Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Die den Krieg wollten

Weltkonzern und Kriegskartell – die IG Farben

Von Janis Schmelzer *

Mit der Wiedergabe der berühmten Fotomontage von John Heartfield, die das Geheimnis des Wahlerfolgs der NSDAP 1932 mit der Unterschrift »Millionen stehen hinter mir« entlarvte und seinerzeit auf der Titelseite der »Arbeiter-Illustrierten-Zeitung« (A.I.Z) erschienen war, wird das Anliegen dieses Buches bereits auf dessen Umschlag deutlich. Es geht um die Enthüllung enger politischer und finanzieller Beziehungen, die Hitler in Deutschland an die Macht brachten, um das Aufdecken der Machenschaften jener »Männer, die den Krieg möglich machten«. Der Brite Diarmuid Jeffreys, Autor diverser zeitgeschichtlicher Dokumentationen für die BBC, illustriert am Beispiel der IG Farben Aufstieg und Abstieg der »inhumansten Diktatur der Menschheitsgeschichte«.

Die ersten sechs Kapitel schildern die Geschichte des Chemiekonzerns, der 1925 aus einem Zusammenschluss von BASF, Bayer, Höchst und Agfa entstand und sich bis 1932 zu einem »stolzen Symbol deutscher Effizienz und deutschen Erfolgs und ein strahlendes Beispiel für den Unternehmungsgeist, den wissenschaftlichen Sachverstand und die technologischen Errungenschaften der Deutschen« entwickelt hatte. Beim Geheimtreffen vom 20. Februar 1933, als eine Gruppe von Industriellen eine Spende für die Nazis über drei Millionen Reichsmark vereinbarten, nahm als Vertreter der IG Farben Vorstandsmitglied Georg von Schnitzler teil; sein Konzern beteiligte sich mit 400 000 RM.

Die folgenden neun Kapitel in Jeffreys Buch entsprechen den fünf Anklagepunkten des Nürnberger Nachfolgeprozesses gegen die IG Farben 1947/48: Planung, Vorbereitung, Einleitung und Durchführung von Angriffskriegen; Raub und Plünderung; Ausbeutung, Versklavung und Vernichtung von Zwangsarbeitern und Häftlingen; Mitgliedschaft in der SS (Schneider, Bütefisch, von der Heyde); Verschwörung zur Begehung von Verbrechen gegen den Frieden.

Jeffreys nennt im »Prolog« das offizielle Protokoll des Internationalen Militärgerichtshofes seine wichtigste Quelle. Er hält sich strikt an die Dokumente des IG-Farben- Prozesses und verweist auf die von ihm benutzte Datenbank im Internet unter www.mazal.org sowie weitere dort abrufbare Sammlungen aus dem Kriegsmuseum Duxford. Zu Recht bemängelt er, dass es bis heute keine deutsche Buchausgabe der Prozessprotokolle und Dokumente gibt, und er deutschsprachige Unterlagen nur im Bayerischen Staatsarchiv Nürnberg einsehen konnte. Auch deutsche Historiker klagen dies seit Jahren an.

Außer Gesprächsaufzeichnungen von englischen Kriegsgefangenen in Auschwitz legt Jeffreys keine neuen Forschungsergebnisse vor. Ihm geht es vor allem darum, alles bisherigen Erkenntnisse über die Verbrechen des Unternehmens zu bündeln, um diese nicht der Vergessenheit anheim fallen zu lassen. Neben den Profiten, die der Konzern mit der Lieferung des Zyklon B zur Ermordung der Juden sowie druch die Ausbeutung von Zwangsarbeitern aus ganz Europa machte, bescherten ihm vor allem rüstungswirtschaftliche Aufträge sagenhafte Gewinne. Detailliert zeigt Jeffreys die geschäftliche Kumpanei mit den Nazis auf. Stichwortartig seien hier nur die Anfänge genannt: die Vereinbarung zwischen Bosch und Hitler vom Juni 1932 über die Zukunft der Treibstoffsynthese, die Denkschrift »Die deutsche Treibstoffwirtschaft« des Vorstandsmitglieds Carl Krauch, dessen Beratungen mit General Milch, General von Bockelberg und Oberst Thomas zum Problem der Umwandlung synthetischen Öls in hochoktaniges Flugbenzin im Herbst 1933 und der Abschluss des Benzin-Vertrages vom Dezember 1933).

Auch die Nachkriegsgeschichte der seit 1952 in Liquidation befindlichen IG Farben fehlt bei Jeffreys nicht. Verwiesen wird auf die erfolgreichen, eigenständigen Nachfolgeunternehmen wie Wacker, Bayer und BASF und Hoechst AG.

Für einen Journalisten eine beachtliche Leistung, einem Fachhistoriker ebenbürtig. Das sachlich fundiert und dokumentarisch belegte Geschichtsbuch sei den Stadtväter von Leverkusen zur Lektüre empfohlen, die im Dezember 2008 die Anbringung einer Gehwegplatte mit der Inschrift »1933-1945 IG Farben Verbrechen der Wirtschaft« verweigerten. Erst Anfang Juni dieses Jahren konnten engagierte Mitglieder der Kulturvereinigung Leverkusen e.V. an anderer Stelle zumindest ein würdiges Denkmal für die Opfer einweihen.

Diarmuid Jeffreys: Weltkonzern und Kriegskartell. Das zerstörerische Werk der IG Farben. Karl Blessing Verlag, München 2011. 688 S., geb., 34,95 €.

* Aus: Neues Deutschland, 1. September 2011


Zurück zur Kriegsgeschichts-Seite

Zur Deutschland-Seite

Zurück zur Homepage