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Wie die große Täuschung gelang ...

Vor 70 Jahren: Hitler unterzeichnet den »Barbarossa«-Plan für den Überfall auf die Sowjetunion

Von Karl-Heinz Gräfe *

Der britische Botschafter in Berlin informierte im April 1933 London: »Die jetzige deutsche Regierung hat vor, die Landtruppen wieder aufzubauen und die Wachsamkeit der Gegner bis zu solch einem Komazustand einzuschläfern, dass sie von Deutschland einzeln erledigt werden können. Hitler ist ohne Zweifel schlau genug, die Notwendigkeit der Camouflage einzusehen. Gerade von dieser Art sind die Friedensbekundungen in der Potsdamer Rede des Kanzlers.« Warum begriffen die Spitzenpolitiker der europäischen Großmächte dies erst, nachdem sie Opfer der braunen Sphinx geworden waren? War es nur das politische Unvermögen Daladiers, Chamberlains und Stalins? Lag es an deren eigennützigen Machtambitionen und mangelnder Verantwortung oder war es hilflose Ahnungslosigkeit, dass ein mörderischer, alle bisherigen Kriege in den Schatten stellender Weltenbrand ausbrechen könnte?

Die historische Erfahrung besagt: Der Aggressor hält Kriegsvorhaben und modernste Waffentechnik streng geheim, täuscht den geplanten Angriff als Sicherheitsmaßnahme oder Friedenskampf. Er lenkt die Opfer von den realen Gefahren ab, schläfert deren Wachsamkeit ein und unterbindet wirksame Abwehr.

Wesentlicher Teil der hitlerdeutschen Kriegsvorbereitung war die Bildung einer faschistischen Militärallianz. Der Antikomintern-Pakt mit Japan und Italien 1936, dem sich drei Jahre später Ungarn, Spanien und der japanische Mandschuko-Vasallenstaat anschlossen, war ein erster Schritt. Ihm folgte 1940 der Dreimächtepakt, dem bis Anfang Juni 1941 Ungarn, Rumänien, die Slowakei, Bulgarien, Jugoslawien und Kroatien beitraten. Hitlers Angebot an die UdSSR im November 1940, diesem Aggressionsbündnis beizutreten, war ein Täuschungsmanöver, auf das Stalin hereinfiel (s. ND v. 13./14. November 2010, »Mörderischer Trugschluss«).

Das bereits in »Mein Kampf« beschriebene Ziel verlor der Diktator in Berlin nie aus dem Auge. In einer Denkschrift zur beschleunigten Kriegsvorbereitung vom August 1936 kündigte er dem »Judentum der Welt, dem einflussreichen Vorkämpfer des Bolschewismus«, der Sowjetunion und der Komintern »den schärfsten Kampf« an. Diese Hauptfeinde seien nur zu bezwingen, wenn die deutsche Wehrmacht »zur ersten Armee der Welt« aufsteigt. Und im November des gleichen Jahres erklärte er seinen höchsten Militärs: »Wir können Russland nur entgegentreten, wenn wir im Westen frei sind.« Folglich beschloss Hitler erst nach den erfolgreichen »Blitzkriegen« gegen die Benelux-Staaten und Frankreich im Mai 1941 den Feldzug gegen die Sowjetunion: »Kriegsbeginn Mai 1941.«

Bereits seit Juli 1940 wurden im Generalstab des deutschen Heeres Operationsvarianten für den Überfall auf die UdSSR ausgearbeitet, die Chefplaner General Halder am 13. Dezember mit den Generalstäben der Heeresgruppen und Armeen abschließend beriet. Fünf Tage später, am 15. Dezember, unterzeichnete Hitler die Weisung Nr. 21 (»Fall Barbarossa«). Diese legte fest, dass die Wehrmacht die Kriegsvorbereitungen bis zum 15. Mai 1941 abzuschließen habe. Hauptziel sei, »die im westlichen Russland stehende Masse des russischen Heeres in kühnen Operationen unter weitem Vortreiben von Panzerkeilen zu vernichten«. Entscheidend sei, »dass die Absicht eines Angriffs nicht erkennbar wird«, andernfalls »würden schwerste politische und militärische Nachteile entstehen«.

Tatsächlich gelang der militärische Aufmarsch im Osten als großangelegtes Täuschungsmanöver, als angebliche Angriffsvorbereitung auf England. Die Operationen »Marita« gegen Griechenland und »Merkur« gegen Kreta dienten als Generalprobe für die große Aggression. Deutsche Diplomaten und Militärs sorgten dafür, dass vor allem Finnland und Rumänien in das Unternehmen »Barbarossa« einbezogen wurden; davon hing wesentlich der Erfolg der Heeresgruppen Nord (Baltikum, Leningrad) und Süd (Ukraine) ab. Die Aufmarsch-Anweisung vom 31. Januar 1941 bestimmte, dass die »Absprachen mit allen beteiligten Staaten – mit Ausnahme Rumäniens – erst in letzter Minute erfolgen.«

Wirkten die Diplomaten am Täuschungsmanöver Hitlers gegenüber den Opfern seiner Aggressionsgier mit, so waren die treibenden Kräfte die Deutsche und die Dresdner Bank, die IG-Farben und diverse Industriekonzerne. Drahtzieher des Krieges waren Hermann Josef Abs, Karl Blessing, Flick, Krupp, Mannesmann, Hoesch Siemens, Thyssen, die später auch in der Bundesrepublik wieder Mächtigen. Sie schufen die materiell-technischen Voraussetzungen für das Unternehmen »Barbarossa«. Das von ihnen organisierte Rüstungsprogramm war eine Art wirtschaftliche Blitzkriegsstrategie.

Carl Krauch, Generalbevollmächtigter Chemie, gab dem Hitlerregime die Linie für Aufrüstung und Krieg vor. Er hatte bereits an der zitierten Denkschrift von 1936 zur beschleunigten Kriegsvorbereitung mitgewirkt. Am 28. April 1938 dozierte er vor dem Generalrat des Vierjahrplanes: »Heute wie 1914 erscheint die deutsche politische und wirtschaftliche Lage eine rasche Kriegsentscheidung durch Vernichtungsschläge gleich zu Beginn der Feindseligkeiten zu verlangen.« Daher müsse von Anfang an »kriegsentscheidende Überlegenheit« gesichert werden. Deutschland müsse das eigene Kriegspotenzial und das seiner Verbündeten so stärken, dass die faschistische Koalition »den Anstrengungen fast der gesamten übrigen Welt gewachsen« sei.

Der Anfang 1941 gegründete Arbeitsstab Russland (später Wirtschaftstab Ost) diente der Aufteilung der in der Sowjetunion erhofften Beute unter deutsche Großkonzerne und Banken. Die »Richtlinien für die Führung der Wirtschaft in den neubesetzten Gebieten«, die sogenannte Grüne Mappe vom 23. Mai 1941, ließen am verbrecherischen Ziel des Unternehmens »Barbarossa« keinen Zweifel: »Viele 10 Millionen von Menschen werden in diesem Gebiet überflüssig und werden sterben oder nach Sibirien auswandern müssen. Versuche, die Bevölkerung dort vor dem Hungertod zu retten ... unterbinden die Durchhaltepolitik Deutschlands und Europas. Darüber muss absolute Klarheit bestehen.«

* Aus: Neues Deutschland, 18. Dezember 2010


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