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Auch "Kriegsverräter" sind endlich rehabilitiert

Bundestag billigt Gesetz / Weiter Ringen um Gedenkstätte Torgau

Von Hendrik Lasch *

Nach langem Tauziehen hat der Bundestag gestern mit den »Kriegsverrätern« auch die letzten Opfer der NS-Militärjustiz rehabilitiert. Die Erinnerung gestaltet sich freilich weiterhin schwierig, wie der Streit um eine Gedenkstätte in Torgau zeigt.

Ludwig Baumann hat lange warten müssen. Er habe »nicht mehr daran geglaubt«, sagt der 87- Jährige, der seit Jahren vergebens um die Rehabilitierung auch der allerletzten Opfer der NS-Militärjustiz gekämpft hat. Gestern beschloss der Bundestag nun eine Gesetzesnovelle, der zufolge auch die Urteile gegen Männer, die von NS-Militärrichtern als Kriegsverräter verurteilt wurden, pauschal aufgehoben werden. Baumann, der vor 20 Jahren eine Opfervereinigung gründete, ist überglücklich: Für ihn habe sich »ein später Traum erfüllt«.

LINKE wurde bei Gesetz ausgegrenzt

Baumanns Erleichterung über den Beschluss, mit dem ein Gesetz von 2002 zur Rehabilitierung von Deserteuren und Kriegsdienstverweigerern um eine bislang vernachlässigte Opfergruppe ergänzt wird, wurde freilich getrübt durch ein unwürdiges Schauspiel, das die CDU/CSU-Fraktion zu verantworten hatte. Diese besteht zwar nicht mehr auf der Einzelfallprüfung einer Rehabilitierung von Kriegsverrätern, seitdem der frühere Verfassungsrichter Hans-Hugo Klein in einem Gutachten feststellte, dass die NS-Urteile grundsätzlich nicht mit rechtsstaatlichen Prinzipien zu vereinbaren sind. Dank des Tatbestands habe man vielmehr »jedwedes missliebige Verhalten mit dem Tod bestrafen« können, wie es in der Begründung der Novelle hieß.

Diese jedoch wurde zwar fraktionsübergreifend eingereicht; mit der LINKEN blieb aber ausgerechnet die Fraktion ausgegrenzt, die sich jahrelang als einzige für die Opfer eingesetzt hatte. Erst als diese im Herbst 2006 einen Gesetzesentwurf eingereicht hatte, kam Bewegung in die Angelegenheit. Es folgte ein Gruppenantrag, den 160 Abgeordnete unterzeichneten. Der gestern beschlossene Antrag ist im Wortlaut praktisch deckungsgleich mit dem Vorstoß der LINKEN. Weil die Union aber aus Prinzip keine Gesetze und Anträge gemeinsam mit den Genossen verabschiedet, blieben diese ausgegrenzt. Das sei, sagt Baumann, »ein Skandal« und ein »schäbiges« Verhalten.

Als »beschämend und der Sachfrage politisch nicht angemessen« bezeichnete auch der Linksabgeordnete Jan Korte, der sich beharrlich um das Thema bemüht hatte, das »Possenspiel«. Er freue sich aber dennoch, dass 64 Jahre nach dem Ende des Krieges auch den als Kriegsverräter Verurteilten »endlich Gerechtigkeit widerfahre. [Die Rede von Jan Korte ist weiter unten dokumentiert.]

Für Baumann ist mit der gestrigen Entscheidung des Parlaments zwar eine wichtiger Kampf erfolgreich beendet: Auch die »Kriegsverräter« und ihre Familien müssen nicht mehr mit dem Makel eines gültigen Urteils leben. Um die öffentliche Erinnerung an die Opfer der NS-Militärjustiz aber gibt es weiterhin Streit. Eine Gedenkstätte im sächsischen Torgau, die bereits seit Oktober 2007 fertiggestellt ist, wird frühestens im April 2010 öffentlich eingeweiht, wie das Wissenschaftsmuseum in Dresden gestern auf ND-Anfrage mitteilte.

Torgau gilt den Opfern der NS-Militärjustiz als »zentraler Ort unserer Verfolgung«, sagt Baumann. Im dortigen Fort Zinna befand sich ab 1938 das größte Militärgefängnis Deutschlands; 1943 zog auch das höchste Militärgericht in die Stadt. Vor den Toren der Festung, die weiterhin als Gefängnis genutzt wird, soll ein zentraler Gedenkort an die Schandtaten der Militärjustiz erinnern, die eine Million Urteile fällte sowie 30 000-mal die Todesstrafe verhängte, die in 20 000 Fällen vollstreckt wurde.

Ministerwechsel erschwert Einigung

Um die Gestaltung der Gedenkstätte gibt es jedoch seit Jahren Streit. Direkt nebenan wird auch der Opfer zweier sowjetischer Speziallager erinnert. Weil darunter auch NS-Militärrichter vermutet werden, bestehen Baumann und dessen Mitstreiter auf einer deutlichen Trennung, etwa einer durchgehenden Hecke. Zudem soll auf den Informationstafeln auf diese Täter hingewiesen werden.

Ob der Streit in naher Zukunft beigelegt werden kann, ist unklar. Das Ministerium verwies zwar gestern auf eine bevorstehende Einigung zu einer Bronzeskulptur für die Gedenkstätte - ein gelungener Entwurf, wie Baumann findet. Andere Streitfragen zur Beschriftung und zur optischen Trennung der beiden Erinnerungsorte aber bleiben. Derweil muss die zuständige Ministerin Eva- Maria Stange (SPD) ihren Posten räumen, weil in Sachsen künftig CDU und FDP regieren. Ob ihr Nachfolger das Thema ähnlich beharrlich verfolgt, bleibt abzuwarten. Komme keine Einigung zustande, sagte Baumann gestern, bleibe der Ort ein »Schandmal«.

* Aus: Neues Deutschland, 9. September 2009

Das verabschiedete Gesetz

Hier geht es zum
Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege (2. NS-AufhGÄndG): pdf-Datei, externer Link



D o k u m e n t i e r t

Plenarrede des Abgeordneten Jan Korte in der Debatte um die Rehabilitierung der "Kriegsverräter".

Jan Korte (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Frage, Herr Gehb, müssen Sie schon beantworten, nämlich wie Sie den Widerstand des 20. Juli 1944 einschätzen. Das müssen Sie uns einmal darlegen.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Heute treffen wir eine wichtige Entscheidung. Ich freue mich ganz besonders, dass Ludwig Baumann als Vorsitzender der Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz heute bei uns im Plenum ist. Herzlich willkommen, Ludwig Baumann.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch wenn ich dazu ein wenig Lust verspüre, will ich nicht darüber sprechen, was hier in den letzten drei Jahren gesagt und wie diskutiert wurde. Ich will auch nicht darüber reden - man kann hier eine andere Position haben -, was aus parteitaktischen Erwägungen in den letzten drei Jahren abgelaufen ist. Ich will auch nicht näher darauf eingehen, dass es schon relativ absurd ist, dass ausgerechnet der Name derjenigen Fraktion, die dieses Thema seit dreieinhalb Jahren vorangebracht hat, nicht auf diesem Antrag steht. Aber geschenkt! Wir stimmen auf jeden Fall zu; das haben wir immer gesagt. Uns geht es um die Sache. Deswegen werden wir heute natürlich allen Anträgen zustimmen, in denen eine pauschale Rehabilitierung vorgesehen ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Es geht um zwei Dinge. Zum einen geht es darum, für die Angehörigen das Zeichen zu setzen, dass ihre Väter und Großväter keine Kriminellen gewesen sind, sondern dass sie Opfer einer durch und durch willkürlichen Nazimilitärjustiz geworden sind, die Teil des gesetzlichen Unrechts war. Die Militärjustiz ist von dem NS-Terrorregime nicht trennbar. Das ist der Kern der politischen Auseinandersetzung.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zum anderen haben wir es hier mit Bestimmungen in der Fassung von 1934 zu tun. Spätestens da muss man hellhörig werden und sich diese Bestimmung, über die wir hier diskutieren, anschauen. Die Fassung von 1934 beinhaltet eben kein Recht, wie es das in anderen Ländern gegeben hat, sodass sie heute als gültiger Bezugspunkt gelten könnte. Genau damit haben wir es nicht zu tun, sondern der Kriegsverrat war zentrales Terrorinstrument zur Aufrechterhaltung der Disziplin in der Wehrmacht. Er war Teil des gesetzlichen Unrechts. Eine Abtrennung ist nicht möglich.

Fritz Bauer, der hessische Generalstaatsanwalt, hat damals im Zusammenhang mit den Verunglimpfungen gegen die Widerständler des 20. Juni, die wir jedes Jahr ehren, Folgendes gesagt:

Ein Unrechtsstaat wie das Dritte Reich ist überhaupt nicht hochverratsfähig.

Das ist der Kern der Auseinandersetzung. Was, bitte, ist an einem Angriffs- und Vernichtungskrieg verratswürdig? Jeder, der diesen Krieg verraten hat, verdient unseren größten Respekt, um das ganz klar zu sagen. Darum geht es heute.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte sagen, dass wir heute keine Regelung erreicht hätten, wenn es darüber keine gesellschaftliche Debatte gegeben hätte. Sie alle wissen, die Debatten der letzten 60 Jahre über die Rolle der Wehrmacht und über den NS-Justizapparat waren heftige Debatten. Deswegen freue ich mich, dass heute alle Fraktionen diesem Antrag zustimmen werden; denn er bedeutet - das finde ich in der Tat auch aufseiten der Union politisch bemerkenswert; das gebe ich gerne zu - das Ende eines Denkens:
"Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein."
Der heutige Antrag bedeutet das Ende dieses Denkens.

Es freut mich, dass alle Fraktionen zustimmen werden.

Wenn es andere Positionen gibt, die auch deutlich geäußert wurden, ist das in Ordnung. Was ich nicht verstehen konnte, ist, wie hier herumgeeiert und herumtaktiert wurde, anstatt sich mit der Sache auseinanderzusetzen. Das bedauere ich sehr.

(Beifall bei der LINKEN)

Trotzdem glaube ich, dass wir heute eine wichtige Entscheidung treffen. Auch ich bedanke mich bei Christine Lambrecht und Wolfgang Wieland für den gemeinsam eingebrachten Gruppenantrag. Der Antrag, den die Linke eingebracht hat, wurde zwar inhaltlich von allen geteilt, aber es bestand eben das Problem der Einbringer. Deswegen haben wir einen Gruppenantrag gemacht. Danach hat dann auch die CDU/CSU-Fraktion und die gesamte SPD-Fraktion diesem Anliegen stattgegeben. Das ist eine wichtige Entscheidung und würdigt ein Stück weit das Kämpfen und Streiten von Leuten wie Ludwig Baumann in den letzten Jahrzehnten der Bundesrepublik.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der FDP)


Quelle: Stenografischer Bericht des Bundestags; 16. Wahlperiode - 233. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 8. September 2009; S. 26365f


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