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Auseinandersetzung um eine rote Fahne

Nordrhein-Westfalen legt die Wiederherstellung der Gedenkstätte Stukenbrock vorerst auf Eis

Von Hans Canjé *

Um die Gedenkstätte Stukenbrock tobt ein Streit um die Wiederherstellung eines Denkmals in seiner ursprünglichen Form – mit einer roten Fahne an der Spitze.

Wenige Wochen vor dem 70. Jahrestag des Überfalls des faschistischen Deutschland auf die Sowjetunion ist um den 1945 errichteten Obelisken auf dem größten sowjetischen Soldatenfriedhof auf deutschem Boden in Schloss Holte-Stukenbrock ein heftiger Streit entbrannt. Das Problem: Soll der Obelisk wieder seine 1945 von den Erbauern geschaffene Gestaltung erhalten?

Der Arbeitskreis »Blumen für Stukenbrock«, eine ehrenamtliche Bürgerinitiative, die viel für die öffentliche Wahrnehmung des Friedhof in der westfälischen Senne getan hat, setzt sich seit Jahrzehnten vehement dafür ein. In dem hier 1941 errichteten Kriegsgefangenenlager – amtlich »Stalag 326 (VI K) Senne« – wurde wohl, sieht man ab von den in der Sowjetunion verübten Massenmorden an Gefangenen durch die deutsche Wehrmacht, am brutalsten im Sinne des Hitlerdiktums von 1941 gehandelt: »Der Kommunist ist vorher kein Kamerad und nachher kein Kamerad. Es handelt sich um einen Vernichtungskampf.«

In Stukenbrock kamen im Ergebnis der Unterkunftsbedingungen, durch Hunger sowie die Folgen von Misshandlungen, Seuchen und Zwangsarbeit zehntausende Gefangene ums Leben. Sie wurden in Massengräbern verscharrt. Nach der Befreiung begannen Überlebende mit der Gestaltung eines Friedhofs, in dessen Mittelpunkt ein rund 8,5 Meter hoher Obelisk mit einer roten Fahne auf der Spitze errichtet wurde. Auf Vorschlag der US-Armee wurde in die Inschrift des am 2. Mai 1945 eingeweihten Memorials die Zahl 65 000 eingefügt – als Mittelsumme der noch unbekannten Zahl der 30 000 bis 100 000 Toten.

Ende der 40er Jahre, als – so formuliert es der Arbeitskreis in einer Chronik – »der Antibolschewismus der Nationalsozialisten relativ nahtlos in den Antikommunismus des Kalten Krieges« überging, verfielen die sowjetischen Friedhöfe. Britische Dienststellen verhinderten einen vom Detmolder Regierungspräsidenten geplanten Abriss des Obelisken. Auf Geheiß der Landesregierung wurde die rote Fahne entfernt und durch ein orthodoxes Kreuz ersetzt. Überlebende und Arbeitskreis beharrten auf Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes. 2006 fasste der NRW-Landtag mit Zustimmung der CDU einen entsprechenden Beschluss. Franz-Josef Lersch-Mense, Leiter der Staatskanzlei, teilte nun dem Arbeitskreis mit, dass noch in Sommer die Wiederherstellung entsprechend der Absprache von 2006 erfolgen solle.

Doch bislang passiert nichts. In der lokalen Presse ist die Rede von einem »Hauch von Kulturkampf«. Für den CDU-Bundestagsabgeordneten Michael Brink etwa ist »Stalins Flagge nicht hinnehmbar«. Bürgermeister Hubert Erichlandwehr (CDU) sieht die Fahne als ein »politisches Signal, das auf einem Friedhof nichts zu suchen hat«. Offensichtlich, konstatiert der Arbeitskreis, »ist für einige Politiker der Kalte Krieg doch nicht vorbei«.

Die SPD-geführte Landesregierung hat nun die Realisierung des Beschlusses zur Veränderung des Obelisken vorerst ausgesetzt.

* Aus: Neues Deutschland, 18. April 2011


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