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"Ottawa" mit Leben erfüllt

Trotz Fortschritten bleibt bei der Beseitigung von Landminen noch viel zu tun

Von Wolfgang Kötter *

Im malerischen Städtchen Šibenik an der kroatischen Adriaküste geht es in diesen Tagen (26.-28.4.) um einen gefährlichen, ja lebensbedrohlichen Job – die Räumung von Territorien, die während vergangener Kriege, Kämpfe und Konflikte mit tödlichen Sprengkörpern verseucht wurden. „Humanitäre Minenräumung“ heißt das Symposium, auf dem Experten über ihre Erfahrungen, neuen Erkenntnisse und kommenden Aufgaben bei der Umsetzung der Ottawa-Konvention über das Verbot von Anti-Personenminen beraten. Sie haben sich zum Ziel gesetzt, den Bewohnern wieder eine gefahrlose Nutzung ehemals verminter Gebiete zu ermöglichen. Dazu gehören die Bereitstellung landwirtschaftlicher Flächen für Ackerbau und Viehzucht, die Sicherung von Gebäuden und Wohngebieten und die Wiederherstellung ungefährdeter Infrastrukturen wie Straßen, Schienen und Wasserwege. Kroatien zählt wie auch Bosnien und Herzegowina weltweit zu den Ländern, in deren Boden die meisten Minen lauern. Schätzungen zufolge waren nach Ende der Balkankriege etwa zwei Millionen Minen in der Region des früheren Jugoslawien verstreut.

Die Saat des Krieges zu ernten, ist für Minenräumer ein hochgefährliches Unternehmen, denn mit ihren Minensuchnadeln und Metalldetektoren arbeiten sie in unmittelbarer Nähe zu den Explosionskörpern. Bevor sie beginnen muss oft sogar erst geklärt werden, wo genau sich die Minen befinden, denn nur selten gibt es Karten oder präzise Lageskizzen. Dann ist zu entscheiden, ob die Minenfelder allein von Menschen oder mit Hilfe von Maschinen geräumt werden. Mechanische Minenräumgeräte bestehen gewöhnlich aus einem gepanzerten Bulldozer, bei dem das Planierschild gegen eine Frästrommel oder eine rotierende Welle mit Schleuderketten ausgetauscht wurde. Aber solche Maschinen oder selbst Minenräumpanzer können nicht auf jedem Gelände arbeiten. Zuweilen kommen auch Hunde zum Einsatz. Sie wittern den Sprengstoff und können so abgerichtet werden, dass sie Sprengstoff anzeigen ohne sich selbst oder den Hundeführer zu gefährden.

Fortschritte und Herausforderungen

Seit der Vertrag am 1. März 1999 in Kraft trat, konnten beindruckende Erfolge erreicht werden. 156 Staaten sind ihm bisher beigetreten, die Zahl der Minenproduzenten ist deutlich zurückgegangen, der Minenhandel praktisch eingestellt und auch Nichtmitgliedstaaten wie China, Indien, Pakistan, Russland und die USA scheuen davor zurück, diese heimtückischen und international geächteten Todesbringer einzusetzen. 86 Staaten haben ihre Lagerbestände eliminiert und insgesamt mehr als 45 Millionen gelagerter Anti-Personenminen vernichtet.

Wie der jährlich erscheinende „Landmine Monitor“ in seiner jüngsten Ausgabe konstatiert, wurden gerade im vergangenen Jahr rekordverdächtige Fortschritte bei der Umsetzung des Ottawa-Übereinkommens erzielt. Die Herstellung und der Einsatz der Waffen sowie die Anzahl von Opfern erreichten den niedrigsten Stand seit Aufzeichnung dieser Daten. Nur drei Staaten - Indien, Myanmar, und Pakistan - produzieren noch Minen. Niemals zuvor wurde so viel kontaminierte Fläche in einem Jahr geräumt. Eine Fläche, die fünf Mal so groß ist wie Paris, konnte von Landminen und explosiven Kriegshinterlassenschaften befreit werden. Der größte Teil der Minenräumung fand in Afghanistan, Kambodscha, Kroatien, Irak und Sri Lanka statt. Albanien, China, Griechenland, Nicaragua, Ruanda, Tunesien und Sambia konnten den Abschluss ihrer Räumungsaktivitäten bekannt geben. Die internationale Finanzierung blieb trotz des Konjunkturabschwungs stabil. Insgesamt 449 Millionen Dollar wurden weltweit im vergangenen Jahr zur Verfügung gestellt. Trotz der erreichten Erfolge bleibt aber noch viel zur vollständigen Umsetzung des Abkommens zu tun. Gerade bei der fristgerechten Entminung gibt es Verzug. So haben 22 Vertragsstaaten Fristverlängerungen bei der Minenräumung bekommen oder beantragt. Zu viele von ihnen machen trotzdem nur schleppende Fortschritte. Venezuela beispielsweise hat nach über 10-jähriger Mitgliedschaft mit der Minenräumung noch nicht einmal begonnen. Noch immer sind Menschen in über 70 Ländern von rund 100 Millionen dieser heimtückischen Waffen bedroht. Allein im vergangenen Jahr kamen nach offiziellen Schätzungen etwa 4 000 Menschen durch Minenexplosionen zu Schaden, wahrscheinlich aber ist die Dunkelziffer weitaus höher.

Ein großer Erfolg der Zivilgesellschaft

Am Zustandekommen und der Umsetzung des Minenverbots haben Nichtregierungsorganisationen einen hervorragenden Anteil. Die Internationale Kampagne für das Verbot von Landminen erhielt für ihr Engagement 1997 den Friedensnobelpreis. In Deutschland hat das Aktionsbündnis Landmine.de - ein Zusammenschluss von 17 entwicklungspolitischen Organisationen - über viele Jahre hinweg in der Kampagne mitgewirkt und den erfolgreichen Verbotsprozess als treibende und kritische Kraft vorangebracht. Nachdem wesentliche Ziele erreicht wurden, hat das Aktionsbündnis Landmine.de sich Ende 2010 aufgelöst.

Die Friedensaktivisten können stolz sein. Sie blicken auf die 20-jährige Geschichte einer Kampagne zurück, die zu den erfolgreichsten Bürgerinitiativen überhaupt gehört: Kaum ein anderes Waffensystem wurde so gebrandmarkt wie Minen und minenähnlichen Waffen. Die Auflösung, so versichern die Minengegner, bedeutet nicht das Ende ihres Engagements.

Auch zukünftig werden einige Mitgliedsorganisationen die politische Arbeit fortsetzen und praktische Projekte zur Minenräumung und Opferrehabilitation unterstützen. Sie werden weiter darüber wachen, dass das Abkommen wie auch das Verbot von Streumunition eingehalten werden, wichtige Vertragsstaaten dazukommen und alle Regierungen ihren Verpflichtungen bei der Unterstützung der Opfer und der Minenbeseitigung durch Bereitstellung der notwendigen finanziellen Mittel nachkommen. Und sie wollen insbesondere die deutsche Politik in diesem Sinne weiter kritisch begleiten.

Die Ottawa-Konvention

Der im Dezember 1997 in Kanadas Hauptstadt unterzeichnete Vertrag untersagt den Einsatz, die Entwicklung, Herstellung, Lagerung und Weitergabe von Anti-Personenminen. Verboten sind damit alle Sprengsätze, die durch Anwesenheit, Nähe, oder Kontakt zu Menschen explodieren. Verlegte Minen müssen nach zehn Jahren vernichtet sein, gelagerte Minen innerhalb von vier. Darüber hinaus werden die Mitgliedstaaten verpflichtet, auch bei der Minenräumung und der Opferhilfe zu kooperieren. Neben regelmäßigen Statusberichten und dem Informationsaustausch kann der UNO-Generalsekretär Inspektorenteams zur Tatsachenermittlung vor Ort schicken. Erfasst werden allerdings lediglich Minen, die ausdrücklich gegen Personen gerichtet sind, nicht aber Anti-Panzer- bzw. Anti-Fahrzeugminen. In der Realität unterscheiden derartige Minen jedoch nicht zwischen Bussen, Traktoren oder Panzern. Darüber hinaus lassen die Bestimmungen sowohl der Rüstungsindustrie als auch der Politik viel Interpretationsraum für Schlupflöcher und Umgehungen.

39 Staaten, die der Ottawa-Konvention nicht angehören:
Ägypten, Armenien, Aserbaidschan, Bahrain, Burma, China, Finnland, Georgien, Indien, Iran, Israel, Kasachstan, KDVR, Republik Korea, Kirgisistan, Kuba, Laos, Libanon, Libyen, Marokko, Marshallinseln, Mikronesien, Mongolei, Nepal, Oman, Pakistan, Polen, Russland, Saudi Arabien, Singapur, Somalia, Sri Lanka, Syrien, Tonga, Tuvalu, USA, Usbekistan, Vereinigte Arabische Emirate, Vietnam.



* Dieser Beitrag erschien - gekürzt - unter demselben Titel im "Neuen Deutschland" vom 26. April 2011


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