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Verbot der verborgenen Killer auf dem Prüfstand

Zur Jahrestagung der Ottawa-Konvention gegen Anti-Personenminen

Von Wolfgang Kötter *

Im Genfer UNO-Sitz eröffnet die Schweizer Außenministerin Micheline Calmy-Rey heute (24.11.) die Jahreskonferenz der Konvention über das Verbot von Anti-Personenminen. Unter Vorsitz ihres Landsmannes Jürg Streuli werden die 156 Vertragsstaaten im Salle des Assemblées eine Woche lang die bisherige Erfüllung einschätzen und weitere Maßnahmen beraten.

Der seit 1999 geltende Vertrag untersagt den Einsatz, die Entwicklung, Herstellung, Lagerung und Weitergabe von Anti-Personenminen. Darüber hinaus wollen die Mitgliedstaaten auch bei der Minenräumung und der Opferhilfe kooperieren. Nachdem die eingelagerten Minen mit Ausnahme von Griechenland, der Türkei und Weißrussland pünktlich beseitigt waren, müssen die noch verlegten Sprengfallen nämlich innerhalb von zehn Jahren geräumt und vernichtet sein. Diese Frist läuft für 26 Vertragspartner im kommenden Jahr aus. "Alarmierend ist, dass Zweidrittel dieser Staaten ihrer Verpflichtung nicht nachkommen werden", bemängelt Thomas Gebauer von der Hilfsorganisation medico international. Die Konferenz wird deshalb über deren Anträge auf Fristenverlängerung zu entscheiden haben (siehe Infokasten). In vielen Ländern - darunter Angola, Afghanistan, Irak und Kambodscha weisen darüber hinaus die Opferhilfe und --rehabilitierung gravierende Mängel auf und die Betroffenen erhalten nur unzureichende Unterstützung.

Eine gemischte Bilanz

Pünktlich vor Konferenzbeginn erschien der "Landmine Monitor Report 2008". Darin gibt die über 1.000 Organisationen in 72 Länder vereinende Internationale Kampagne für das Verbot von Landminen (International Campaign to Ban Landmines - ICLM) den Vertragsmitgliedern und der Weltöffentlichkeit einen eindrucksvollen Überblick über Erfolge und Schwierigkeiten bei der Befreiung von diesen "Killern in Zeitlupe", die immer wieder Opfer vor allem auch unter der Zivilbevölkerung fordern.

Die gute Nachricht ist, dass im vergangenen Jahrzehnt rund 42 Millionen Minen vernichtet wurden und weniger Menschen den heimtückischen Sprengkörpern zum Opfer fallen. Laut Bericht sank die Zahl der registrierten Opfer von Landminen und Blindgängern weltweit um 9 Prozent, von 6.022 auf 5.426 im Vergleich zum Vorjahr. "Der Rückgang der weltweiten Opferzahlen ist ein Beleg für den Erfolg von Minenaktionsprogrammen", betont Thomas Küchenmeister, Leiter des Aktionsbündnisses Landmine.de. "Daher darf in der Räumung kontaminierter Gebiete und in der Unterstützung für die Opfer dieser Waffen nicht nachgelassen werden." Ingesamt konnten im vergangenen Jahr 534 Quadratkilometer von Minen und Blindgängern geräumt werden. Aber über 200.000 Quadratkilometer, eine Fläche dreimal so groß wie Bayern, muss weltweit noch gesäubert werden und die Überlebenden von Minenunfällen bedürfen langfristig der Pflege und Versorgung. Dem Direktor des UN-Mienenräumungsdienstes Maxwell Gaylard zufolge werden dafür allein in diesem Jahr 404 Mio. Dollar benötigt. Zur Finanzierung von Hilfsprogrammen trugen 2007 hauptsächlich die USA, Norwegen, aber auch die Europäische Union bei. Im vergangenen Jahr sank die Gesamtsumme zwar um 33 Mio. Dollar auf 431 Mio. Dollar, erreichte aber immerhin die zweitgrößte Summe des vergangenen Jahrzehnts. "Die Tatsache, dass es nach wie vor Hunderttausende Überlebende von Unfällen mit Minen und Streumunition gibt, verpflichtet uns in unseren Bemühungen für die Opfer nicht nachzulassen", fordert François de Keersmaeker von handicap international. Deutschland plant bislang seinen Beitrag gegenüber dem Vorjahr mit ca. 17 Mio. Euro stabil zu halten.

Die schlechte Nachricht ist, dass 39 Länder mit einem Gesamtbesitz von rund 160 Millionen Minen dem Ottawavertrag nicht angehören (siehe Infokasten). Unter ihnen die führenden Militärmächte China, Russland und die USA, die über riesige Arsenale verfügen. Myanmar und Russland gehören zu den Staaten, die im vergangenen Jahr als Minenleger bekannt wurden. Hinzu kommen bewaffnete Gruppen in Afghanistan, Ecuador, Indien, Irak, Kolumbien Pakistan, Peru und Sri Lanka.

Die Hälfte aller Opfer sind Kinder

Weltweit bedrohen noch immer über 100 Millionen Landminen und eine wahrscheinlich sogar größere Anzahl an Blindgängern die Zivilbevölkerung in mindestens 76 Ländern und Regionen (siehe Infokasten). Insgesamt leben 7,3 Millionen Menschen in minenverseuchten Gebieten. Afrika ist mit schätzungsweise 30 Millionen Sprengkörpern in 18 Ländern der am stärksten verminte Kontinent. Landminen gehören dort zu den größten Hindernissen einer gedeihlichen Entwicklung. In Ägypten beispielsweise können wegen Minen 22 Prozent der Landfläche nicht erschlossen werden - das kostet 380 000 Arbeitsplätze und Ölreserven im Umfang von 4,8 Mrd. Barrel. Allein etwa 17 Mio. Minen stammen noch aus dem Zweiten Weltkrieg, andere aus dem Krieg von 1967 mit Israel. Stark betroffen sind auch Angola, wo mindestens 70 000 Menschen verstümmelt wurden, und Mosambik, dort sterben jeden Monat 40 Menschen durch Explosionen. Obwohl in den betroffenen Staaten mehr als 8 Mio. Menschen über die von Minen und Blindgängern aus gehenden Gefahren aufgeklärt wurden, geschehen noch zu viele Unfälle. "Kinder in den betroffenen Gebieten müssen noch eindringlicher und umfassender vor den von Minen ausgehenden Gefahren gewarnt werden", fordert Küchenmeister und verweist darauf, dass die Hälfte aller zivilen Opfer Kinder sind. "Ohne Aufklärungsprogramme", so Küchenmeister, "wären sicher noch mehr Opfer zu beklagen." Besorgnis erregend ist ebenfalls, dass die Anzahl der Unfälle mit Minenräumern um fast 50 Prozent gestiegen ist.

Die Minenlobby bleibt gefährlich

Ein schmerzhafter Mangel der Konvention besteht darin, dass sie laut Definition nur Minen erfasst, die ausdrücklich gegen Personen gerichtet sind, nicht aber Anti-Panzer- bzw. Anti-Fahrzeugminen. In der Realität unterscheiden derartige Sprengkörper jedoch nicht zwischen Bussen, Traktoren oder Panzern. Allein im vergangenen Jahr fielen ihnen über 500 Menschen zum Opfer, und auch hier vor allem in afrikanischen Staaten. Darüber hinaus lassen die Bestimmungen sowohl der Rüstungsindustrie als auch der Politik viele Schlupflöcher, um die Verbotsbestimmungen mit raffinierten Hightech-Minen zu unterlaufen. Hochmoderne, äußerst räumresistente Panzer-Verlegeminen verfügen beispielsweise fast immer über integrierte Anti-Personenminen als sogenannten Aufhebeschutz. Flächenverteidigungsminen sind ein weiteres Beispiel für Hightech-Minen. Deren Zielerkennung wird mittels seismischer und akustischer Sensoren vorgenommen, die Mine anschließend in eine Höhe von ca. 150 Meter geschossen, wo sie dann an einem Fallschirm hängend die Munition auf das Ziel abfeuert. Moderne, multifunktionale Submunition markiert eine weitere Entwicklungsetappe der Minentechnologie. Auch sie ist unter anderem gegen Personen gerichtet. Mit Kampfjets bzw. Dispenserwaffen fernverlegbar, kann solche Munition in hoher Stückzahl, sehr schnell und über große Entfernungen eingesetzt werden.

Darum dürfen die Bemühungen um weitere Verbote nicht nachlassen. Nach dem engagierten Wirken der Zivilgesellschaft im "Ottawa-Prozess" steht nun ein weiterer Erfolg vor der Tür. In wenigen Tagen erreicht der nach demselben Vorbild modellierte "Oslo-Prozess" seinen Höhepunkt. In Norwegens Hauptstadt werden am 3. Dezember mehr als 100 Staaten die Konvention über ein umfassendes Verbot von Streumunition unterzeichnen, die flächendeckend verschossen wird und durch ihre hohe Blindgängerquote ebenfalls tausendfache Opfer fordert.


15 Staaten, die eine Fristenverlängerung zur Minenräumung beantragt haben: Bosnien-Herzegowina, Ecuador, Großbritannien (Falklandinseln), Jemen, Jordanien, Kroatien, Mosambik, Nicaragua, Niger, Peru, Senegal, Simbabwe, Thailand, Tschad und Venezuela.

39 Staaten, die der Ottawa-Konvention nicht angehören: Ägypten, Armenien, Aserbaidschan, Bahrain, Burma, China, Finnland, Georgien, Indien, Iran, Israel, Kasachstan, KDVR, Republik Korea, Kirgisistan, Kuba, Laos, Libanon, Libyen, Marokko, Marshallinseln, Mikronesien, Mongolei, Nepal, Oman, Pakistan, Polen, Russland, Saudi Arabien, Singapur, Somalia, Sri Lanka, Syrien, Tonga, Tuvalu, USA, Usbekistan, Vereinigte Arabische Emirate, Vietnam.

13 Länder produzieren Anti-Personenminen: China, Indien, Iran, Kuba, Myanmar, Nord- und Südkorea, Nepal, Pakistan, Russland, Singapur, USA und Vietnam.



Die am meisten verminten Länder und Gebiete

Länder und Gebiete Anzahl der Minen
Ägypten 30 Mio.
Äthiopien 500.000
Afghanistan 10 Mio.
Angola 15 Mio.
Aserbaidschan 100.000
Bosnien-Herzegowina 3 Mio.
China 10 Mio.
Dänemark 9.900
Ecuador 60.000
El Salvador 10.000
Eritrea 1 Mio.
Falklandinseln (Malvinas) 25.000
Georgien 150.000
Guatemala 1.500
Honduras 35.000
Irak 10 Mio.
Iran 16 Mio.
Jemen 100.000
Kambodscha 6.Mio.
Kolumbien 1.500
Republik (Süd-)Korea 206.193
Kroatien 3 Mio.
Lettland 17.000
Libanon 8.795
Liberia 18.250
Mozambique 3 Mio.
Namibia 50.000
Nicaragua 108.297
Rwanda 250.000
Serbien 500.000
Somalia 1 Mio.



* Dieser Beitrag erschien - gekürzt - in: Neues Deutschland, 24. November 2008


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