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Zwiespältige Zwischenbilanz des Ottawa-Abkommens

152 Staaten haben die "Internationale Konvention zum Verbot von Antipersonen-Minen" unterzeichnet - Aber vieles ist noch zu tun

Am 29. November 2004 beginnt in Nairobi (Kenia) die erste Überprüfungskonferenz der Ottawa-Konvention über das Landminen-Verbot.
Aus diesem Anlass dokumentieren wir drei Artikel:
  • "Langer Weg zu einer Welt ohne Minen", von Wolfgang Kötter (ND)
  • "Soldaten, die niemals schlafen", von Katja Maurer (FR)
  • "Ächten allein reicht nicht", von Thomas Gebauer (taz)


Langer Weg zu einer Welt ohne Minen

Von Dr. Wolfgang Kötter

Heute beginnt in Kenias Hauptstadt Nairobi die erste Konferenz zur Überprüfung der Ottawa-Konvention über das Verbot von Anti-Personenminen. Im »Gigiri Convention Centre« werden die Vertragsstaaten eine Woche lang über Maßnahmen zur weiteren Umsetzung des Abkommens beraten.

Die Nairobi-Konferenz ist Gelegenheit für eine Halbzeitbilanz, denn das 1999 in Kraft getretene Abkommen verlangt, dass innerhalb von zehn Jahren alle Minen geräumt und vernichtet sind. Weitere Überprüfungskonferenzen werden künftig im Fünfjahresrhythmus folgen. Pünktlich vor Konferenzbeginn erschien der »Landmine Monitor Report 2004«. Die Internationale Kampagne für das Verbot von Landminen (ICLM) gibt darin den Vertragsmitgliedern und der Weltöffentlichkeit einen eindrucksvollen Überblick über Erfolge und Schwierigkeiten bei der weltweiten Befreiung von diesen »lautlosen Killern«, die immer wieder Opfer vor allem auch unter der Zivilbevölkerung fordern.

Trotz unübersehbarer Fortschritte bei der Beseitigung bleiben Minen noch für lange Zeit eine globale Herausforderung, das ist das Fazit. Georgien, Myanmar, Nepal und Russland wenden laut Bericht auch gegenwärtig noch Anti-Personenminen an. Zwar wurden bisher mehr als 62 Millionen Minen vernichtet, über 1100 Quadratkilometer geräumt und der legale Minenhandel ist komplett zum Erliegen gekommen. Schätzungen zufolge liegen aber weiterhin mehr als 120 Millionen Landminen in 83 Ländern im Boden. »Wir sind noch weit von einer Welt ohne Anti-Personenminen entfernt«, mahnt Jakob Kellenberger, Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz in Genf.

Millionen von Menschen leiden immer noch an lebensbedrohlichen Bedingungen – umgeben von Minen, die schon auf dem Weg zur Schule oder zur Arbeit töten können. Die Internationale Kampagne gegen Landminen registrierte allein im vergangenen Jahr etwa 8000 Menschen, die durch Minen verletzt, verstümmelt oder getötet wurden, doch muss mit einer mindestens ebenso großen Dunkelziffer nicht gemeldeter Unfälle gerechnet werden. Kinder sind besonders gefährdet, jedes dritte Opfer der mörderischen Minengewalt ist noch nicht erwachsen.



Ottawa-Konvention
Die Ottawa-Konvention untersagt die Entwicklung, Produktion, Anwendung, Weitergabe und den Besitz von Anti-Personenminen. Damit sind alle Sprengsätze, die durch Anwesenheit, Nähe oder Kontakt zu Menschen explodieren, verboten. Verlegte Minen müssen nach zehn Jahren vernichtet sein, eingelagerte Minen innerhalb von vier.



Viele Minen ähneln äußerlich einem Jo-Jo oder einem Brummkreisel und werden oft für harmloses Spielzeug gehalten. »In verminten Regionen muss man bei diesen Kindern Spieltrieb und Neugierde unterdrücken«, beklagt Thomas Gebauer, Geschäftsführer von »medico international«. Um mehr Mittel aufzubringen, initiierte die humanitäre Hilfsorganisation eine Kunst- und Spendenaktion unter dem Titel: »600 x Bewegung schaffen – Räumt die Mine«. Auf der Bodeninstallation sind Fotos von Landminen abgebildet. Gegen eine Spende können Unterstützer der Aktion sich an der »virtuellen Räumung« der Fläche beteiligen und für 500 Euro eines dieser Segmente erwerben. Das eingenommene Geld soll für die Minenbeseitigung und Opferrehabilitation in Ländern wie Angola, Afghanistan und Kambodscha genutzt werden. Der Ottawa-Konvention gehören gegenwärtig 143 Staaten an, immer noch fehlen aber 42 Staaten, darunter führende Minenproduzenten und -käufer. Washington wird sein Versprechen, dem Abkommen bis 2006 beizutreten, nicht erfüllen. Zwar soll ab dem Jahre 2010 auf eine Reihe einfacher Minentypen verzichtet werden, aber 15 Millionen so genannter »intelligenter Minen«, die über Selbstzerstörungs- bzw. Neutralisierungsmechanismen verfügen, wollen die USA unbefristet behalten. Stattdessen schlug Botschafterin Jackie Sanders Verhandlungen über ein internationales Handelsverbot für technisch veraltete Minen vor.

Doch die technokratische Unterscheidung zwischen erlaubten, angeblich »smarten« humanen Minen einerseits und »dummen« inhumanen andererseits, die zu verbieten seien, halten die Minengegner ohnehin für pure Demagogie, da selbst Fehlerquoten von bis zu zehn Prozent inakzeptable Opferzahlen bedeuten würden. Die Entscheidung der Bush-Regierung traf auch im eigenen Land auf Widerspruch. Dies sei ein »Schritt zurück« beim Erreichen eines Totalverbots dieser gefährlichen Waffen, kritisierte Bischof John Ricard, Vorsitzender des Komitees für Internationale Politik der USA-Bischofskonferenz.

Trotz der bisher erreichten Erfolge bleibt die weltweite Beseitigung der globalen Minenplage eine gigantische Aufgabe. Konferenzpräsident Wolfgang Petritsch aus Österreich warnt deshalb vor Selbstzufriedenheit: »Die Herausforderung für Nairobi besteht darin, den Menschen klar zu machen, dass die Aufgabe noch nicht gelöst ist, aber gelöst werden muss.« Auch die Nichtregierungsorganisationen mahnen konkrete Konferenzbeschlüsse an und haben bereits zahlreiche Vorschläge für die Abschlussdeklaration und den Aktionsplan unterbreitet.

Zahlen und Fakten
  • Bis heute sind 143 Länder dem Ottawa-Abkommen beigetreten, darunter auch Deutschland. Wichtige Herstellerländer von Landminen wie China, Russland, Indien und die USA haben sich der weltweiten Ächtung dieser heimtückischen Waffe bisher nicht angeschlossen.
  • Im Jahr 2003 wurden laut jüngstem Landminen-Report 8065 Menschen durch Minen getötet, im Jahr zuvor waren es 8333; fast ein Drittel davon Kinder und Jugendliche. Allerdings gibt es eine hohe Zahl nicht gemeldeter Opfer. Die Gesamtzahl der Minenunfälle wird auf jährlich insgesamt 15000 bis 18000 geschätzt. In mehr als 120 Ländern leben Schätzungen zufolge insgesamt bis zu 400000 Minenopfer.
  • Landminen, Blindgänger und nicht explodierte Streubomben sind für Kinder eine besondere Bedrohung. Weil sie kleiner sind als Erwachsene, haben Explosionen für sie öfter tödliche Folgen. 85 Prozent der betroffenen Kinder sterben auf dem Weg ins Krankenhaus.
  • Seit Inkrafttreten des »Ottawa-Vertrags« sind deutlich weniger Minen gelegt wurden. Die Gelder für ihre Zerstörung sind in den vergangenen fünf Jahren um 80 Prozent gestiegen.
  • Ein Schwachpunkt von Ottawa ist bis heute die Tatsache, dass »Antifahrzeugminen« nicht erfasst werden. Minen, die sich per Definition nicht primär gegen Personen, sondern gegen Fahrzeuge wie Panzer richten, sind weiter erlaubt. Dabei kann auch ein Bus problemlos eine Panzermine auslösen.
  • Ein weiteres Problem ist, dass neue, moderne Waffen in den Kriegen der Gegenwart eingesetzt werden, die eine ähnlich gefährliche Langzeitwirkung entfalten wie Minen. So haben die im Vertrag nicht erfassten Streubomben nachweislich eine hohe Blindgängerquote und verwandeln große Flächen in wenigen Sekunden in »Minenfelder«.
Aus: Neues Deutschland, 29. November 2004

Soldaten, die niemals schlafen

Von Katja Maurer

In Kabul gibt es ein Minenmuseum der afghanischen Minenräumorganisation Omar. Das Museum ist eine Attraktion für die Bewohner der Hauptstadt. Warum sich die Kabuler diese scheußliche Erinnerung an mehr als 20 Jahre Krieg gerne anschauen, erklärt sich bei näherem Hinsehen. Solange diese Waffen, die zeitweise ganze Stadtteile im Zentrum Kabuls zu No-Go-Areas gemacht haben, in Vitrinen lagern, ist die Gefahr gebannt. Für den Betrachter liegt darin auch die Hoffnung, dass Minen und Blindgänger nicht mehr den Alltag der Menschen prägen mögen, sondern nur noch Gegenstand historischer Betrachtung sind.

Doch das ist Zukunftsmusik. Nach wie vor gefährden sieben bis zehn Millionen Minen tagtäglich die physische Sicherheit der Menschen in Afghanistan und behindern insbesondere im ländlichen Raum die ökonomische Entwicklung maßgeblich. Millionen von afghanischen Flüchtlingen, die freiwillig oder notgedrungen zurückkehren, besuchen als erstes Unterricht in Minenaufklärung und lernen, woran man Minen erkennt, wie man Minenunfälle vermeidet und wie man sich im Falle eines Unfalls verhält. Sie alle kehren zurück in vermintes Gelände.

Wenn sich die Vertreter von 152 Staaten, die die "Internationale Konvention zum Verbot von Antipersonen-Minen" unterzeichnet haben, jetzt in Nairobi treffen, müssen sie angesichts der Situation in Afghanistan und in vielen anderen minenverseuchten Regionen der Welt eine zwiespältige Zwischenbilanz des Ottawa-Abkommens ziehen. Die positive Nachricht lautet: Es ist gelungen, eine der mörderischsten Waffen des vergangenen Jahrhunderts weltweit zu ächten. Antipersonen-Minen sind ein Tabu. Wer sie einsetzt oder ihren Einsatz militärisch für legitim hält, der scheut das Licht der Öffentlichkeit. Selbst Länder wie China oder Indien, deren Armeen noch über Minen verfügen und bislang dem Abkommen nicht beigetreten sind, wollen die Waffen loswerden. Fünf Jahre nach Unterzeichnung des Ottawa-Abkommens ist der Handel mit Antipersonen-Minen weitgehend zum Erliegen gekommen. Erstmals werden mehr Minen vernichtet und geräumt als neue verlegt. In den vergangenen zehn Jahren wurden weltweit zwei Milliarden Dollar für humanitäres Minenräumen zur Verfügung gestellt. Dabei zählt Deutschland zu den wichtigsten Geberländern. In mancher Hinsicht ist der Ottawa-Vertrag ein "Modell für eine neue aktive Friedenspolitik", wie das Osloer Friedensnobelpreiskomitee 1997 erklärte. Besonders hervorzuheben ist der Artikel 6 des Vertrages, der alle Unterzeichner zu Hilfen bei der Beseitigung der Minen und der physischen, sozialen und wirtschaftlichen Reintegration der Opfer auffordert. Hier geht globale Verantwortung über den viel zitierten guten Willen hinaus und hat konkrete Folgen für die Betroffenen. Dieser Erfolg ist zuallererst das Verdienst einer globalen Bürgerbewegung, der "Internationalen Kampagne zum Verbot von Landminen", die wesentlich zum Zustandekommen des Ottawa-Vertrages beigetragen hat.

Ist damit das Thema Mine erledigt? Leider nicht. Nach wie vor werden jährlich 20 000 Menschen durch Minen verletzt oder getötet. Die Überlebenden von Minenunfällen, ein Drittel davon sind Kinder, werden noch jahrzehntelang auf adäquate Hilfen angewiesen sein. Öffentlichen Mittel zur Förderung von Programmen zur Rehabilitation und Reintegration von Minenopfern gehen aber kontinuierlich zurück. Doch gerade solche Programme sind ein wesentlicher Beitrag zur Rückgewinnung des Friedens in kriegszerstörten Ländern.

Auch in Nairobi wird wieder das Ziel einer minenfreien Welt verkündet werden. Dazu aber würde eben das Verbot aller Minen gehören. Auch das der Antifahrzeug-Minen zum Beispiel. Sie verfügen über eine verheerende tödliche Wirkung und sind bislang nicht im Ottawa-Vertrag berücksichtigt. Ganz nebenbei: Auch die Bundeswehr führt nach wie vor solche Waffen in ihren Beständen. Hinzu kommt, dass in den jüngsten Kriegen in Afghanistan und Irak Streumunition und Streubomben die militärstrategischen Aufgaben von Minen ersetzt haben. Die Streumunition, die von den USA während des letzten Irak-Krieges eingesetzt wurde, hat eine Blindgängerrate von bis zu 30 Prozent. Die nichtexplodierten Bomblets in der Form von Getränke-Dosen sind wie die Minen "Soldaten, die niemals schlafen". Auch noch lange nach Ende des Krieges bewahren sie ihre tödliche Wirkung. Dafür, dass Minen und Streubomben nur noch Ausstellungsstücke in Antikriegsmuseen sind, bleibt noch viel zu tun. Dazu gehört nicht nur das Verbot von menschenverachtenden Waffen, sondern auch die Beseitigung der Kriegsursachen selbst. Insofern ist der Ottawa-Vertrag als Zeichen globaler Verantwortung nur ein Anfang.

Katja Maurer ist Pressesprecherin von medico international

Aus: Frankfurter Rundschau, 29. November 2004

Ächten allein reicht nicht

Ein Zwischenbilanz zum Beginn der Konferenz von Nairobi

Von Thomas Gebauer

Ein "Modell für eine neue aktive Friedenspolitik" nannte das Osloer Friedensnobelpreiskomitee die "Internationale Konvention zum Verbot von Antipersonenminen", die 1997 im kanadischen Ottawa vereinbart wurde. Seit 1999 ist das Abkommen formell in Kraft. Nun, fünf Jahre danach, ziehen die Vertragsstaaten in Nairobi eine erste Bilanz.

Die gute Nachricht zu Beginn: Es ist ohne Frage gelungen, eine der mörderischsten Waffen des letzten Jahrhunderts weltweit zu ächten. Kaum jemand bekennt sich heute noch öffentlich zu Minen. Politiker, die diese Waffen vor einigen Jahren noch rechtfertigten, reagieren verschämt. Ehemalige Hersteller gehen so weit, zu behaupten, nie Minen produziert zu haben. Sogar Militärs beginnen, sich mit dem Verlust einer Waffe zu arrangieren.

In über 150 Ländern sind Antipersonenminen heute verboten. Selbst Länder wie China oder die USA, deren Armeen noch über Minen verfügen, wollen sie eigentlich loswerden. Mit einer so in Verruf geratenen Waffe ist auch kein Geschäft mehr zu machen. Die Zahl der Produzenten von Antipersonenminen ist drastisch zurückgegangen, der grenzüberschreitende Handel gänzlich zum Erliegen gekommen. Erstmals werden mehr Minen vernichtet und geräumt als neu verlegt. Über zwei Milliarden Dollar sind seit Anfang der Neunzigerjahre für Minenräumprogramme zur Verfügung gestellt worden. Langsam, aber merklich kehrt in vielen Regionen Afrikas, Asiens und Lateinamerikas, die in den Achtzigerjahren von den Stellvertreterkriegen des West-Ost-Konflikts verheert wurden, das Leben zurück.

Eine Bilanz, die sich sehen lassen kann. Zumal das, was erreicht wurde, zuallererst auf zivilgesellschaftliche Initiative zurückzuführen ist. Erstmals in der Geschichte war es nämlich die Öffentlichkeit, die den vereinigten Militärs dieser Welt ein Waffenverbot abzuringen vermochte. Mit dem Ottawa-Vertrag wurde erstmals Völkerrecht unter Mitwirkung von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) geschrieben. Und erstmals konnte ein Abrüstungsabkommen um humanitäre Verpflichtungen erweitert werden.

Artikel 6 des Ottawa-Vertrags fordert alle Vertragsstaaten zu Hilfen bei der Beseitigung der Minen und der physischen, sozialen und wirtschaftlichen Reintegration der Opfer auf. Hier wird globale Verantwortung mehr als nur eingefordert. Ein Vorgang, der Seltenheitswert besitzt. Es ist gut, dass sich auch die Bundesrepublik Deutschland an der Beseitigung der schrecklichen Folgen von Minen beteiligt.

Angesichts des Erfolgs der 1991 von medico international und der Vietnam Veterans of America Foundation ins Leben gerufenen Kampagne zum Verbot von Landminen, angesichts des Ottawa-Vertrags und der Ehrung durch den Friedensnobelpreis 1997 halten viele das Thema Minen heute für erledigt - ein Trugschluss.

Noch immer werden jährlich etwa 20.000 Menschen während der Landarbeit, bei der Suche nach Feuerholz, auf dem Weg in die Stadt oder zur Schule verstümmelt oder getötet. Noch immer sind große Anstrengungen zu unternehmen, um alle Minen zu räumen. Und die Minenopfer, die zu einem Drittel Kinder sind, werden jahrzehntelang auf die Bereitstellung adäquater Hilfen angewiesen sein. Es gilt, für Prothesen zu sorgen, die psychosoziale Betreuung der Opfer zu sichern und Wiedereingliederungshilfen sowie Erwerbslosen- und Kriegsversehrtenrenten zu gewährleisten. Dafür wird noch über Jahre hinweg sehr viel Geld bereitzustellen sein - weit mehr, als dies bislang der Fall ist. Solche zusätzlichen Mittel aber dürfen nicht zu Lasten der ohnehin schon unter Druck stehenden Budgets für Gesundheit, Bildung und all die anderen Entwicklungsaufgaben gehen. Stattdessen sollten sie über Rüstungskonversion finanziert werden.

Aber noch aus einem weiteren Grund ist das Thema Minen nicht erledigt. Der Ottawa-Vertrag verbietet nur eine bestimmte Gruppe von Minen, die so genannten Antipersonenminen. Der Einsatz von Antifahrzeugminen dagegen ist nach wie vor erlaubt. Aber auch Antifahrzeugminen töten und verstümmeln Menschen.

Nicht wenige dieser Minen sind mit hochsensiblen Zündern ausgestattet, die auch von Zivilisten ausgelöst werden können. Aufgrund ihrer enormen Zerstörungskraft fordern Antifahrzeugminen, die selbst Panzer aufbrechen können, einen sehr viel höheren Blutzoll. Getroffen werden Erntefahrzeuge, voll besetzte Schulbusse und Konvois mit Nahrungsmittelhilfen.

Auch die Bundeswehr verfügt noch über Antifahrzeugminen, die aufgrund ihrer Zündertechnologie eigentlich als Antipersonenminen zu gelten hätten und als solche durch das Ottawa-Abkommen verboten sind. Es ist gut, dass der Bundestag die Bundesregierung zu Nachbesserungen aufgefordert hat. Und es ist fraglos richtig, dass auch die modernen Streuwaffen in den Blick der Parlamente geraten sind. Streubomben und per Artillerie verschossene Streumunition werden zu De-facto-Minen, wenn sie beim Aufschlag nicht explodieren, wie das in Afghanistan und dem Irak zu einem hohen Prozentsatz der Fall gewesen ist.

Von skandalösem Zynismus zeugt, dass das Minenverbot gar für die Legitimation neuer Hightechwaffen herhalten muss. Mit Hochdruck entwickeln Rüstungsbetriebe derzeit Waffensysteme, die - wie die herkömmlichen Minen - das Sperren von Gelände und die Kontrolle von Bewegung ermöglichen, dabei aber keinen Sprengstoff verwenden. Stattdessen setzen die modernen "Minen" auf Mikrowellen, gerichtete Energie, Betäubungsmittel, ätzende Substanzen oder Klebstoffe. Andere lösen akustische Reize aus, die imstande sind, Eingeweide zu verflüssigen. Sogar Biowaffen, die Viren oder Toxine enthalten, die gentechnisch so verändert wurden, dass sie nur bestimmte ethnische Gruppen infizieren, sind im Gespräch.

Die Modernisierung der Arsenale aber kann nicht das Ziel der "erfolgreichsten Bürgerbewegung" (UN-Generalsekretär Kofi Annan über die internationale Kampagne zum Verbot von Landminen) sein. Nicht die Perfektionierung des Krieges ist gefragt, sondern die Beseitigung der Kriegsursachen - mithin die Umwidmung von Militärbudgets für Programme zur Förderung sozialer Gerechtigkeit.

Allein die Schaffung von Verhältnissen, die garantieren, dass Konflikte auf andere als auf mörderische Weise ausgetragen werden können, lässt es auf Dauer zu, dass das Ziel einer "minenfreien Welt", das in Nairobi nun nochmals bekräftigt werden wird, auch erreicht werden kann. Nicht mehr Kontrolle und mehr Verbote sind notwendig, um den Krieg zu beseitigen, sondern der soziale Ausgleich und die demokratische Partizipation aller. Freilich muss beides in der Auseinandersetzung mit den Verhältnissen, die das Unrecht begründen, erst erstritten werden. Internationale Netzwerke wie die Landminenkampagne werden daher jetzt für die Aufhebung des Demokratiedefizits kämpfen müssen, das auf internationaler Ebene nach wie vor existiert. "

Aus: taz, 29. November 2004


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