Überholt und eingekesselt
Geschichte. Befreiung Südosteuropas eingeleitet: Am 20. August 1944 begann die Schlacht von Iai-Kischinjow. Die Rote Armee zerschlug eine der größten Gruppierungen der Wehrmacht mit weitreichenden Folgen
Von Martin Seckendorf *
Im Verlauf der am 22. Juni 1944 begonnenen Offensive unter der
Deckbezeichnung »Bagration« konnte die
Rote Armee binnen fünf Wochen bis an die Reichsgrenze Ostpreußens, in
die Warschauer Vorstadt Praga und an die Rigaer Bucht vorstoßen. Die
Heeresgruppe Mitte wurde zerschlagen. Die südlich davon stehende
Heeresgruppe Nordukraine zog sich schwer angeschlagen in die Karpaten
zurück. Im Südteil der deutsch-sowjetischen Front herrschte dagegen seit
Mai 1944 relative Ruhe. Ab 20. August 1944 änderte sich dort die Lage
dramatisch. Die Rote Armee brachte der Wehrmacht erneut eine desaströse
Niederlage bei. Zum zweiten Male im Jahr 1944 wurde eine ganze
Heeresgruppe ausgelöscht - diesmal in nur wenigen Tagen.
Befestigter Frontbogen
Im Ergebnis der militärischen Entwicklung im Sommer 1944 war in Rumänien
und in der Moldauischen Sowjetrepublik ein etwa 400 Kilometer nach Osten
reichender Frontbogen entstanden. Die Front verlief von der
Dnjestr-Mündung am Schwarzen Meer nordwestwärts dem Flußlauf folgend.
Nach 250 Kilometern bog sie nach Westen ab, überquerte die Flüsse Pruth
und Sereth und endete auf der Höhe westlich von Tschernowzy am Rande der
Ostkarpaten. In dem Frontbogen hatte die Wehrmacht die äußerst
kampfstarke Heeresgruppe Südukraine stationiert. Ihr unterstanden zwei
deutsche und zwei rumänische Armeen mit zusammen über 50 Divisionen. Die
rumänischen Truppen waren weitgehend mit deutschen Waffen und Gerät
ausgerüstet. Deutsches Lehrpersonal sorgte für einen hohen
Ausbildungsstand. Die Kampfpause hatte die Heeresgruppe genutzt, um tief
gestaffelte, befestigte Stellungen zu bauen. Eine Achillesferse in der
Kampfkraft der Heeresgruppe bildete nach Auffassung der deutschen
Militärs die verbreitete Kriegsmüdigkeit der rumänischen Soldaten.
Deshalb schob man deutsche Divisionen als »Korsettstangen«, wie es im
Wehrmachtsjargon hieß, in die Front der rumänischen Verbände.
Kriegsentscheidende Bedeutung
Die deutsche Führung maß der Heeresgruppe Südukraine angesichts der
gesamten Kriegslage enorme Bedeutung bei. Solange die Front im Bereich
der Heeresgruppe hielt, war das nach der Schlacht am Kursker Bogen im
Juli 1943 (siehe jW-Geschichte v. 28/29.6.2008). entwickelte
hochspekulative Konzept der strategischen Verteidigung noch nicht
gescheitert. Die Faschisten wollten hinter verkürzten Frontlinien Zeit
gewinnen und neue Kräfte mobilisieren. Sie hegten auch die Hoffnung, daß
mit der Zeit die Anti-Hitler-Koalition zerbrechen werde. Das Halten der
Heeresgruppenfront beeinflußte in entscheidendem Maße die politische
Einstellung der deutschen Vasallen Ungarn, Bulgarien und Rumänien. In
den drei Ländern gab es starke Kräfte, die seit einiger Zeit intensiv
Kontakt zu den Westalliierten suchten. Abkommen mit den Westmächten
unter Ausschluß der Sowjetunion sollten die Länder aus dem
faschistischen Bündnis herausführen, einen Einmarsch sowjetischer
Truppen verhindern und deren tradierte halbfeudal-kapitalistische
Ordnungen in die Nachkriegszeit retten. Die Heeresgruppe Südukraine
hatte die Aufgabe, durch den Anschluß an die auf dem Balkan stehenden
Heeresgruppen E und F eine geschlossene Frontlinie vom Oberlauf des
Dnjestrs bis an die Südspitze Griechenlands zu gewährleisten. Das
Aufrechterhalten dieser Frontlinie stand im Mittelpunkt der Weisung
Hitlers vom 24. Juli 1944 an den neuen Oberbefehlshaber der
Heeresgruppe, Generaloberst Johannes Frießner. Er solle alles
unternehmen, »damit der Russe unter keinen Umständen entlang der Donau
vorstoßen kann und Ihre Heeresgruppe von der Heeresgruppe F trennt«.
Die geschlossene Frontlinie sicherte auch die weitere wirtschaftliche
Ausbeutung Südosteuropas. Die Rohstoff- und Nahrungsmittellieferungen
aus dieser Region erhielten angesichts der Lage für die Fortsetzung des
Krieges durch Nazideutschland strategische Bedeutung. Die Hälfte des
deutschen Mineralölimports kam aus Rumänien. In nennenswertem Umfang
konnte Öl noch aus Ungarn und Albanien, das nach Rumänien der
zweitgrößte Öllieferant Deutschlands war, beschafft werden. Ungarn und
Griechenland deckten fast vollständig den deutschen Bedarf an dem
Aluminiumrohstoff Bauxit. Jugoslawien lieferte mehr als ein Viertel des
deutschen Kupferbedarfs und ebenso wie Ungarn beträchtliche Mengen an
Nahrungs- und Futtermitteln. Ungarn war zudem der einzige
Manganlieferant. Die Bedeutung der Rohstoffe Südosteuropas für die
deutsche Rüstung geht aus einer Denkschrift von Rüstungsminister Albert
Speer vom 12. November 1943 an Hitler hervor. Sollten bei der
Beschaffung des Legierungsmetalls Chrom »der Balkan und damit auch die
Türkei« als Lieferanten ausfallen, sei nach etwa zehn Monaten »ein
Auslaufen der verschiedenen wichtigsten Rüstungszweige (sämtliche
Flugzeuge, Panzer, Kraftfahrzeuge, Panzergranaten, U-Boote, fast die
gesamte Geschützfertigung)« unvermeidlich. Auch führende Militärs wiesen
der Ausbeutung Südosteuropas eine kriegsentscheidende Rolle zu. Am 26.
Juli 1944 unterstrich der stellvertretende Chef des
Wehrmachtsführungsstabes, Walter Warlimont, die »außerordentliche und
kriegsentscheidende Bedeutung des Balkans auf kriegswirtschaftlichem
Gebiet (Chrom)«.
Cannae des 20. Jahrhunderts
Der Heeresgruppe Südukraine standen zwei sowjetische Fronten gegenüber
(eine sowjetische Front entsprach etwa einer Heeresgruppe der
Wehrmacht). Von den Ostkarpaten bis zum Dnjestr verlief der Abschnitt
der 2. Ukrainischen Front unter Rodion Jakowlewitsch Malinowski. Entlang
des Dnjestrs bis zum Schwarzen Meer stand die 3. Ukrainische Front unter
Fjodor Iwanowitsch Tolbuchin. Die sowjetischen Fronten waren der
deutschen Heeresgruppe an Artillerie, Panzern und Flugzeugen deutlich
überlegen.
Ende Juli 1944 befahl das sowjetische Oberkommando, die seit längerem
geplante Großoffensive gegen die Heeresgruppe Südukraine durchzuführen.
Die Heeresgruppe sollte zerschlagen, die Moldauische Sowjetrepublik
befreit sowie Rumänien und Bulgarien gezwungen werden, aus dem
faschistischen Bündnis auszusteigen. Damit wären günstige Bedingungen
für die Befreiung Südosteuropas geschaffen worden. Die Konzeption für
die Offensive sah vor, die Großverbände der Heeresgruppe einzukesseln
und gleichzeitig den Stoß in die operative Tiefe zu führen. Die 2.
Ukrainische Front hatte die Aufgabe, zwischen den Flüssen Pruth und
Sereth westlich von Iai die faschistische Verteidigung zu durchbrechen
und südwärts in die zentralen Teile Rumäniens vor allem nach Bukarest
und in das Erdölgebiet Ploiesti vorzudringen, dabei mit den Flügeln des
Angriffskeils die westlich des Pruth stehende rumänische 4. und die
östlich des Pruth befindliche deutsche 6. Armee einzuschließen. Die 3.
Ukrainische Front sollte aus dem Raum Tiraspol vom Osten her die
Verteidigung an der Nahtstelle zwischen der 6. deutschen und der 3.
Rumänischen Armee durchbrechen und zusammen mit der von Norden kommenden
2.Ukrainischen Front die 6. deutsche Armee im Raum Iai-Kischinjow
einschließen. Zusammen mit Kräften der sowjetischen Schwarzmeerflotte
war gleichzeitig die 3. rumänische Armee südlich Tiraspol einzukesseln
sowie zur Donau und an die bulgarische Grenze vorzustoßen. Die Rote
Armee konnte auf die reichen Erfahrungen zurückgreifen, die sie bei den
Kämpfen gegen die faschistische Heeresgruppe Mitte im Juni/Juli 1944
gewonnen hatte. Dazu gehörten die Bildung starker Angriffsgruppierungen
im geplanten Durchbruchsraum, die den Faschisten personell und technisch
um ein Vielfaches überlegen waren, der spezielle Einsatz von Artillerie
und Infanterie in der Durchbruchsphase, die Einführung schneller und
gepanzerter Verbände in die nur wenige Kilometer breiten
Durchbruchstellen, die Erringung der uneingeschränkten Lufthoheit und
das enge Zusammenwirken aller Waffen.
Die deutschen Militärs haben den Grundgedanken der sowjetischen
Offensive erst erkannt, als schon drei der vier Armeen der Heeresgruppe
Südukraine eingekesselt waren und die Rote Armee gleichzeitig mit
überlegenen schnellen Kräften in die operative Tiefe vorstieß. Bis dahin
glaubte man, der erwartete Angriff westlich des Pruths in Richtung Süden
sei der Hauptstoß, während die Offensive bei Tiraspol nur
Fesselungsangriffe wären. So gewaltige Umfassungsoperationen bei
gleichzeitigen Vorstößen in die Tiefe, wie sie das sowjetische Konzept
vorsah, hielt man nicht für möglich.
Am Sonntag, dem 20. August 1944, eröffneten beide sowjetischen Fronten
mit gewaltigem Artilleriefeuer die Offensive. Über die stark befestigten
Stellungen der Faschisten fegten mehrere Feuerwalzen hinweg. Die
sowjetische Artillerie hatte in den Durchbruchszonen eine Dichte
erreicht, die selbst jene in den Eröffnungsschlachten bei »Bagration«
noch übertraf. Bis zu 260 Rohre pro Frontkilometer wurden eingesetzt.
Das Artilleriefeuer fügte den faschistischen Truppen schwere Verluste
zu. Die personellen Ausfälle bei den Faschisten betrugen bis zu 50
Prozent. Außerdem wurden die tiefgestaffelten, stark befestigten und
verminten Stellungen weitgehend zerschlagen. Die überlegene sowjetische
Luftwaffe schaltete die deutschen Artillerie, das Rückgrat der
Verteidigung der Heeresgruppe, aus und verhinderte die Zuführung von
Reserven. Beide sowjetische Fronten setzten zu Angriffsbeginn mehr als
3000 Maschinen ein. Im Schutze der Feuerwalzen der Artillerie erzwangen
Infanterieverbände den Durchbruch durch die deutschen Linien. In die
Durchbruchstellen wurden gepanzerte Verbände eingeführt, die die
faschistischen Großverbände umfaßten und gleichzeitig den Stoß in die
Tiefe führten.
Von besonderer Bedeutung für den weiteren Verlauf der Operationen war,
daß es den sowjetischen Truppen schon am dritten Tag der Offensive
gelang, die deutsche 6. Armee östlich des Pruth im Raum Iai-Kischinjow
einzuschließen. Die Armee galt als der kampfstärkste Großverband der
Heeresgruppe Südukraine. Sie war aus den Resten der im Februar 1943 in
Stalingrad vernichteten 6. Armee neu aufgestellt, personell aufgefüllt
und mit modernen Waffen ausgerüstet worden. Bei der Einkesselung und
anschließenden Vernichtung der 6. Armee kam der sowjetischen 5.
Stoßarmee unter Nikolai Erastowitsch Bersarin besondere Bedeutung zu.
Sie erhielt die komplizierte Aufgabe, die Ostfront der eingeschlossenen
6. Armee zu halten und nachfolgend den Dnjestr zu forcieren, obwohl sie
zuvor einen Großteil ihrer Artillerie an die weiter südlich angreifenden
Durchbruchsarmeen zur Schaffung artilleristischer Schwerpunkte in den
Durchbruchszonen abgegeben hatte. Danach beteiligte sich die 5.
Stoßarmee an der Zerschlagung der 6. Armee. Am 24. August überwanden
Bersarins Soldaten die tiefgestaffelten deutschen Verteidigungslinien am
Westufer des Dnjestrs und befreiten die Hauptstadt der Moldauischen
Sowjetrepublik Kischinjow. Bersarin wurde 1945 erster Stadtkommandant
von Berlin und erwarb sich große Verdienste bei der Ingangsetzung
zivilen Lebens in der stark zerstörten Millionenstadt. Dafür wurde er
1975 Ehrenbürger (Ost-)Berlins. Nach dem Anschluß Ostberlins an den
Westteil der Stadt setzte 1992 eine Fronde reaktionärer Politiker durch,
Bersarin die Ehrenbürgerwürde abzuerkennen. Das führte zu heftigen
Protesten im In- und Ausland, so daß 2003 dieser Frevel beseitigt werden
mußte.
Die 6. Armee wurde im August 1944 vollständig zerschlagen. Während das
Gros der Soldaten fiel oder den bitteren Weg in die Gefangenschaft
antreten mußte, konnte sich ein erstaunlich großer Teil der Offiziere
des Armeeoberkommandos zusammen mit dem Oberbefehlshaber, General der
Artillerie Maximilian Fretter-Pico, in Sicherheit bringen. Darunter war
auch der Chef des Generalstabs der 6. Armee, Heinz Gaedecke. Er wurde
1957 Kommandeur der Führungsakademie der Bundeswehr. Auch die zur
Unterstützung der 6.Armee eingesetzte 10. Panzergrenadierdivision wurde
zerschlagen. Fast alle Soldaten wurden getötet oder gingen in
Gefangenschaft. Eine bemerkenswert große Anzahl von Offizieren des
Divisionskommandos konnte sich dem Zugriff der Roten Armee entziehen.
Darunter auch der Erste Generalstabsoffizier der Division, Ulrich de
Maizière. Er wurde nach 1945 Generalinspekteur der Bundeswehr.
Während die Außenflügel der sowjetischen Angriffskeile die Einschließung
der deutschen und rumänischen Großverbände vollendeten, drang die Masse
der sowjetischen Truppen zügig in das Innere Rumäniens und bis zur Donau
vor. Die nicht eingeschlossenen deutschen Soldaten flohen panikartig,
meist ohne Verbandszusammenhang Richtung Karpaten, von den motorisierten
Verbänden der Roten Armee immer wieder überholt und eingekesselt. Dabei
wurde auch der vierte Großverband der Heeresgruppe, die deutsche 8.
Armee, fast zur Hälfte aufgerieben. Am 29./30. August gelang der
Sowjetarmee die Besetzung des Ölgebietes von Ploiesti sowie der
Verladehäfen Giurgiu an der Donau und Konstanta. Im Kriegstagebuch des
Oberkommandos der Wehrmacht heißt es dazu: »Die deutsche
Benzinversorgung ist schwer getroffen.« Noch Ende 1943 hatte die
deutsche Generalität Hitler versichert, die Treibstoffversorgung für
1944 könne als gesichert gelten, außer wenn eine »tödliche Gefahr für
das rumänische Erdölgebiet« eintrete (siehe hierzu auch »Ende mit
Schrecken« von Dietrich Eichholtz, jW-Thema vom 29.6.2009). Dieser Fall
war am 30. August 1944 erfolgt. Einen Tag später zogen sowjetische
Truppen in das bereits von Aufständischen befreite Bukarest ein. Am 5.
September erreichte die Rote Armee die Nordostgrenze Bulgariens und bei
Turnu Severin die jugoslawische Grenze. Der Weg in die ungarische
Tiefebene in der allgemeinen Richtung Budapest-Wien und Belgrad war offen.
Das Konzept der sowjetischen Offensive und die wendig geführten
Operationen veranlaßten einen Wehrmachtsgeneral, der an den Kämpfen als
Regimentskommandeur teilgenommen hatte, rückblickend zu der
Einschätzung, die sowjetische Militärführung habe sich bei der Schlacht
»in einer ausgesprochenen Hochform« befunden, ihr wäre ein »vollendetes
Cannae« gelungen. Nahe der apulischen Stadt hatte 216 v.u.Z. der
Karthager Hannibal überlegene römische Truppen vernichtend geschlagen.
Die Schlacht bei Cannae gilt in der Kriegsgeschichte als klassisches
Beispiel einer Umfassungsoperation.
Die personellen Verluste der Wehrmacht waren enorm und mit jenen der
Schlacht um Stalingrad vergleichbar. Etwa 150000 Soldaten waren
gefallen, über 100000 in Gefangenschaft geraten. Hitler resümierte am
31. August 1944: »Eine größere Krise als die, die wir in diesem Jahr
schon einmal im Osten erlebten, kann man sich nicht vorstellen.«
Dramatische politische Folgen
Schon in den ersten Tagen der sowjetischen Offensive zeichneten sich
weitreichende politisch-militärische Folgen ab.
Am 23. August wurde der rumänische Diktator Ion Antonescu gestürzt.
Hinter dem Umsturz stand ein breites Bündnis unter Führung der
Kommunisten und Sozialisten, das seit längerem auf einen Ausstieg
Rumäniens aus dem Bündnis mit Nazideutschland und den König zum Handeln
drängte. Die deutsche Führung glaubte, daß es sich bei der Absetzung
Antonescus um eine Intrige des Hofes handele und befahl am 24. die
Besetzung Bukarests. In diesen dramatischen Stunden bewahrte die Rote
Armee Rumänien vor dem Schicksal Italiens, das ein Jahr zuvor den
»Absprung« gewagt hatte und dafür von der Wehrmacht grausam
niedergeworfen worden war. Wegen der sowjetischen Offensive standen der
Wehrmacht nur schwache Kräfte zur Verfügung. Der deutsche Angriff auf
Bukarest brach schnell zusammen. Am 25. August erklärte die neue
Regierung dem Nazireich den Krieg. Die rumänischen Streitkräfte kämpften
seitdem unter sowjetischem Oberbefehl gegen die Wehrmacht.
Durch den schnellen Vorstoß der Roten Armee riß die deutsche Front
vollkommen auseinander. Zwischen Karpaten und Donau klaffte eine 200
Kilometer breite Lücke, für die kein deutscher Verband mehr zur
Verfügung stand. Schon am 23. August beschloß daher das Oberkommando der
Wehrmacht, die Heeresgruppe E aus Griechenland abzuziehen. Sie sollte
zusammen mit der in Jugoslawien stehenden Heeresgruppe F eine Front
gegen die Rote Armee an der Donau aufbauen. Als der Rückzug aus
Griechenland begann, stellten die Deutschen fest, daß die überlegene
britische Luftwaffe die deutschen Schiffs- und Marschkolonnen nicht
attackierte, sondern sie unbehelligt nach Norden abziehen ließ. Der
Sonderbevollmächtigte Südost meldete nach Berlin, »daß (die) Engländer
unsere Leute schon im Hinblick auf einen kommenden, auch im britischen
Interesse liegenden Einsatz gegen die Bolschewisten bewußt
herauslassen.« Nur die Griechische Volksbefreiungsarmee ELAS griff die
abziehenden Truppen an. Dadurch erreichten sie verspätet, abgekämpft und
ohne schwere Waffen den Nordwesten Jugoslawiens. In die Kämpfe an der
Donau konnten sie nicht mehr eingreifen. Die Rote Armee befreite
zusammen mit der Jugoslawischen Volksbefreiungsarmee am 20. Oktober Belgrad.
Schon am 8. September hatte ein Volksaufstand in Sofia das
monarcho-faschistische System hinweggefegt. Die neue bulgarische
Regierung erklärte Deutschland am 9. September den Krieg.
In Ungarn forcierten der »Reichsverweser« Miklós Horthy und seine
Umgebung als Folge des sowjetischen Vormarsches die seit längerem
unternommenen Versuche zum Ausstieg aus dem Krieg. Am 15. Oktober
verkündeten sie einen Waffenstillstand. Die Deutschen setzten Horthy ab
und errichteten mit ihrer Marionette Ferenc Sálasi eine faschistische
Diktatur, die als Verbrecherregime schlechthin galt.
Die Schlacht von Iai-Kischinjow brachte nicht nur eine weitere
gravierende Schwächung der Wehrmacht, sie ließ auch binnen weniger
Wochen das faschistische Vasallen- und Okkupationsregime in Südosteuropa
zusammenbrechen. In vielen Ländern der Region konnten die durch die
Erfolge der Roten Armee gestärkten Befreiungskräfte die erzreaktionären,
sozial extrem ungerechten Strukturen beseitigen und den Aufbau
alternativer Gesellschaftsmodelle einleiten.
* Dr. Martin Seckendorf ist Historiker und Mitglied der Berliner
Gesellschaft für Faschismus- und Weltkriegsforschung e.V.
Aus: junge Welt, 19. August 2009
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