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"Sie dürfen sie vierteilen"

Geschichte. Am 16. Dezember 1942 erging an die Wehrmacht der "Führerbefehl" zum Massenmord auch an Frauen und Kindern in besetzten Gebieten. Dessen Nichtbeachtung durch die deutsche Justiz kommt noch heute Kriegsverbrechern zugute

Von Martin Seckendorf *

Man kann ihn ungestraft einen Mörder nennen, den Architekten Wolfgang Lehnigk-Emden aus der Eifelgemeinde Ochtendung. Obwohl ihm zum Tatzeitpunkt Zurechnungs- und Schuldfähigkeit zuerkannt worden waren, konnte er trotz eines zweifelsfrei erwiesenen siebenfachen Totschlags und fünfzehnfachen Mordes am Ende des gerichtlichen Hauptverfahrens 1995, das bis zum Bundesgerichtshof ging, den Verhandlungssaal als »freier Mann« verlassen.

Grausames Verbrechen

Die Staatsanwälte in Koblenz hatten den Tathergang akribisch rekonstruiert. Italien im Herbst 1943: Seit dem 8. September war das Land des ehemaligen Hauptverbündeten zu großen Teilen von der Wehrmacht besetzt. Von Süden drangen die am 9. Juli 1943 gelandeten anglo-amerikanischen Truppen auf Rom vor. Am 1. Oktober hatten sie Neapel erreicht. Die Wehrmacht legte nördlich der Stadt in aller Eile befestigte Stellungen an, die den Alliierten den Zugang nach Rom versperren sollten. Für die Deutschen war es wichtig, dort nicht nur freies Schußfeld zu haben, sondern auch unbehelligt von möglichen Widerstandsaktionen agieren zu können. Die Bevölkerung wurde zu großen Teilen aus dem Bereich der Befestigungsanlagen vertrieben.

Aufgeheizt durch die Haßpropaganda der Offiziere über den »verräterischen, hinterhältigen« Charakter »der Italiener« wurden alle Zivilisten als potentielle Feinde angesehen. Im Bereich der Befestigungslinie lag nördlich der Kleinstadt ¬Caiazzo jene Wehrmachtseinheit, in der Lehnigk-Emden Zugführer war. In der Kompanie ging das Gerücht um, aus einem Bauernhaus unterhalb der Wehrmachtsstellung seien Lichtsignale an die US-amerikanischen Truppen gesendet worden. Am 13. Oktober ordnete Lehnigk-Emden, der den abwesenden Kompaniechef vertrat, eine »Säuberungsaktion« gegen das einzeln stehende Haus an. Vier anwesende Männer wurden festgenommen und sofort erschossen. Drei Frauen, die die Freilassung der Männer forderten, wurden ebenso umgebracht. Das Landgericht Koblenz hob 1993 hervor, daß eine Befragung der Männer wegen der angeblichen Lichtsignale unterblieb, da keiner der Soldaten italienisch sprach. Nach der Hinrichtung der sieben wurde das Haus nochmals angegriffen. Die Soldaten warfen Handgranaten in die Räume und schossen mit Infanteriewaffen. Wer zu fliehen versuchte, wurde sofort erschossen. Die Soldaten drangen in die Räume ein und erstachen mit Bajonetten jene, die noch ein Lebenszeichen von sich gaben. Bei der zweiten Aktion wurden insgesamt 15 Personen getötet – fünf Frauen und zehn Kinder im Alter zwischen zwei und 14 Jahren. Eine der getöteten Frauen war im fünften Monat schwanger. Die meisten Leichen waren gräßlich verstümmelt.

Die Ermordung der sieben Personen bei der ersten Aktion wertete das Landgericht Koblenz 1993 aus unerfindlichen Gründen als Totschlag und daher als verjährt. Die zweite Aktion, die als Mord bewertet wurde, galt dem Landgericht Koblenz, und 1995 auch dem BGH, ebenfalls als verjährt. Lehnigk-Emden war nicht nur ein freier Mann und bekam für die kurzzeitige Untersuchungshaft eine Entschädigung. Er hatte auch Anspruch auf eine »Opferrente« in Höhe von 708 DM, da er sich bei »Kampfhandlungen« eine leichte Beinverletzung zugezogen hatte.

Ebenso abenteuerlich wie der Spruch war die Begründung. Das Verbrechen vom 13. Oktober 1943 sei derart grausam gewesen, daß die Wehrmachtsjustiz sicher ein Verfahren eingeleitet hätte, wäre sie von der Bluttat unterrichtet gewesen. Damit sei die Verjährung nicht unterbrochen worden und war – bei einer Verjährungsfrist von 20 Jahren für Mord – 1963 abgelaufen.

Ursache für den skandalösen Richterspruch war, daß die bundesdeutsche Justiz einen »Führerbefehl« vom 16. Dezember 1942 unbeachtet ließ. Der stellte die grundlegende Norm für das Verhalten aller Waffenträger des Nazireiches gegenüber der Bevölkerung in Partisanengebieten dar. Darin hieß es: »Kein in der Bandenbekämpfung eingesetzter Deutscher darf wegen seines Verhaltens im Kampf gegen die Banden und ihre Mitläufer disziplinarisch oder kriegsgerichtlich zur Rechenschaft gezogen werden.« Außerdem wurde befohlen, eingeleitete Verfahren und Urteile, »die diesem Befehl widersprechen«, sofort einzustellen bzw. aufzuheben. Aus den Akten des Nürnberger Prozesses, aus Unterlagen der Wehrmachtsdienststellen in Italien und den Aussagen u.a. des zum Zeitpunkt des Caiazzo-Massakers für Italien verantwortlichen Generalfeldmarschalls Albert Kesselring geht hervor, daß der Befehl nicht nur für die besetzten Gebiete in der Sowjetunion und auf dem Balkan, sondern auch für Italien galt. Die Annahme der Juristen in Koblenz und Karlsruhe, bei Kenntnis des scheußlichen Verbrechens wäre schon 1943 durch die Wehrmachtsgerichtsbarkeit ein Verfahren eingeleitet und damit die Verjährung unterbrochen worden, war falsch. Der Mörder handelte im Rahmen der Anordnungen. Gemäß dem »Führerbefehl« hätte die Untersuchung der Bluttat durch eine deutsche Instanz sofort eingestellt werden müssen.

Der »Führerbefehl« sollte im Kampf gegen die Zivilbevölkerung Hemmungen abbauen und den Tätern Rückendeckung gewähren. Damit konnten selbst niedrigste Instinkte folgenlos ausgelebt werden, wie ein anderes Beispiel aus dem besetzten Italien zeigt.

Am 23. August 1944 führten Einheiten der 26. Panzerdivision eine »Säuberungsaktion« im Sumpfgebiet von Padule di Fucecchio südlich von Montecatini in der Toskana durch. Der Divisionskommandeur hatte befohlen, alle angetroffenen Personen, auch Frauen und Kinder, zu töten.

Beim Einsatz müssen sich furchtbare Szenen abgespielt haben. Obwohl die Soldaten keine »Feindberührung« hatten, waren am Ende der »Aktion« insgesamt 175 Italiener nicht mehr am Leben, darunter 27 Kinder und 63 Frauen. Selbst ein Fall von Nekrophilie an der noch warmen Leiche einer namentlich bekannten Frau sei vorgekommen, so der Militärhistoriker Gerhard Schreiber. Auch diese »Aktion«, vom obersten Gerichtsherrn der Division, Eduard Crasemann, angeordnet, führte befehlsgemäß zu keinen strafrechtlichen Ermittlungen durch die Wehrmachtsjustiz.

»Allerbrutalste Mittel«

Die zugesicherte Straffreiheit beim Kampf gegen die »Banden«, wie die diskriminierende Bezeichnung der Partisanen in den deutschen Dokumenten lautete, war eine logische Konsequenz der angeordneten Vorgehensweise. In dem vom Chef des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW), Wilhelm Keitel, übermittelten »Führerbefehl« wurde angewiesen, die Gefechte gegen die Partisanen »mit den allerbrutalsten Mitteln« zu führen. Die »Truppe« sei »berechtigt und verpflichtet, in diesem Kampf ohne Einschränkung auch gegen Frauen und Kinder jedes Mittel anzuwenden«. Schwerwiegend war ebenfalls die Festlegung, daß diese Bestialität nicht nur gegen die eigentlichen Partisanen, sondern ebenso gegen die »Mitläufer« oder »Helfer«, wie es in anderen Dokumenten heißt, anzuwenden sei.

Diese »Kampfanweisung« forderte geradezu zur massenhaften Begehung von Verbrechen auf. Deshalb die zugesicherte Straffreiheit. Die eingesetzten Deutschen sollten »ohne Einschränkung«, wie es hieß, rücksichtslos und ohne Beachtung elementarer moralischer und rechtlicher Normen agieren können. Entscheidend sei, daß die Maßnahme »zum Erfolg führt«. Darunter wurde nicht nur die Vernichtung einer Partisaneneinheit, die »Befriedung« eines Partisanengebietes und die »Sühne« für eine Partisanenattacke verstanden. Der »Erfolg« wurde vor allem am Grad der erreichten Abschreckung vor zukünftigen Angriffen gemessen. Deshalb wollte man die meist unbeteiligte Zivilbevölkerung treffen. Schon in der Ergänzung zur »Führerweisung« Nr. 33 vom 23. Juli 1941 wird die Konzeption der Nazis deutlich. Die deutsche Besatzungsmacht solle »denjenigen Schrecken verbreiten, der allein geeignet ist, der Bevölkerung jede Lust zur Widersetzlichkeit zu nehmen«. Die Tötung einer entsetzlich großen Zahl von Zivilisten schien das geeignete Mittel, um die erwünschte Abschreckung, um eine Schockwirkung in breiten Kreisen der Bevölkerung zu erreichen. Die Massenhinrichtungen sollten zudem auf besonders grausame Weise erfolgen. Keitel befahl in dem berüchtigten Geiselmordbefehl vom 16. September 1941: »Die Art der Vollstreckung muß die abschreckende Wirkung noch erhöhen.« Auch das Ausleben niedrigster Instinkte sowie kaum zu beschreibende Bestialitäten wie in Padule di Fucecchio sprachen sich herum und erhöhten die Abschreckung.

Der »Führerbefehl« vom 16. Dezember 1942 verlangte geradezu diese verbrecherische Kampfführung. Soldaten, die nicht in der geforderten Brutalität vorgingen, wurden stigmatisiert. Drohend heißt es, »Rücksichten, gleich welcher Art, sind ein Verbrechen gegen das deutsche Volk« und gegen die »Soldaten an der Front« – ein schwerwiegender Vorwurf.

Mörderische Intentionen

Nach dem Debakel der Wehrmacht in der Schlacht vor Moskau um die Jahreswende 1941/42 (¬jW-Thema vom 21.12.2011) bereitete die Naziführung für den Sommer 1942 eine neue Großoffensive vor. Zwei strategische Großverbände, Heeresgruppen genannt, mit 1,5 Millionen Soldaten, 1500 gepanzerten Fahrzeugen und unterstützt von 1550 Flugzeugen sollten nach Südosten zur unteren Wolga und zum Kaukasus vorstoßen. Man wollte die UdSSR von ihren wichtigsten Wirtschaftsregionen abschneiden und somit noch 1942 zur Aufgabe zwingen. Vor allem sollten die kaukasischen Erdölgebiete erreicht und der Zugang zum Iran geöffnet werden.

Die Offensive begann mit großer Stoßkraft. Sehr schnell wurden weite Gebiete erobert. Die Wehrmacht schien unaufhaltsam vorzurücken. Da die westlichen Alliierten der Sowjetunion zur gleichen Zeit in Nordafrika (jW vom 20.10.2012) und in Asien Niederlagen erlitten, sprach man schon von einem »schwarzen Sommer« der Antihitlerkoalition.

Doch im Rücken der angreifenden Wehrmachtsverbände hatten sich kampfkräftige Partisanenverbände organisiert, die, oft in Abstimmung mit dem Oberkommando der Roten Armee, die Versorgungs- und Nachrichtenlinien der Wehrmacht empfindlich störten. Der erstarkte militärische Widerstand destabilisierte das gesamte Okkupationsregime in den besetzten Gebieten der UdSSR und beeinträchtigte die Ausbeutung des Landes und seiner Bewohner. Zur Bekämpfung der Partisanenbewegung wurden in großer Zahl frontfähige Verbände der Wehrmacht und der SS eingesetzt, die den nach Südosten vorstoßenden Truppen fehlten.

Die Aktionen der Partisanen wurden von der deutschen Führung als Bedrohung ihrer strategischen Pläne empfunden. Am 18. August 1942 gab das OKW die »Weisung für die Kriegsführung Nr. 46« heraus. Das von Hitler unterzeichnete Dokument hatte den Titel »Richtlinien für die verstärkte Bekämpfung des Bandenunwesens im Osten«. Solche »Weisungen für die Kriegsführung« wurden seit 1939 als Führungsinstrument nur für strategische, ja feldzugsentscheidende Aufgaben eingesetzt. In Nummer 46 heißt es: »Das Bandenunwesen im Osten hat in den letzten Monaten einen nicht mehr erträglichen Umfang angenommen und droht zu einer ernsten Gefahr für die Versorgung der Front und die wirtschaftliche Ausnützung des Landes zu werden.« Die Partisanen müßten in kurzer Zeit »im wesentlichen ausgerottet (werden), (…) um entscheidende Nachteile für die Kampfführung der Wehrmacht (…) zu vermeiden«. Der Einsatz gegen die Widerstandskämpfer wurde dem Kampf an der Front gleichgestellt. Es seien »härteste Maßnahmen gegen alle, die sich an der Bandenbildung beteiligen oder sich der Unterstützung der Banden schuldig machen« angebracht. Bei »Sühnemaßnahmen« gegen die Zivilbevölkerung, die man generell der »Begünstigung der Banden« verdächtigte, wurde »äußerste Härte« angeordnet.

Auf der Grundlage der Weisung Nr. 46 erließ das Oberkommando des Heeres (OKH) am 11. November 1942 die »Kampfanweisung für die Bandenbekämpfung im Osten«. Die angeordnete extrem brutale Vorgehensweise in den Partisanengebieten war damit ein konkreter Befehl. Darin wurde zum ersten Mal offiziell auch die massenhafte Tötung von Frauen angewiesen. Außerdem weitete man den zu ermordenden Personenkreis dadurch aus, daß man die Täterkategorie »Helfer« einführte. Der Begriff wurde bewußt unscharf gefaßt, um die Einsatzkräfte nicht »einzuengen«, wie es hieß. Die Grundlinie der »Kampfanweisung« lautete: »Äußerste Härte« gegen die Partisanen und ihre »Helfer« sowie gegen die gesamte Bevölkerung eines als Partisanengebiet ausgewiesenen Einsatzraumes. Der Massenterror sollte vor allem abschreckend wirken. »Schon die Härte der Maßnahmen und die Furcht vor den zu erwartenden Strafen«, heißt es, »muß die Bevölkerung davon abhalten, die Banden zu unterstützen oder zu begünstigen«. »Sentimentale Rücksichten« seien »unverantwortlich«.

Bei der befohlenen »Kampfesweise« mußte es zwangsläufig massenhaft zu schweren Verbrechen kommen. Offenbar waren die Vernichtungsaktionen in der Begehungsweise, wie die Juristen sagen, derart abstoßend, ja bestialisch, daß in einzelnen Fällen die sicher nicht zimperliche Wehrmachtsjustiz Untersuchungen einleitete. Den Kommandeuren ging es darum, die sogenannte Manneszucht nicht zu gefährden. Die Soldaten sollten nicht »verwildern« und Krieg auf eigene Faust führen, sondern fest in der Hand der Offiziere ihre Mordbrenneraufgaben erfüllen. Die vereinzelten richterlichen Untersuchungen widersprachen den Intentionen der militärischen Führung, die von den Einsatzkräften ein »uneingeschränktes« Vorgehen in den Partisanengebieten erwartete. Das OKW reagierte sofort. Drei Wochen nach Erlaß der »Kampfanweisung« lag der Entwurf für einen »Führerbefehl« vor.

In der Lagebesprechung am 1. Dezember 1942 im »Führerhauptquartier« mit dem bezeichnenden Decknamen »Wolfsschanze« nahe dem ostpreußischen Rastenburg wurde der Befehlsentwurf diskutiert. Daran nahmen neben Hitler der Chef des OKW, Wilhelm Keitel, und der Chef des Wehrmachtsführungsstabes, Alfred Jodl, teil. Das überlieferte Protokoll offenbart eine unglaublich verbrecherische Mentalität der militärischen Spitze des Nazireiches. Hitler meinte in der Besprechung: »Grundsätzlich ist bei der Bandenbekämpfung (…) das richtig, was zum Erfolg führt.« Vermöge des Befehls seien »die Freiheit des Handelns« und die »absolute Rückendeckung« durch die Offiziere jedem Soldaten gegeben. Es müsse grundsätzlich festgeschrieben werden, daß der Soldat, »wenn er glaubt, (…) mit den härtesten Mitteln vorgehen zu müssen, absolut im Recht ist und hinterher unter allen Umständen gedeckt wird«. Jodl vermutete in den Ausführungen eine Kritik an dem Befehlsentwurf und erwiderte, die Soldaten »können im Kampfe machen, was sie wollen: Sie dürfen sie aufhängen, verkehrt aufhängen oder vierteilen«. Es seien keinerlei Beschränkungen für die Einsatzkräfte vorgesehen.

In diesem Sinne wurde der »Führerbefehl« am 16. Dezember 1942 an die »Truppe« ausgegeben. Von Bedeutung war die Festlegung: »Diese Grundsätze müssen auch die Anwendung der ›Kampfanweisung für die Bandenbekämpfung im Osten‹ beherrschen.« Der »Führerbefehl« verschärfte die zuvor vom OKH herausgegebene »Kampfanweisung« noch einmal. Dies geschah vor allem durch die Ausweitung des zu tötenden Personenkreises auf »Mitläufer«, aber besonders auf »Frauen und Kinder«. Beide Dokumente zusammen bildeten bis zum Kriegsende die zentrale Vorschrift für das Vorgehen aller bewaffneten Kräfte des deutschen Faschismus bei der Bekämpfung des wehrhaften Widerstands im »Osten«, auf dem Balkan und ab dem 8. September 1943 auch in Italien.

»Kampfanweisungen« für Großaktionen gegen Partisanengebiete orientierten sich seitdem inhaltlich an der dreigliedrigen Struktur des »Führerbefehls«. Sie enthielten immer die Festlegung, daß die Einsatzkräfte ohne »Einschränkung« rücksichtslos gegen alle Einwohner, unabhängig von Alter und Geschlecht, vorgehen sollten. Alles, was zum Erfolg führt, so die Weisung, sei richtig und erlaubt. Außerdem wurde versichert, jede Handlung während der Aktion werde unter allen Umständen von den Vorgesetzten gedeckt. Schließlich findet sich in den Dokumenten, manchmal nur angedeutet, der Hinweis, daß Soldaten, die nicht in der geforderten brutalen Weise vorgingen, als »sentimentale Weichlinge« oder gar als »Verräter« an den »Kameraden« betrachtet wurden.

Aufforderung zu Kriegsverbrechen

Ende August 1943 ordnete der Befehlshaber der deutschen Truppen in Kroatien, General der Infanterie Rudolf Lüters, eine Operation gegen die Gemeinde Orasje im sogenannten Unabhängigen Staat Kroatien an. In der Nähe des Dorfes fanden zwar keine Partisanenaktionen statt, folgerichtig hatten die Einsatzkräfte auch keine »Feindberührung«. Trotzdem wurde Orasje »überprüft« und »gesäubert«. Der Kommandeur des SS-Gebirgsjäger-Regiments 2, August Schmidhuber, der den Einsatz geleitet hatte, meldete, das Dorf sei gemäß einem Befehl der Wehrmacht »als vollkommen kommunistische Ortschaft (…) zerstört und die der kommunistischen Betätigung überführte Bevölkerung (…) erschossen« worden. Nicht nur die Frauen und Männer, sondern auch alle Kinder wurden umgebracht. Schmidhuber rechtfertigte sich damit, daß er gemäß der Kampfanweisung des Generals Lüters gehandelt habe. Darin sei ausdrücklich befohlen worden, bei den Erschießungen im Dorf »auch Frauen und Jugendliche zu erfassen«.

Anfang 1944 hatte die Partisanenbewegung in Norditalien erheblichen Aufschwung genommen. Ganze Gebiete waren der Kontrolle der Okkupanten entzogen. Das war für die deutschen Besatzer von besonderem Gewicht, denn 14 Provinzen im Norden des besetzten Landes sollten nach der »Germanisierung« annektiert werden. Damit wollte man die deutsche Reichsgrenze bis zur Adria vorschieben. Zuvor mußten die Operationszonen, wie die Sondergebiete genannt wurden, »befriedet« und »gesäubert« werden. Der Befehlshaber in der Operationszone »Adriatisches Küstenland«, General der Gebirgstruppen Ludwig Kübler, erließ am 24. Februar 1944 einen Grundsatzbefehl zur Partisanenbekämpfung. Angelehnt an die »Kampfanweisung für die Bandenbekämpfung im Osten« und den »Führerbefehl« vom 16. Dezember 1942 schrieb er: »Im Kampf ist alles richtig und notwendig, was zum Erfolg führt. Ich werde jede Maßnahme persönlich decken, die diesem Grundsatz entspricht. (…) Bei der Behandlung der Banditen und ihrer freiwilligen Helfer ist äußerste Härte geboten. (…) Wer die Banden durch Gewährung von Unterschlupf oder Verpflegung, durch Verheimlichung ihres Aufenthalts unterstützt, ist todeswürdig und zu erledigen.«

Kübler wurde u.a. wegen solcher Weisungen nach 1945 als Kriegsverbrecher gehängt. Eine Studie des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes der Bundeswehr kam 1995 zu dem Schluß, daß der oben zitierte Befehl Küblers eine »unmißverständliche Aufforderung zu einem Kriegsverbrechen« darstellt. Trotzdem wird Kübler bis heute in den Traditionsverbänden und in der auflagenstarken militaristischen Trivialliteratur als Organisator der deutschen Gebirgstruppe im Zweiten Weltkrieg glorifiziert. 1964 wurde die Gebirgsjägerkaserne in Mittenwald nach General Kübler benannt. 1986 sagte der bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß: »Für die Deutsche Gebirgstruppe war General Kübler als Mensch und Soldat ein Vorbild. Ihm hat die Truppe bis auf den heutigen Tag viel zu verdanken.« Erst massive öffentliche Proteste bewogen das Bundesverteidigungsministerium, 1995 die Umbenennung der Truppenunterkunft in »Karwendel-Kaserne« vorzunehmen.

* Dr. Martin Seckendorf ist Historiker und Mitglied der Berliner Gesellschaft für Faschismus- und Weltkriegsforschung e.V. Weitere Beiträge unseres Autors finden sich in der jW-Broschüre »›Barbarossa‹. Raubkrieg im Osten« (für 5,80 Euro im jW-Shop erhältlich)

Aus: junge Welt, Samstag, 15. Dezember 2012


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