicht anwendbar seien, wenn es um Auskünfte von Bundesbehörden geht. Das ist auch so ein juristischer Winkelzug, abgesegnet vom Bundesverwaltungsgericht.

Wir sind der Meinung, wenn so argumentiert wird, dann brauchen wir eben ein entsprechendes Bundesgesetz. Behörden und Ministerien gehören zu dem Teil des Machtapparats in einem Gemeinwesen, den wir als Pressevertreter zu kontrollieren haben, dessen Handeln wir unter die Lupe nehmen müssen. Wir müssen die Menschen in die Lage versetzen, zu durchschauen, welche Kräfte da am Werk sind. Damit wird ja erst demokratische Meinungs- und Willensbildung ermöglicht.

Gibt es Kollegen, die versucht haben, solche Rechte einzuklagen – auch mit Unterstützung der dju?

Die WAZ-Mediengruppe hat zum Beispiel erfolgreich gegen das Bundesinnenministerium auf Herausgabe der Unterlagen für die Bewertung der Athletenerfolge bei den Olympischen Spielen in London geklagt. Da wollte sowohl das Innenministerium als auch der Olympische Sportbund verhindern, daß öffentlich wird, nach welchen Kriterien die Fördergelder vergeben werden.

Die WAZ argumentiert, daß die einordnende Verknappung von Informationen gar nicht mehr zeitgemäß sei, weil es vielmehr darum ginge, Originaldokumente zu veröffentlichen – auch weil man Online so viel Platz hat. Das sei jetzt moderner Journalismus. Wie ist Ihre Meinung dazu?

Ergänzend kann auch die Veröffentlichung von Dokumenten für Leute, die sich detaillierter damit beschäftigen wollen, hilfreich sein. Ergänzend wohlgemerkt. Das ist kein Ersatz für Journalismus, der die Aufgabe hat, daß Wichtige vom Unwichtigen oder weniger Wichtigen zu trennen, zu ordnen, zu sortieren, einen Überblick zu verschaffen über die Datenflut, die täglich aus dem Netz schwappt. Wenn es da niemanden gibt, der das nach professionellen Kriterien aufbereitet, dann glaube ich, würde diese Datenmenge nichts nützen.

Interview: Claudia Wrobel

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 25. Juli 2013


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