Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Letztes Nazi-Unrecht wird aufgehoben

Alle Bundestagsfraktionen für "Kriegsverräter"-Rehabilitierung / Union brüskiert die LINKE

Von René Heilig *

Der Bundestag will nun auch das letzte Nazi-Recht als das benennen, was es ist: Unrecht! Dazu sollen alle Urteile der NS-Militärjustiz, die wegen »Kriegsverrat« ergangen sind, pauschal aufgehoben werden. Gestern wurde ein Gesetzentwurf der Koalition, den auch Grüne und FDP mitzeichnen, ins Plenum eingebracht. Die Art und Weise zeigte jedoch, dass die Konservativen noch immer im Kalten Krieg, der dem zweiten Weltkrieg folgte, verhaftet sind.

»Für uns geht spät ein Traum in Erfüllung!« Ludwig Baumann von der Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz, einst selbst als Deserteur zum Tode verurteilt, ist aufgewühlt. Er hat Tränen in den Augen und erinnert sich an seinen besten Freund sowie an 30 000 Todesurteile, die die Nazi-Militärjustiz zur Aufrechterhaltung der Disziplin in ihrem Angriffs- und Vernichtungskrieg gefällt hat. 20 000 Exekutionsentscheidungen wurden vollstreckt. Baumann denkt an jene Kameraden, die in Konzentrationslagern oder Strafbataillonen umgekommen sind. Erst 2002 hat der Deutsche Bundestag ihnen Anerkennung entgegen gebracht und die Wehrmacht-Deserteure von ihrer angeblichen Schuld freigesprochen.

Ausdrücklich ausgenommen wurden »Kriegsverräter« - sie sind bislang noch immer rechtens umgebracht worden. Die Soldaten, die tatsächlichen oder nur von der Wehrmachtführung behaupteten Widerstand gegen das Unrechtsregime mit dem Tode bezahlten, gelten noch als Verbrecher, werden geschmäht, beispielsweise vom Unionsabgeordneten und CSU-Rechtsexperten Norbert Geis. Zitat aus einer Bundestagsdebatte 2007: »Wer Kriegsverrat beging, hat oft in einer verbrecherischen Weise den eigenen Kameraden geschadet, ja, sie oft in Lebensgefahr gebracht, in der sie dann auch umgekommen sind, dies zum Beispiel dann, wenn der Verräter zu den feindlichen Linien überwechselte und, um sich dort lieb Kind zu machen, die Stellung der eigenen Kameraden verriet, von der er geflüchtet war.«

Seit dreieinhalb Jahren kämpfen Jan Korte und seine Linksfraktions-Kollegen um die Rehabilitierung der Geschmähten. Man brachte einen Gesetzentwurf ein, der im Koalitionsverbund von Union und SPD immer wieder zur Seite geschoben wurde. Dann initiierte die SPD-Abgeordnete Christine Lambrecht gemeinsam mit den LINKEN und den Grünen einen gleich gearteten Gruppenantrag, hinter den sich über 160 Bundestagsabgeordnete stellten. Die Drohung, dass er am gestrigen Donnerstag in die Abstimmungsrunde eingebracht werde, elektrisierte die Koalitionsspitzen. Am Mittwoch nun legte die Union daher einen eigenen Gesetzentwurf mit sagenhafter Begründung vor. »Neue Untersuchungen« - man bezieht sich auf ein Buch des Militärhistorikers Wolfram Wette, erschienen 2007 - hätten gezeigt, dass der »unbestimmte Tatbestand des Kriegsverrats als Instrument der NS-Justiz« gedient habe, um »willkürlich nahezu jedwedes politisch missliebige Verhalten mit dem Tode bestrafen zu können«. Der von der Union eingebrachte Gesetzestext ist wortgleich mit dem Gruppenantrag, der auf den Vorschlägen der Linksfraktion fußt.

Offensichtlich honorierte die Union mit »ihrem« Antrag den jüngsten pflaumenweichen Rückzieher der SPD in Sachen Wahlgesetz, das der Union beim Urnengang zum nächsten Bundestag wieder zahlreiche Überhangmandate sichern wird. Nur eine Bedingung knüpften CDU und CSU an ihr »Entgegenkommen«: Die Linksfraktion, konsequenteste Verfechterin der Rehabilitierung, darf als einzige Fraktion nicht als Einbringer des Gesetzesentwurfs erscheinen.

Eine »Frechheit«, meint Grünen-Rechtsexperte Wolfgang Wieland. Seine SPD-Kollegin Lambrecht spricht von einem »Treppenwitz« und hält es für unmöglich, »dass ausgerechnet die Fraktion nicht dabei sein soll, die alles initiierte«. Der Linksabgeordnete Jan Korte findet das zwar »befremdlich« und glaubt, dass diese Art »der Aufarbeitung der deutschen Geschichte schadet«. Doch ihm ist die Beseitigung des «letzten Tabus« bei der Aufarbeitung der NS-Geschichte wichtiger. So sieht es auch die Jüdische Gemeinde zu Berlin. Deren Vorsitzende Lala Süsskind fordert namens ihrer Gemeindemitglieder alle Fraktionen auf, dem Gesetzentwurf zuzustimmen »und damit ein weiteres Stück der nationalsozialistischen Unrechtssprechung aufzuheben«. Die Verabschiedung des Gesetzesentwurfs ist für den 26. August vorgesehen.

* Aus: Neues Deutschland, 3. Juni 2009


Endlich fällt das „letzte Tabu“ bei der Aufarbeitung der NS-Geschichte

Pressemitteilung von Jan Korte, 2. Juni 2009

„Ich freue mich, dass sich nun endlich – nach dreieinhalb Jahren Kampf im Bundestag – alle Fraktionen des Bundestages der Initiative der Linksfraktion zur Rehabilitierung sogenannter Kriegsverräter angeschlossen haben. Damit wird endlich das 'letzte Tabu' bei der Aufarbeitung der NS-Geschichte beseitigt“, erklärt der Innenexperte der Linksfraktion, Jan Korte, zur Einbringung eines entsprechenden Gesetzentwurfes durch die Koalitionsfraktionen. Korte weiter:

„Ich bedanke mich vor allem bei Christine Lambrecht und Wolfgang Wieland für die durch uns gemeinsam gestartete Initiative zur Rehabilitierung sogenannter Kriegsverräter. Unser fraktionsübergreifender Gesetzentwurf hat schließlich auch zur Aufgabe der Blockadehaltung bei der CDU/CSU-Fraktion geführt. Nun endlich kann der Bundestag einstimmig die längst überfällige Rehabilitierung der letzten NS-Militärjustizopfer noch in dieser Legislatur vornehmen.

Befremdlich und der Aufarbeitung der deutschen Geschichte schadend wirkt dabei aber in höchstem Maße die Weigerung der Union, auch die Linksfraktion auf den gemeinsamen Gesetzentwurf der Koalition, der FDP und von Bündnis 90/Die Grünen zu nehmen.

Die Linke hat bereits 2006 einen Gesetzentwurf eingebracht und immer wieder deutlich gemacht, diesen zurückzustellen, sollte es eine gemeinsame Lösung im Bundestag geben. Diese Situation ist nun erreicht und die Union benutzt die Debatte um die Schließung einer Gerechtigkeitslücke erneut für parteipolitisches Gezänk. Ich fordere die Union auf, sich wenigstens in dieser Frage zu öffnen und die Stigmatisierung der LINKEN abzulegen, um ein gemeinsames Zeichen des gesamten Bundestages zu senden.“

** Quelle: Website der Fraktion DIE LINKE; www.linksfraktion.de




Zurück zur Seite "Kriegsgeschichte"

Zurück zur Homepage