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Massenvernichtungswaffen: Menetekel für die Menschheit

Genfer Abrüstungskonferenz steht unter Druck, Vorzeigbares zu liefern

Von Wolfgang Kötter*

Die Genfer Abrüstungskonferenz beginnt in dieser Woche ihre jährliche Sitzungsperiode. Nach Jahren der Agonie, in denen die 65 Mitgliedstaaten nicht einmal ein Arbeitsprogramm zustande brachten, wächst nun auch der Druck von außen, endlich wieder mit der Sacharbeit zu beginnen. Harsche Kritik kommt aus dem benachbarten Davos, wo sich zur gleichen Zeit die Weltelite aus Wirtschaft und Politik trifft. „Es gab keine Fortschritte bei der Beseitigung von Massenvernichtungswaffen in 2005“ beklagt der aktuelle Jahresbericht die Untätigkeit der Staatengemeinschaft.

Gerade bei den atomaren, biologischen und chemischen Waffen vollziehen sich aber besorgniserregende Entwicklungen. An Antworten für die Lösung dieser drängenden Probleme arbeitet gegenwärtig eine hochkarätige internationale Denkfabrik. Mit der Leitung betraute die schwedische Regierung den sowohl wegen seiner Fachkompetenz als auch durch seine moralische Integrität weltweit bekannten Abrüstungsspezialisten Hans Blix. Nahezu sein gesamtes Berufsleben hat der 1928 in Uppsala geborene promovierte Völkerrechtler diesem Thema gewidmet. Er vertrat sein Land auf internationalen Konferenzen, war Außenminister und später langjähriger Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA). Danach arbeitete er als Chef der UNO-Kontrollkommission für Irak UNMOVIC und trug mit seinem couragierten Auftreten wesentlich dazu bei, dass der UNO-Sicherheitsrat den USA und Großbritannien seine Zustimmung zum Irakkrieg und damit die Instrumentalisierung für deren Großmachtpolitik verweigerte. Ungeachtet persönlicher Herabsetzung, Verleumdung und politischer Diffamierung durch die Kriegsanhänger in Washington ist Blix der Friedenssuche bis heute treu geblieben.

Seine Kommission sucht ausdrücklich nach gangbaren Wegen für die Eindämmung und Abrüstung von ABC-Massenvernichtungmitteln. Diese Waffen schrieben bereits mehrfach das Menetekel der Selbstvernichtung an den Horizont der Menschheitsgeschichte. Doch jedes Mal wurde die Warnung ignoriert. Die sinnlosen Atombombenabwürfe über Hiroshima und Nagasaki, die am Ende des Zweiten Weltkrieges Hunderttausende Menschenlebenleben kosteten, lösten kein sofortiges Verbot dieser verheerenden Tötungsmittel, sondern ein schrankenloses Wettrüsten aus. Die während des Ost-West-Konflikts angehäufte Vernichtungskraft zigtausender Nuklearsprengköpfe reichte aus, um in einer „Nuklearen Nacht“ alles Leben auf der Erde auszulöschen. Wie nicht nur die Kubakrise von 1962 offenbarte, konnte die nukleare Katastrophe letztlich nur durch Zufall und viel Glück vermieden wurde. Doch als sich nach dem Kalten Krieg für kurze Zeit ein Fenster der Möglichkeit zur nuklearen Abrüstung öffnete, blieb auch diese Chance ungenutzt.

Die heutige Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen ist größer denn je. Die Gefahren wurden vielschichtiger, unübersichtlicher und geraten zunehmend außer Kontrolle. Bestehende Verträge werden aufgekündigt, gebrochen oder unterlaufen. Kernwaffen gewinnen erneut an Bedeutung in den Kriegszenarien der Großmächte, die ihre Arsenale mit maßgeschneiderten Sprengköpfen aufstocken. Damit steigt die Anziehungskraft von Nuklearwaffen auch für andere Staaten. Schon bald könnte deshalb die Zahl der Atommächte auf 20 bis 30 angewachsen sein. Die enormen Fortschritte der Molekular- und Zellgenetik haben die bedrohlichen Potentiale biologischer Waffen enorm erweitert. Chemiewaffen werden zwar abgerüstet, aber Zehntausende verrosteter Giftgasbehälter ticken zu Land und zu Wasser als Zeitbomben flächendeckender Umweltverseuchungen. Eine bisher völlig unberechenbare Gefahr geht vom erklärten Streben des internationalen Terrorismus nach Massenvernichtungswaffen aus. Die verheerenden Konsequenzen nuklearer bzw. radiologischer Attacken oder der willkürlichen Auslösung einer weltweiten Pandemie mit Millionen Krankheitsopfern lassen sich nur erahnen.

Aus dieser dramatischen Situation könnte die Arbeit der Blix-Kommission einen Ausweg zeigen. Auf Grund ihrer jahrzehntelangen Erfahrungen in Sachen internationaler Sicherheit erkennen die hier versammelten Frauen und Männer die von ABC-Waffen ausgehenden Risiken in ihrer ganzen Tragweite. Auf der Grundlage von bisher vierzig individuellen Studien haben sie auf zahlreichen Konferenzen, Seminaren und Diskussionstreffen wichtige Einzelaspekte untersucht. Zu den bearbeiteten Themen gehören ein Produktionsstopp von militärischem Spaltmaterial, Maßnahmen zur Stabilisierung des nuklearen Nichtverbreitungsregimes und insbesondere die Einbeziehung der noch abseits stehenden Staaten Indien, Pakistan und Israel. Als eine bisher vom Völkerrecht kaum erfasste Aufgabe fordern die Spezialisten verbindliche Regelungen für Raketen und andere Trägermittel sowie für nichtstrategische Kernwaffen. Die Wissenschaftler zeigen ebenfalls Wege auf zur Stärkung des Biowaffenverbots, der Chemiewaffenkonvention und für die Errichtung zuverlässiger internationaler Kontrollinstitutionen. Ausführlich wenden sie sich der Schaffung von massenvernichtungswaffenfreien Zonen und der Abwendung terroristischer Versuche zur Erlangung solcher Waffen zu. Insgesamt könnten die Handlungsempfehlungen der Kommission zu einem umfassenden Konzept der internationalen Staatengemeinschaft führen, um den neuen Herausforderungen erfolgreich zu begegnen. Noch in diesem Frühjahr soll der Abschlussbericht der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Dann wird sich zeigen, ob die Regierungen den erforderlichen politischen Willen zum Handeln aufbringen werden.

Mitglieder der Blix-Kommission

Name, Land Funktion, Tätigkeitsbereich
Hans Blix, Schweden Kommissionsvorsitzender, ehemaliger Chef von UNMOVIC und IAEA
Dewi Fortuna Anwar, Indonesien Forschungsdirektorin am Institut für Sozial- und Humanwissenschaften in Jakata
Alexei G. Arbatov, Russland Direktor des Zentrums für Internationale Sicherheit am Institut für Weltwirtschaft und Internationale Beziehungen (IMEMO)
Marcos de Azambuja, Brasilien Ehemaliger UNO- und Abrüstungsbotschafter
Alyson Bailes, Großbritannien Direktorin des Stockholmer Friedensforschungsinstituts (SIPRI)
Thérèse Delpech, Frankreich Direktorin für Strategische Angelegenheiten der Atomenergiekommission Frankreichs
Jayantha Dhanapala, Sri Lanka ehemaliger UNO-Untergeneralsekretär für Abrüstung
Gareth Evans, Australien Präsident der in Brüssel ansässigen Nichtregierungsorganisation „Internationale Krisengruppe“
Patricia Lewis, Irland Direktorin des UNO-Abrüstungsinstituts (UNIDIR)
Masashi Nishihara, Japan Präsident der Nationalen Verteidigungsakademie
William J. Perry, USA Professor an der Stanford Universität, ehemaliger Verteidigungsminister
Vasantha Raghavan, Indien Direktor der „Politikgruppe“ in Neu Delhi und Präsident des Zentrums für Sicherheitsanalysen, Chennai
Cheikh Sylla, Senegal Botschafter in Burkina Faso und Kommissionsmitglied von UNMOVIC
Prinz El Hassan bin Talal, Jordanien Präsident des „Club of Rome“
Zhenqiang Pan, China Professor für Internationale Beziehungen am Institut für Strategische Studien der Nationalen Verteidigungsuniversität in Peking


* Eine gekürzte Fassung dieses Beitrags erschien am 26. Januar 2006 in der Tageszeitung "Neues Deutschlan".


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