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Voyeurismus vermeiden: Die Ausstellung "Front Line" im Düsseldorfer NRW-Forum dokumentiert historische und aktuelle Kriegsfotografie

Von Peggy Neidel *

Foto: Pressefoto George Rodger / Magnum Photos Bilder sind mächtig. Inwiefern beeinflussen sie Kriege und Krisen? Diese Frage stellen die Ausstellungsmacher von »Front Line« im NRW-Forum Düsseldorf. Um sie zu diskutieren, wird ein weiter Bogen gespannt. Von den historischen und zu Ikonen der Fotografie geadelten Kriegsbildern der Mag­num-Gründer Robert Capa, George Rodger, Henri Cartier-Bresson und David Seymour bis hin zu fünf jungen Magnum-Fotografen: Thomas Dworzak, Dominic Nahr, Moises Saman, Peter van Agtmael und Alex Majoli. Sie fotografierten in den heutigen Krisenherden und Kriegsgebieten, sie dokumentierten die sogenannte Arabellion in Ägypten, Tunesien und Libyen. Das aktuellste Foto ist im August 2011 entstanden.

Die Ausstellung beginnt mit Aufnahmen, die ins kollektive Gedächtnis eingegangenen sind: George Rodgers schockierende Bilder-Reihe aus dem befreiten Konzentrationslager Bergen-Belsen oder Robert Capas legendärem Bild des Soldaten im Moment seines Todes, entstanden während des spanischen Bürgerkriegs 1936. Die Fotos der jungen Reporter sind dagegen noch nicht kontextualisiert, sondern momenthaft. Die gesellschaftlichen Umbrüche in der arabischen Welt dauern an. Man wird sehen, ob die beeindruckenden Aufnahmen des 1974 geborenen Moises Saman oder des 1981 geborenen Dominic Nahr Eingang in das Bildgedächtnis der Welt finden werden, etwa wenn Anhänger von Ghaddafi auf dessen Anwesen in Tripolis sich ihm als menschliche Schutzschilder gegen die NATO-Luftangriffe zur Verfügung stellen. Das hat Saman am 31.März fotografiert.

Es ist dieser Spagat zwischen Geschichte und Gegenwart, der die Ausstellung interessant macht. Dadurch fallen die unterschiedlichen Blickwinkel der Generationen von Betrachtern ebenso ins Auge wie die historische Entwicklung der Reportagefotografie: Schwarzweiß wird mehrheitlich ersetzt durch Farbe, Unschärfe und ein hoher Grad an Körnigkeit weichen Highdefinition-Fotos. Und noch etwas fällt auf: Wir sind bildgesättigt. Die tägliche Flut unterschiedlichster Aufnahmen läßt einen nicht immer genau hinschauen. Daß sich durch kulturellen Wandel, beispielsweise durch Web 2.0, nicht nur unsere Wahrnehmung, sondern auch die Rolle professioneller Kriegsberichterstatter ändert, ist offensichtlich. Ob bald ambitionierte Hobbyfotografen mit ihren Beiträgen auf Youtube, flickr und Co. einen Berufszweig überflüssig machen, wird in der Ausstellung jedoch nicht thematisiert. Auch wenn im Vorfeld eine Live-Pressekonferenz mit Bloggern veranstaltet wurde.

»Front Line« fragt, ob Bilder von Gewalt und Tod ästhetisch sein dürfen, ob das volle Ausmaß der Gewalt gezeigt werden muß? Wo sind die ethischen Grenzen der Kriegsfotografie? Die neuen Magnum-Talente gehen sehr feinfühlig mit diesem Thema um. Voyeuristische Blicke werden vermieden. Statt dessen werden Ausschnitte gezeigt und Geschichten erzählt. Thomas Dworzak fotografierte im Leichenschauhaus im Libyschen Brega – doch man sieht keine Gesichter. Moises Saman zeigt einen einsamen jungen Libyer vor einem in Flammen stehenden Lkw, stellt Einzelschicksale in den Mittelpunkt. »Es ist einfach, schockierende Bilder zu machen«, sagt Moises Saman, »ich finde es spannender, den Betrachter mit einzubeziehen, ihm die Möglichkeit zu geben, sich zu fragen was dort geschieht. Das hat einen ganz anderen Wert.« Man muß keine Toten zeigen, die Auswirkungen von Kriegen und Auseinandersetzungen sind in den Gesichtern der Lebenden zu sehen.

Die präsentierten Aufnahmen zeigen auch, daß Bilder mächtig werden, wenn sich der Betrachter Zeit nimmt. Ein Foto ist auch ein Hoffnungsträger. Der Fotografierte weiß, daß ihn andere sehen werden; daß er nicht vergessen wird. Natürlich werden so keine Kriege gestoppt. Bilder speichern lediglich die Realität. Man kann dazu eine Position zu beziehen. Die Bilder, die bei »Front Line« zu sehen sind, verändern die Wahrnehmung.

Bis 8.1.2012, NRW-Forum, Düsseldorf

* Aus: junge Welt, 5. November 2011


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