Ostpreußen-Chef "differenziert" Kriegsbeginn
Vor dem "Tag der Heimat" drehen die Landmannschaften auf / Kauder: Keine weiteren Konsequenzen für Steinbach
Von Velten Schäfer *
Zum Vertriebenen-Jahreskongress »Tag der Heimat« muss die CDU die Wellen glätten: Die Causa
Steinbach sei »gegessen«. Zugleich prescht ein rechter Vertriebenen- und CDU-Politiker mit neuen
Thesen über den Weltkrieg vor.
Die Bundeskanzlerin hat es ausrichten lassen, Fraktionschef Volker Kauder hat es gleich mehrfach
gesagt – und sogar Erika Steinbach haben sie am Ende zum Schwur veranlasst: Niemand in der
CDU hat die Absicht – die Entfesselung des Zweiten Weltkrieges durch Hitler-Deutschland zu
»relativieren« oder »differenzieren«. Außer zum Beispiel Wilhelm von Gottberg.
Der Sprecher der »Landsmannschaft« Ostpreußen, seit Langem CDU-Honoratior, hat schnell
reagiert. In der Online-Ausgabe der »Preußischen Allgemeinen Zeitung« schreibt er: »Die
Teilmobilisierung Polens am 26. März 1939 ist eine historische Tatsache.« Und laut Gottberg ein
»Akt der Kriegsvorbereitung« – der »zwar nichts am Faktum des deutschen Angriffes auf Polen«
ändere. »Allerdings« kämen »weitere gravierende historische Faktoren hinzu, die in der heutigen
politischen Diskussion meist unterschlagen werden, obwohl sie eine differenziertere Sicht der
Ursachen des Zweiten Weltkriegs nahelegen«.
Polen habe nämlich seit 1918 »auch mit kriegerischen Mitteln« eine »in hohem Maße
expansionistische« Politik betrieben, nationale Minderheiten bedrängt, sei selbst seit dem Maiputsch
1926 keine Demokratie mehr gewesen, raunt Gottberg: »Schließlich mahnt auch der am 23. August
1939 geschlossene Hitler-Stalin-Pakt und der sowjetische Einmarsch im (allerdings mehrheitlich von
Weißrussen und Ukrainern besiedelten) Osten Polens ab dem 17. September 1939 zu einer
differenzierten Sicht der Vorgeschichte des II. Weltkrieges – um nur ein weiteres, gravierendes
Faktum zu nennen.«
Letzteres hätte man gern ein bisschen näher erläutert, doch ansonsten stimmt es ja: Polen hat am
26. März 1939 eine Kavallerie-Brigade und vier Divisionen Infanterie mobilisiert. Die teils bewaffnete
Unabhängigkeitsbewegung wollte das neue Polen tatsächlich möglichst groß machen,
Territorialkonflikte hat es gegeben. Die Minderheitenpolitik war repressiv, die Regierung Pilsudski
keine Demokratie.
Zur Geschichte gehört nur auch, dass die Wehrmacht am 15. März in Prag und am 23. im
litauischen Memelland einmarschiert war, die Freischärler von 1918 auf 200 Jahre Fremdherrschaft,
Teilung und am Ende sogar Sprachverbote zurückblickten sowie Teile der Minderheiten im
Zwischenkriegs-Zeitalter des »Irredentismus« tatsächlich als fünfte Kolonne agierten und deshalb
die harte Hand ostmitteleuropäischer Standard war. Und was soll der Verweis auf die
Regierungsform?
Das Problem sind nicht die »Fakten«, sondern ihre isolierte Anordnung – und jene halben
Andeutungen, die sich durch Texte wie diesen ziehen: Irgendwie, war's ja auch ein bisschen
gerechtfertigt, ein Teil der Schuld trifft Polen selbst – anders kann man Gottbergs Ausführungen
kaum deuten. Im Bund der Vertriebenen (BdV), der sich am Wochenende zum »Tag der Heimat«
versammelt, steht Gottberg beileibe nicht alleine da mit seinem vermeintlichen Geheimwissen;
ähnliche Positionen tauchen in der weit verzweigten Publizistik der Landmannschaften immer wieder
auf.
Aber wie weit reicht Schwarz-Braun in der Union? Ist die spontane Assoziation einer Kriegsbeginn-
Frage mit den Sarrazin-Thesen, in die Steinbach bei der inzwischen berühmten Sitzung offenbar
abdriftete, ein breiteres emotionales Phänomen in jenen rechtsbürgerlichen Kreisen, die sich gern
die »schweigende Mehrheit« nennen? Würde das kombinierte Ressentiment gar eine Rechtspartei
tragen können – die nun der von der Berliner CDU geschasste Landespolitiker und Geert-Wilders-
Fan René Stadtkewitz gründen will?
Am Tag nach Steinbachs Rückzug aus der Fraktionsspitze greift die Union zu den
Samthandschuhen. Fraktionschef Volker Kauder, noch am Vortag ziemlich ungehalten, befindet nun,
dass Steinbachs Beharren auf der BdV-Privatversion der Geschichte keine weiteren Konsequenzen
haben werde. Die »rote Linie« sei nicht überschritten, der Fall »gegessen«, eine Profil-Diskussion
unnötig. Aus der Opposition hatte es Forderungen gegeben, Steinbach aus dem
Menschenrechtsausschuss des Bundestags abzuziehen.
Selten war ein »Tag der Heimat« so spannend. Gewissermaßen hatte Steinbach ein Nachlegen
angekündigt – und der Gastredner heißt auch noch Horst Seehofer.
* Aus: Neues Deutschland, 11. September 2010
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