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Ein langer Weg: Erfolgsbilanz mit Pferdefuß

Vor fünf Jahren trat Verbot von Landminen in Kraft. Streubomben und Antifahrzeugminen sind weiter legal

Es ist verdienstvoll, dass die Initiatoren der internationalen Landminenkampagne fünf Jahre nach Inkrafttreten des Ottawa-Vertrags (1. März 1999) mit einer Pressekonferenz an dieses Ereignis erinnern. Sonst würde nicht nur das kleine Jubiläum sondern auch die Problematik aus dem Auge verloren. Letzteres könnte tödlich sein, denn immer noch werden Minen weltweit produziert und verlegt: Streubomben und Antifahrzeugminen, die von der Ottawa-Konvention nicht erfasst sind, obwohl sie auch menschliches Leben zerstören oder verletzen.
Im Folgenden dokumentieren wir einen Bericht über die Pressekonferenz der Landminen-Kampagne, die am 26. Februar 2004 in Berlin stattfand, sowie ein Interview mit der Minenräumerin und Buchautorin Vera Bohle. Außerdem dokumentieren wir noch eine kritische Bilanz von Thomas Gebauer (medico international)



Erfolgsbilanz mit Pferdefuß

Vor fünf Jahren trat Verbot von Landminen in Kraft. Streubomben und Antifahrzeugminen weiter legal


Von Jana Frielinghaus*

Die Bundeswehr plane keine Neubeschaffung von Landminen. Gleichwohl blieben sie »auch weiterhin ein wesentliches Mittel zur Auftragserfüllung der Bundeswehr«. So die schriftliche Antwort aus dem Bundesverteidigungsministerium auf die Anfrage eines Bundestagsabgeordneten vom Dezember 2003. Thomas Küchenmeister, Leiter des Aktionsbündnisses Landmine.de, zitierte am Donnerstag in Berlin aus dem Schreiben. Aus Anlaß des fünften Jahrestages des Inkrafttretens des weltweiten Verbots von Antipersonenminen zog das Bündnis, dem 17 deutsche Entwicklungs- und Flüchtlingshilfsorganisationen angehören, gleichwohl eine insgesamt positive Bilanz.

Geradezu euphorisch äußerte sich Andreas Rister vom Kinderhilfswerk terre des hommes. Eine »Erfolgsstory« sei der Prozeß gewesen, an dessen vorläufigem Ende die sogenannte Ottawa-Konvention stand, die am 1. März 1999 in Kraft trat. 150 Staaten seien dem Minenverbotsvertrag bislang beigetreten, 141 hätten ihn bereits rechtskräftig ratifiziert. Der Handel mit Landminen sei »fast vollständig zum Erliegen gekommen«.

Die wichtigsten Herstellerländer und Anwender von Minen, also die USA, Rußland, China, Indien, Pakistan, haben die Konvention indes bislang nicht einmal unterschrieben. Außerdem sind sogenannte Panzerminen wie auch Streubomben nicht als Antipersonenminen klassifiziert und daher nicht Bestandteil des Vertrages. Dabei können auch Antifahrzeugminen durch Personen ausgelöst werden, und selbstredend können sie zivile nicht von militärischen Zielen unterscheiden. Streubomben wurden sowohl in Afghanistan als auch im Irak-Krieg vor einem Jahr von den USA massiv eingesetzt. Die zahllosen Einzelsprengsätze dieser heimtückischen Waffen hatten in Afghanistan zudem die gleiche Farbe wie die von den US-Amerikanern abgeworfenen Lebensmittelpakete. Tausende Menschen kamen durch den Kontakt mit Blindgängern ums Leben oder wurden grausam verstümmelt.

Die Bundeswehr hat nach Angaben von Küchenmeister noch rund 30 Millionen Streubomben und 1,4 Millionen Antifahrzeugminen im Bestand. Die durchschnittliche Blindgängerquote bei den Clusterbomben der Bundeswehr liege bei 20 bis 40 Prozent. Dieser Umstand lasse sie »de facto zu Antipersonenminen werden«.

Die Zahl der Minenopfer ist bislang nicht zurückgegangen. Im Jahr 2002 seien 11 700 Tote und Verletzte registriert worden, 45 Prozent mehr als 2001. Insgesamt schätzt die Internationale Kampagne zum Verbot von Landminen (ICBL) die Zahl der Minenunfälle auf 20 000 pro Jahr, weil viele davon unbemerkt in abgelegenen Gebieten geschehen. Für die letzten fünf Jahre müsse man daher von rund 100.000 Minenopfern ausgehen.

Rund 100 Millionen gelegte Minen warten weltweit noch darauf, entschärft zu werden. Darüber hinaus lagern rund 300 Millionen Antipersonenminen in den Depots. Rund 50 Millionen Landminen, so Andreas Rister, seien bislang vernichtet worden.

Die Bundesregierung von SPD und Grünen hat das Ottawa-Abkommen unterzeichnet. Zu einem weiteren Engagement gegen Streubomben und Antifahrzeugminen ist sie indes offenbar nicht bereit. Eine Resolution des Bundestages vom Juni 2002, in der das Kabinett aufgefordert wird, in dieser Richtung aktiv zu werden, sei bislang nicht umgesetzt worden, betonte Volker Riehl von der kirchlichen Hilfsorganisation Misereor. Das sei »ein politischer Skandal«.

Das Aktionsbündnis versucht auch, deutsche Rüstungskonzerne für das Thema zu sensibilisieren. Bislang ohne Erfolg. Anfragen nach dem Umfang der Produktion von Landminen würden entweder gar nicht beantwortet oder mit dem Hinweis auf die Arbeitsplätze, die an der Produktion hängen, abgeblockt, so Thomas Küchenmeister. Medienvertreter hätten bislang immer die gleiche Erfahrung gemacht. Daß Unternehmen wie DaimlerChrysler, Rheinmetall und Diehl Landminen produzieren, lasse sich indes dadurch belegen, daß sie diese auf Rüstungsmessen in Prospekten bewerben, erklärte Volker Riehl.

* Der Artikel erschien am 27. Februar 2004 in der Tageszeitung "junge Welt". Die Autorin Jana Frielinghaus stellte auch die Fragen bei dem nun folgenden Interview:

Ist Minenräumen bald keine Sisyphusarbeit mehr?

jW sprach mit der Minenräumerin Vera Bohle*

Vera Bohle ließ sich 1998 in der Sprengschule Dresden in einem sechswöchigen Kurs zur Minenräumerin ausbilden und war seitdem im Kosovo, in mehreren afrikanischen Ländern und in Afghanistan im Einsatz. Sie ist zugleich aktiv in Aktionsbündis www.landmine.de.

F: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, den lebensgefährlichen Beruf der Minenräumerin zu wählen?

Ursprünglich wollte ich gern in der Entwicklungshilfe, genauer in der Flüchtlingshilfe, arbeiten. Später las ich einen Artikel darüber, daß die Dresdner Sprengschule bosnische Flüchtlinge zu Minenräumern ausbildet. Da wurde mir klar, daß, bevor Flüchtlinge wieder in ihre Heimat zurückkehren können, die Minen geräumt sein müssen. Und ich wollte etwas Technisches lernen, wo man konkret anpacken kann.

F: Mit welcher Art von Minen haben Sie dabei vor allem zu tun?

Es sind gleichermaßen Antipersonen- und Antifahrzeugminen, auf die wir stoßen. In Afghanistan gab es häufig das Problem, daß die Minen einen extrem geringen Metallanteil hatten. Das gleiche gilt für Angola, wo Minen zum Teil undetektierbar waren. Daß irgendwo ein Minenfeld ist, wird dort meist erst durch einen Unfall offenbar.

F: Die Internationale Kampagne für das Verbot von Landminen fordert, auch die sogenannten Panzerminen auf den Index zu setzen. Warum sind diese so gefährlich?

Schon der Begriff »Panzermine« ist verharmlosend. Denn diese Minen wirken wahllos gegen jedes Fahrzeug, das über sie fährt oder den Zündermechanismus auslöst. Sie machen keinen Unterschied, ob das ein Schulbus oder ein überfüllter Flüchtlingsbus ist. Fünf meiner Kollegen sind in einem Wagen umgekommen, der auf eine Antifahrzeugmine gefahren ist. Von so einem Wagen bleibt nichts übrig.

F: Was erwarten Sie von der deutschen Regierung, wenn es um ein umfassendes Landminenverbot geht?

Sie sollte eine aktive Rolle einnehmen. Von deutschem Boden ist viel Unheil ausgegangen. Ich denke, das ist eine gewisse historische Verpflichtung.

F: Das Minenräumen ist bis heute vor allem Handarbeit. Warum können Sie kaum moderne Räumtechnologie nutzen?

Mit humanitärer Minenräumung läßt sich kein Geld verdienen. Was es bisher an Technik zur Räumung von Landminen gibt, hat einfach auch praktische Grenzen. Maschinen können nicht überall arbeiten, sie brauchen eine Werkstatt, logistische Unterstützung, die es in den Nachkriegsgebieten oft nicht gibt. Deshalb versuche ich – wie zur Zeit auf der Genfer Abrüstungskonferenz – auch immer wieder klarzumachen, daß da Probleme produziert werden, die nicht oder nur unter Einsatz von Leben und Gesundheit von Menschen lösbar sind.

Buchhinweis:
Vera Bohle: Mein Leben als Minenräumerin. Krüger Verlag, Frankfurt am Main, soeben erschienen. 384 Seiten, 19,90 Euro

Für ein Verbot aller Minen

Von Thomas Gebauer*

Die Internationale Kampagne für das Verbot von Landminen (ICBL) – »ein Modell für eine neue aktive Friedenspolitik« (Friedensnobelpreiskomitee), eine der »erfolgreichsten zivilgesellschaftlichen Initiativen« (UN-Generalsekretär Kofi Annan). Die Anerkennung, die der von medico international und der Vietnam Veterans of America Foundation gegründeten Kampagne Ende der 90er Jahre zuteil wurde, schwelgte zuweilen in höchsten Tönen. Anlass für uns, kritisch Bilanz zu ziehen.

Zunächst die Erfolgsstory: Tatsächlich ist es gelungen, eine der mörderischsten Waffen des letzten Jahrhunderts weltweit zu ächten. Kaum jemand mehr bekennt sich heute noch offen zu Minen. Politiker reagieren verschämt, Militärs besorgt und ehemalige Minenproduzenten behaupten gar, nie Minen hergestellt zu haben. In über 150 Ländern sind Anti-Personen-Minen heute verboten, und selbst Länder wie die USA, die Türkei oder Russland, deren Armeen noch über Minen verfügen, wollen sie eigentlich los werden. Die Zahl der Produzenten von Anti-Personen-Minen ist deutlich zurückgegangen, und der Handel mit Minen fast gänzlich zum Erliegen gekommen. Erstmals werden mehr Minen vernichtet als neu verlegt.

Ein langer Weg

Eine Bilanz also, die sich sehen lassen kann. Zumal das, was erreicht wurde, das Ergebnis einer zivilgesellschaftlichen Initiative ist. Nicht einmal eine Handvoll Leute waren wir, die im November 1991 den Entschluss zu einer weltweiten Kampagne gegen die Landminen fassten. Damals konnte niemand von uns ahnen, dass der Appell zweier Nichtregierungsorganistionen innerhalb so kurzer Zeit so viel Resonanz finden und schließlich gar zum Friedensnobelpreis führen würde. Denn das, was uns zu Beginn der Kampagne entgegen schlug, waren nicht Ehrungen, sondern Spott und Anfeindungen. Dennoch enstand ein schlagkräftiges Netzwerk aus über 1000 Organisationen und Verbänden, das von ganz unterschiedlichen Teilen der Öffentlichkeit getragen wird.

Erstmals in der Geschichte gelang es, den vereinigten Militärs dieser Welt ein Waffenverbot abzuringen. Erstmals wurde mit der Internationalen Konvention zum Verbot von Anti-Personen-Minen, dem Ottawa-Vertrag, Völkerrecht unter Mitwirkung von Nichtregierungsorganisationen geschrieben. Und erstmals konnte ein Abrüstungsabkommen um die Verpflichtung zu humanitären Aktionen erweitert werden. Es ist ein spätes Eingeständnis der Verantwortung, dass sich die reichen Vertragsstaaten dazu verpflichtet haben, den ärmeren bei der Beseitigung der Minen-Schäden und der Rehabilitation sowie sozialen und wirtschaftlichen Reintegration der Opfer zu helfen. Auch Deutschland, das zu den Profiteuren des Geschäfts mit Minen zählt, steht in der Verantwortung.

Seit dem Inkrafttreten des Ottawa-Vertrages am 1. März 1999 halten viele Menschen das Thema Minen für erledigt – ein Trugschluss. Noch immer werden Menschen während der Landarbeit, bei der Suche nach Feuerholz, auf dem Weg in die Stadt oder zur Schule verstümmelt und getötet. Jahrzehnte wird es dauern, bis alle Minen geräumt sind, und ebenso lange wird es notwendig sein, den Minenopfern, die zu einem Drittel Kinder sind, Hilfsstellungen zukommen zu lassen. Für Prothesen, die psychosoziale Betreuung der Opfer, für Umschulungsprogramme und andere Wiedereingliederungshilfen sowie für Erwerbslosen- und Kriegsversehrtenrenten wird noch über Jahre hinweg sehr viel Geld bereitzustellen sein – weit mehr, als dies bislang der Fall ist. Gefahr durch Antifahrzeugminen

Aber noch aus einem weiteren Grund ist das Thema Minen nicht erledigt. Der Ottawa-Vertrag verbietet nur eine bestimmte Gruppe von Minen, die so genannten Anti-Personen-Minen, während der Einsatz von Anti-Fahrzeug-Minen und minen-ähnliche Waffen wie Streubomben nach wie vor erlaubt ist. Auch solche Minen töten und verstümmeln Zivilisten. Tag für Tag. Anti-Fahrzeug-Minen treffen Erntefahrzeuge, vollbesetzte Schulbusse und Konvois mit Nahrungsmittelhilfen. Und nicht explodierte Streubomben bedrohen gerade auch Kinder, die solche Waffen fatalerweise für Spielzeug halten. Erschreckend aber ist auch die Tatsache, dass die Militärs damit begonnen haben, die verbotenen Anti-Personen-Minen durch neue Waffensysteme ersetzen zu wollen. Nicht die kaltblütige Perfektionierung des Krieges ist gefragt, sondern die Beseitigung der Kriegsursachen, – mithin die Umwidmung von Militärbudgets für Programme zur Förderung sozialer Gerechtigkeit.

medico ging es nie nur um die Beseitigung einer Waffe, sondern um die Schaffung von sozialen Verhältnissen, die alleine dafür garantieren, dass Konflikte auf andere als auf mörderische Weise ausgetragen werden können. Die Beseitigung von Krieg erfordert nicht Zuwachs an Kontrolle und Verboten, sondern den sozialen Ausgleich und die demokratische Partizipation aller, was freilich beides in der Auseinandersetzung mit den Verhältnissen, die das Unrecht begründen, erst erstritten werden muss. Es gibt viel zu tun, um solchen Zielen, die utopisch erscheinen mögen, auch nur einen Schritt näher zu kommen. Ohne die Kritik an dem sozialen und politischen Kontext von Minen wird es auch keine Lösung der Schäden und Verheerungen geben, die heute noch von Minen angerichtet werden.

* Thomas Gebauer ist Geschäftsführer von medico international, Frankfurt a.M.

Quelle: Homepage von medico international: www.medico.de


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