Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Ein Terrorinstrument

Die NSDAP-Auslandsorganisation als "Fünfte Kolonne"

Von Manfred Weißbecker *

Bei einer Partei, die im ersten Punkt ihres Parteiprogramms den »Zusammenschluss aller Deutschen« gefordert und die Vormachtstellung Deutschlands in der Welt angestrebt hat, darf es nicht verwundern, dass sie auch die rund fünf Millionen im Ausland lebenden deutschen Staatsbürger organisatorisch zu erfassen bestrebt war. In ihr Visier gerieten auch die etwa 30 Millionen außerhalb des Reiches lebenden Personen, die zwar deutscher Herkunft waren, jedoch eine andere Staatsbürgerschaft angenommen hatten. Allgemein wurde vom Auslandsdeutschtum gesprochen, dessen »Schutz« und Pflege sich alle Regierungen seit Bismarck verschrieben hatten.

Bereits vor 1933 begann die NSDAP, in vielen Ländern der Erde ein Netz aufzubauen, das ihren imperialen Machtbestrebungen dienen sollte. Erfasst wurden ab 1930/31 ihre Mitglieder, die im Ausland wohnten, aber auch ihre Anhänger unter den 80 000 deutschen Seeleuten und Lotsen. Hingegen galten die im Saargebiet, in Österreich und in Danzig lebenden Parteimitglieder direkt als Teil der reichsdeutschen Partei.

Als erster Leiter der »Auslands-Abteilung« amtierte Hans Nieland, der seine Aufgabe im »Ausbau der Weltorganisation der größten deutschen Volksbewegung« sah. Seit Mai 1933 stand Ernst Wilhelm Bohle, ein Mann aus dem Umfeld des »Führer«-Stellvertreters Rudolf Heß, an der Spitze der im April 1935 zu einem Gau verselbstständigten »Auslandsorganisation der NSDAP«. Sie verfügte 1932 über zehn Landes-, 34 Ortsgruppen sowie 43 Stützpunkte. 1938 gab es 580 Ortsgruppen in 82 Ländern mit rund 51 000 Mitgliedern.

Mit ihrer Tätigkeit befasst sich der Autor – freier Journalist, Publizist und Verfasser mehrerer zeitgeschichtlicher Publikationen – im vorliegenden, informationsreichen und sachlich berichtenden Band. Ausgewählte Beispiele verdeutlichen Grundzüge, Entwicklung und Aktivitäten der AO bis in die Kriegsjahre hinein, aber auch den Einfluss, den sie trotz massiver Probleme in den eigenen Reihen und auch gegen jeweilige Widerstände in den sogenannten Gastländern zu erreichen vermochte. Genutzt wurde die AO, so das klare Urteil, als ein wirksames Spionageinstrument, wofür Volker Koop zahlreiche, aus akribischer Quellenarbeit resultierende Belege anführt. Ihre Mitglieder spähten militärische Anlagen aus, lieferten Berichte an die Abwehr der Wehrmacht und an Himmlers Gestapo. Natürlich sei offiziell alles getan worden, um den Eindruck zu vermeiden, sie würden als die »fünfte Kolonne« des faschistischen Deutschen Reiches wirken.

Die AO bespitzelte die Auslandsdeutschen und »beobachtete« insbesondere Emigranten und politische Gegner. Andererseits fiel ihr die Aufgabe zu, Propaganda für das Hitlerregime zu betreiben, die Verfolgung von Oppositionellen und besonders der Juden zu verharmlosen und alle Kritik daran als »Verleumdungsfeldzug gegen das neue Deutschland« zu diskriminieren. Koop bewertet dies als »aggressive Öffentlichkeitsarbeit«, wofür alle Möglichkeiten des Veranstaltungswesens, der Presse, des Rundfunks und des Films genutzt worden sind. Belegt wird, in welchem Maße die AO willfähriges Instrument der menschenverachtenden Rassenpolitik der Nazis und treibende Kraft bei der Verfolgung von Juden in einzelnen Ländern gewesen ist. Ein längerer Abschnitt erläutert die Vielzahl widerstreitender Interessen, die in der Haltung der AO zur Frage der Auswanderung von Juden nach Palästina zutage traten.

Ausführlich werden ebenso die Querelen und persönlichen Machtkämpfe dargestellt, die es zwischen der AO und dem Auswärtigen Amt gegeben hat; fraglich bleibt allerdings, ob tatsächlich nur von einem »Missbrauch« der diplomatischen Vertretungen Deutschlands gesprochen werden kann, wie es lakonisch auf S. 263 heißt. Wie weitreichend Pläne zur Wiedergewinnung der früheren Kolonien im Interesse der angestrebten wirtschaftlichen Autarkien und des Aufbaus von Stützpunkten für die Kriegsmarine gewesen sind, stellt der Verfasser vor allem an Afrika dar. Es sei vorbereitende Arbeit für die deutschen Kolonien geleistet worden, die – wie Bohle im Dezember 1940 erklärte – »der kommende Sieg dem Reiche« bringen werde. Sogar detaillierte Invasionspläne sind ausgearbeitet worden. All das kommt der historischer Wahrheit weitaus näher als beispielsweise Wikipedia, wonach die Aufgabe der AO lediglich in einer »weltanschaulichen Schulung und einheitlichen Ausrichtung aller Parteigenossen auf die Belange von deutschem Volk und deutscher Nation« bestanden habe.

Relativ kurz handelt Koop das Wirken der AO nach dem England-Flug von Rudolf Heß und in der folgenden Kriegszeit ab. Ihre Ortsgruppen sollten »Mittler zwischen Heimat und Front in ganz Europa« sein, eine durchsichtige Umschreibung der Aufgabe, Hilfstruppe von Wehrmacht und diversen Nachrichtendiensten zu sein. Mit der nahenden militärischen Niederlage habe sich die »Auslands- zur Fluchthilfe« entwickelt, stellt Koop im letzten Kapitel fest. Ein globales Netzwerk habe vielen Nazi-Funktionären das Untertauchen vor allem in Südamerika ermöglicht.

Volker Koop: Hitlers fünfte Kolonne. Die Auslands-Organisation der NSDAP. Be.bra Verlag, Berlin 2009. 301 S., geb., 24,95 €.

* Aus: Neues Deutschland, 28. Januar 2010


Zurück zur Seite "Kriegsgeschichte"

Zur Seite "Rassismus, Antisemitismus und Faschismus"

Zurück zur Homepage