Ein explosives Schrottfeld
Minen, Blindgänger und Munition aller Art verseuchen grosse Teile des Irak
Von Armin Köhli, Nairobi
«Wir haben noch nicht einmal anständige Landkarten», sagt Moaid Saber, der Generaldirektor der irakischen Antiminenbehörde anlässlich einer Antiminenkonferenz in Nairobi. «Wir wissen wenig über die Siedlungsstruktur, über bewohnte und verlassene Dörfer, über Migrationsbewegungen und so weiter. Oft müssen wir mit alten sowjetischen topografischen Karten arbeiten.»
Sabers Behörde schlägt sich mit den Folgen der diversen irakischen Kriege herum, und dabei vor allem mit den explosiven Relikten der US-geführten Invasionen. Von Juni 2003 bis Juli 2004 wurden 57,4 Millionen Quadratmeter Land von Minen und nicht explodierter Munition gesäubert. Und das sei nicht einmal ein Prozent der im Irak verseuchten Fläche, erläutert Moaid Saber. 8000 Personenminen wurden zerstört, 8100 Antipanzerminen, rund 870 000 Stück nicht explodierter Munition, ausserdem 223 000 Stück gelagerter Munition entschärft, sowie 8400 «Bomblets», die wie Landminen wirkende von der US-Armee eingesetzte Streumunition.
4080 lokalisierte Minenfelder gibt es im Irak, die eine Fläche von 727 Quadratkilometer verseuchen. Dazu kommt ein 1274 Kilometer langer und 5 Kilometer breiter verminter Streifen an der Grenze zum Iran (auf iranischer Seite ist die Grenze ebenfalls vermint). Auf 851 Quadratkilometern Land von 1271 identifizierten ehemaligen Schlachtfeldern liegt nicht explodierte Munition. Und schliesslich sind 1628 Stellen von Streumunition verseucht. Diese Zahlen werden noch deutlich steigen, wenn die Datenblätter von 27 000 Luftangriffen ausgewertet sind.
Die lebensgefährlichen Waffen und Explosivstoffe befinden sich fast ausschliesslich in der Nähe der bevölkerungsreichen Gebiete: um Bagdad herum, im kurdischen Norden und im Süden des Irak. Am stärksten davon bedroht sind rund 12 Millionen Menschen - fast die Hälfte der geschätzten 25 Millionen IrakerInnen. 2678 Gemeinden müssen mit einem verseuchten Gebiet in weniger als einem Kilometer Entfernung leben. Insgesamt 16 Millionen Menschen werden von einem Feld in weniger als fünf Kilometer Entfernung gefährdet. Das liegt auch daran, dass Saddam Husseins Armee ihre Stellungen und Munitionslager in unmittelbarer Nähe der Städte errichtet hatte.
Betroffen ist jeder Bereich des Alltags: Minen finden sich auf Strassen und Feldern, explodierende Blindgänger setzen Pipelines in Brand, Elektrizitätswerke waren Angriffsziele, und Blindgänger - darunter auch britische und US-amerikanische Uranmantelgeschosse - oder Munition ehemaliger Depots liegen mitten in Dörfern herum. Zum Teil hängen die Bomblets noch in den Kronen von Bäumen und Palmen. In der Grossstadt Basra kam es innerhalb von zwei Monaten zu 160 Unfällen wegen Minen und Blindgängern. Die irakische Unfallstatistik zeigt, dass Landarbeiter sowie Knaben und junge Männer auf dem Schulweg am meisten gefährdet sind. Dabei sind die eigentlichen Minen das deutlich kleinere Problem als die nicht explodierte Munition.
Fortschritte macht die Säuberung betroffener Gebiete vor allem im kurdischen Norden und zum kleineren Teil im Süden des Landes. Im ganzen Zentralirak hingegen konnte noch gar nichts geräumt werden. Sabers Behörde und die MinenräumerInnen kämpfen mit fehlenden Kapazitäten und Geldern, mit der Sicherheitslage und mit der schieren Grösse des Problems. Nur schon die Kommunikation zwischen den meist in der «Grünen Zone» in Bagdad ansässigen internationalen Minenräumorganisationen und der irakischen Antiminenbehörde ist ein Risiko: Ein Besuch der einen bei den anderen bringt beide in Gefahr.
Indirekt gefährden die gewaltigen Mengen frei herumliegender Munition auch die US-amerikanischen Besatzungstruppen. Denn ein Grossteil der Anschläge wird mit selbst gebastelten Autobomben und Sprengsätzen ausgeführt. Der Sprengstoff dafür stammt aus Blindgängern und ehemaligen Munitionslagern. Geschosse werden zerlegt, und der explosive Inhalt an Aufständische verkauft. Die Mahdi-Armee von Muktada as-Sadr, die Gruppen um Abu Musab as-Sarkaui, alte Baathisten sowie Stammesmilizen - alle haben sich in verlassenen, zerstörten und unbewachten Munitionsdepots bedient.
* Aus: Wochenzeitung WoZ (Schweiz), 9. Dezember 2004
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